Eins und eins zusammenzählen

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Als ich Zidane gesattelt auf den Innenhof führte, brauten sich am Horizont gerade Gewitterwolken zusammen. Die Windböen waren zu einer konstanten Brise geworden, die dem Wallach die kurze schwarze Mähne umherwehte.
Hoffentlich war er keines dieser Pferde, das bei Wind Angst bekam. Zumindest vom Boden aus glaubte ich, dass er sich ganz wohl fühlte. Er humpelte kein bisschen mehr und hatte mich bereits freudig wiehernd empfangen, als ich zu ihm in die Box gestiegen war.
Laut Ludger war er in den letzten Tagen nur longiert worden, also konnte es sein, dass er unter dem Sattel etwas spritzig war, aber damit konnte ich umgehen. Ich beschloss, Zidane bis zur Lagerstrasse zu führen und erst dort aufzusteigen.
Glücklicherweise hatte Oma sich bereiterklärt, hier in den LB Stables auf mich zu warten – wie erwartet hatte es ihr sehr gut gefallen und sie schien sich mit Ludger mehr als gut verstanden zu haben. Als ich, nachdem ich Neige abgesattelt und in die Box gestellt hatte, noch schnell den Kopf ins Reiterstübchen gesteckt hatte, tranken die beiden Kaffee und lachten wie alte Freunde. Also war sie in guten Händen, bis ich mit Ronja wieder zurückkam.
Der Himmel über uns war noch einigermassen blau, also sollten wir den Ausritt wohl noch mit akzeptablem Wetter machen können.
Zidane war etwas nervös, als ich ihn an der Hand die Allee entlang weg von den LB Stables führte. Er spitzte die Ohren, blähte die Nüstern und tänzelte neben mir her, aber er zerrte nicht am Zügel und sprang nicht zur Seite. Es war eine aufgeregte Form der Nervosität. Kein Wunder. Wenn ein Sportler tagelang stillhalten musste, obwohl er sich tägliches Training gewöhnt war, schlug ihm das doch auch auf die Laune.
„Alles gut, Dicker, wir gehen ja!", murmelte ich grinsend und tätschelte ihm beruhigend den braunen Hals. Zur Sicherheit griff ich die Zügel mit der linken Hand kürzer als mit der rechten, dass er im Notfall nicht mein sowieso schon in Mitleidenschaft gezogenes Gelenk beanspruchte. Bald schon hatten wir Wiesen und Felder zu beiden Seiten und nach wenigen Minuten erreichten wir die Kreuzung der Lagerstrasse.
Ronja wartete schon auf uns, ihr Falbpony scharrte unwillig auf dem Teer herum. „Hallo, Joelle!", begrüsste sie mich fröhlich und winkte mir zu. „Hi!", rief ich zurück und lief zügiger. Zidane wieherte leise und schüttelte den Kopf. Als ich bei ihr angekommen war, hielt ich mein Pferd etwas weg von ihrem, doch sie schüttelte den Kopf.
„Schon gut, lass die beiden sich beschnuppern. Bumblebee ist da ganz cool." Ich lächelte und liess Zidane zu dem kleinen Erdfarbenen hingehen. Die beiden Pferde schnupperten aneinander und brummten leise, aber es gab kein Gezicke und kein Kreischen. Also gurtete ich bei Zidane nach und stieg dann auf.
Ein warmes Gefühl durchflutete mich, als ich den rechten Fuss auch in den Bügel stellte und die Zügel aufnahm. Ich sass wieder auf dem Pferd, das mich durchs Vorreiten getragen hatte. Das Pferd, in welches ich mich von Anfang an verguckt hatte. Strahlend tätschelte ich Zidane den Hals und gab ihm dann das Signal, in den Schritt zu wechseln.
Etwas übermotiviert trabte er gleich an und ich erschrak kurz, lachte dann jedoch und parierte ihn wieder zum Schritt durch. „Sorry, meiner ist heute das erste Mal seit eineinhalb Wochen wieder unter dem Sattel", entschuldigte ich mich, Ronja lachte ebenfalls.
Ich konnte es kaum glauben, dass sie noch dieselbe Person war, die ich vor zwei Jahren auf den Turnierplätzen der L-Springen kennengelernt hatte. Das eingeschüchterte, verängstigte Mädchen, das nur beim Anblick der Richter bereits Herzrasen bekommen hatte. Das Mädchen mit den abgenagten Fingernägeln, das vor jedem Turnier von seiner grossen Schwester hatte beruhigt werden müssen, damit es nicht vom Pferd kippte. Das Mädchen mit den strohblonden Zöpfchen und der Zahnspange, das in der Schule gehänselt worden war, weil es so dünn war.
Heute sah Ronja ganz anders aus. Ihr Blick war wach, die smaragdgrünen Augen glänzend, die Körperhaltung selbstbewusst. Und die Zahnspange war weg. Nur die Zöpfchen hatte sie immer noch.
