Kapitel 55

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Früh am Morgen konnte ich meine Schwester dazu überreden zur Polizei zu gehen. Zuerst hatte sie sich sehr geweigert, denn sie hatte Angst. Sehr sogar. Auf einer Weise konnte ich sie verstehen, denn sie war sozusagen seit vier Jahren bei diesem Monster gefangen. Katy war alleine. Eigentlich war sie kein zerbrechliches Mädchen, aber er hatte sie zerstört. Wie sie nun vor meinen Augen war, zerbrach mir das Herz, aber als ob sie es merken würde, versuchte sie sich immer wieder zusammen zu reißen.

Nachdem endlich Katy gesprochen hatte, waren wir fertig. Das Einzige, was noch gemacht werden musste, war es Caden zu verhaften und alles würde sich wieder verbessern. Hoffte ich zumindest. Zusammen stiegen wir alle vier in Levin sein Auto, der mir heute sehr aufgefallen war. Es war wirklich nett von ihm das er meiner Schwester half und sie auf einer Weise beschützte, aber dahinter lag etwas anderes. Seine Blicke zu ihr waren nicht zu übersehen und anscheinend bemerkte es auch Liam, denn ich hatte ihn ein paar Mal erwischt wie er zu den beiden heimlich rüber lächelte. Irgendwie war es süß, aber länger konnte ich mich damit nicht beschäftigen.

Meine Gedanken schweiften zu meiner Oma, denn sie wusste von all dem noch nichts. Ich wusste auch gar nicht wie wir es ihr erklären sollten, denn sowas war nicht einfach und sie würde sich nur erschrecken. Aber mir war auch bewusst, dass ich sowas nicht einfach verstecken konnte. Außerdem war meine Tante noch immer auf Katy wütend. Sie hasste sie natürlich nicht, aber sie war genauso verletzt und konnte es nur nicht ertragen ihren Bruder so hilflos und verzweifelt zusehen. Sie hatte mit ihm gelitten und das tat sie weiterhin.

"Wann willst du es ihnen erzählen?", unterbrach ich die Stille im Auto, weswegen Katy zu mir rübersah und anscheinend kurz nachdachte.

"Es bringt nichts es zu verstecken, deshalb sofort", antwortete sie und ich nickte stumm.

"Aber", begann sie und ich blickte erneut zu ihr.

"Können wir zuerst Papa besuchen?", fragte sie leicht lächelnd.

Minuten später standen wir beide vor dem Grab unseres Vaters. Die Jungs warteten im Auto, da Liam sich auch nicht traute mitzukommen. Ich konnte sehen wie er innerlich litt und sich weiterhin die Schuld gab. Niemals würde ich ihn aber dafür beschuldigen, denn er hatte nichts getan. Er konnte sich das aber selbst nicht zugeben.

Leicht schüttelte ich meinen Kopf und meine Augen wanderten zu Katy, die langsam auf die Hocke ging und Tränen ihre Wange runterliefen. Sie legte ihre Hand auf die Erde und schloss die Augen. Ich blieb einfach nur an derselben Stelle stehen und sagte kein einziges Wort. Obwohl mein Vater in Phoenix sein Leben verloren hatte, wurde er in New York begraben, weil er auch ihr geboren wurde. Nur an der Beerdigung war ich hier gewesen und das war nun mein zweites Mal. Am liebsten hätte ich ihn so oft besucht wie ich nur könnte, aber ich hatte nie diesen Mut dazu. Jetzt gerade riss ich mich nur wegen Katy zusammen, da ich sie nicht alleine lassen wollte.

"Es tut mir so Leid", begann Katy und ich hielt schwer meine Tränen zurück, um nicht los zu weinen.

"Ich hätte auf dich hören sollen, als du mir sagtest, dass er schlecht wäre. Ich hätte verdammt nochmal auf dich hören sollen, als du mir sagtest, dass ich nicht gehen soll. Es tut mir so Leid, Papa. Bitte, verzeih mir. Bitte. Wenn ich gewusst hätte, dass das alles passiert, wäre ich niemals gegangen. Weder dich noch Aria hätte ich verlassen. Niemals wäre ich so dumm gewesen. Bitte, verzeih mir", flehte sie und ich ließ verzweifelt meinen Kopf hängen.

"Ich wünschte, du wärst jetzt hier", hörte ich sie sagen und eine Träne lief meine Wange entlang, die ich nicht mehr zurückhalten konnte.

"Ich vermisse dich, Papa", flüsterte sie und am Ende hielt ich es nicht mehr aus, weswegen ich sie auf die Beine zog und sie fest umarmte.

Zusammen weinten wir und zusammen waren wir füreinander da. Auch, wenn unser Vater nicht mehr da war, hatten wir uns wieder. Ich würde sie nicht mehr gehen lassen. Niemals. Ein kleines Lächeln legte sich an meine Lippen und ich hob den Kopf, um in den Himmel zu sehen. Wenn er uns sehen könnte, dann wäre er glücklich. Mein Vater hatte ein wunderschönes Herz und er würde niemals wollen, dass wir beide uns hassen würden. Ich hoffte in dem Moment so sehr, dass er uns sah.

Einige Stunden später saß ich alleine in einem Park und wartete auf Liam. Als wir wieder nach Hause gefahren waren, hatte Katy alles den anderen erzählt. Natürlich waren sie alle schockiert und völlig überrascht, denn niemand hatte mit sowas gerechnet. Sofort hatte sich meine Tante bei Katy entschuldigt und am Ende hatte irgendwie jeder zum Weinen begonnen. Ich hatte es nicht mehr drinnen ausgehalten, weshalb ich nun hier saß. Da mich Liam aber nicht alleine lassen wollte und sich Sorgen um mich machte, bestand er darauf her zu kommen.

Wenige Sekunden später merkte ich wie sich jemand neben mich auf die Bank setzte. Ich drehte mich um, da ich dachte, dass es Liam wäre, jedoch war es nicht er. Automatisch wurden meine Hände zu Fäusten und eine Wut stieg in mir auf, jedoch lächelte er mich einfach nur an, als ob nichts wäre.

"Hallo, Aria", begrüßte mich Ace.

"Du", begann ich und mein Puls beschleunigte sich.

"Du weißt alles", unterbrach er mich, bevor ich weiterreden konnte.

"Du hast meinen Vater getötet", flüsterte ich und schaute ihn mit großen Augen an.

"Ich wollte niemanden das Leben nehmen", verteidigte er sich und ich lachte humorlos auf.

"Wärst du in der dieser Nacht nicht weggerannt, hätte ich sogar vielleicht Mitleid mit dir gehabt, aber ich verspüre dir gegenüber nur Hass und Abscheu", spuckte ich regelrecht diese Worte raus, aber er lächelte mich weiterhin an und blieb für einige Sekunden still.

"Der einzige Schuldige bin also ich?", wollte er wissen.

"Versuch ja nicht