„Mensch, ist das ewig her!", staunte sie und musterte mich ebenso eindringlich, wie ich sie eben gerade gemustert hatte. Wie hatte ich mich verändert? Konnte sie in mir immer noch die Joelle von vor zwei Jahren erkennen, oder war ich jemand komplett anderes?
„Ja, ewig! Schade, dass wir uns so lange nicht mehr gesehen haben! Wie geht es dir so?", meinte ich. Zidane ruckelte bei jedem Schritt mit dem Kopf und schien mehr als zufrieden zu sein. Sein Gang war sauber, ohne Taktfehler, und zügig. Er war bereit, bald wieder zu trainieren, dessen war ich mir sicher.
Ronja stimmte mir zu: „Finde ich auch schade! Mir geht es sehr gut. Bumblebee steht beim Pignatelli und uns gefällt es dort eigentlich recht gut. Die Infrastruktur ist genial und jede Woche zweimal kommt meine alte Reitlehrerin vorbei. Die andern Reiter sind recht arrogant, vor allem dieser Maurice, aber man gewöhnt sich daran. Nächstens werden wir in Herford starten, ich nehme an, dort machst du auch mit..."
Ich staunte nicht schlecht. Dante Pignatelli war der Besitzer des Gestüts Pignatelli in Ibbenbüren. Längst nicht so gross wie die LB Stables, aber um ein Vielfaches renomierter als das Reitzentrum Vermeulen. Und er war Sereinas Vater. Damals hatte ich auch ihn angefragt, ob er mich trainieren würde. Er hatte nur gesagt, dass seine Pferde zu schwierig seien für jemanden, der so beeinträchtigt war wie ich. Als ob ich ein buckelndes Pferd nicht unter Kontrolle hätte.
Irgendwie war ich aber auch froh gewesen, dass er mich abgelehnt hatte. Es wäre eine Demütigung sondergleichen gewesen, bei Sereina anzukriechen und darum zu betteln, dass ihr Vater mich ihre Pferde reiten liess.
„Der Pignatelli? Wow, das hätte ich nicht gedacht! Aber hoffentlich machst du mir in Herford nicht den ersten Platz streitig!", erwiderte ich selbstbewusster, als ich es war.
Ronja zog eine Grimasse. „Das wird kaum passieren, immerhin trainierst du bei Ludger Beerbaum! Aber der Pignatelli hat glaube ich einen Narren an mir und meiner Schwester gefressen. Er lässt Bumblebee zum halben Preis bei sich stehen und beteiligt sich am Preis der Reitstunden. Das ist natürlich ideal. Du weisst ja, dass wir uns so was sonst nicht leisten könnten."
Anerkennend nickte ich. Ja, ein solches Angebot durfte man gar nicht ausschlagen, auch wenn es vom Pignatelli kam, dem ich solche Grosszügigkeit eigentlich gar nicht zugetraut hätte. Die Neus waren immer schon eher knapp bei Kasse gewesen. Ich war mir sicher, dass Ronja sonst schon vor Jahren ihr Reitabzeichen 2 gemacht hätte.
Stattdessen steckte sie mit ihrem Talent immer noch auf L-Turnieren fest. In Laggenbeck hatte sie nur mit einer Schnupperlizenz starten dürfen, dabei hatte sie das Können und den Ehrgeiz für die höheren Klassen.
„Aber warum hast du dich eigentlich so lange nicht mehr blicken lassen? War was? Ich habe irgendetwas davon gehört, dass du einen Unfall hattest, war mir aber nicht sicher", wollte Ronja wissen.
Wir bogen auf den Lager Damm ab und ich nahm die Zügel etwas auf, da hier viele Radfahrer unterwegs waren. Ich wollte nicht, dass Zidane mir in so einen reinsprang. In meinem Kopf spulte ich tausend Varianten ab, wie ich ihr die Wahrheit verschweigen konnte, aber jede klang dümmer als die vorherige. Also wählte ich einfach die Erstbeste aus, die einigermassen plausibel erschien.
„Ja, ich hatte einen kleinen Unfall. Ein Pferd ist beim Führen erschrocken und nach hinten weggesprungen, dabei habe ich mir den Ellbogen ausgekugelt. Darum musste ich eine kleine Pause einlegen. Danach habe ich gemerkt, dass das Springreiten mit der Schule oft einfach nicht zu vereinbaren ist und wollte mich deshalb mehr darauf konzentrieren, gute Noten zu schreiben. Damit ich einen akzeptablen Abschluss machen und danach meinen Beruf frei wählen kann. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, ohne das Springen nicht leben zu können. Und jetzt bin ich hier!", schwindelte ich rubbelte Zidane den Hals. Der braune Wallach brummte und schüttelte den Kopf.

Keep Dreaming - Ich werde reitenTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang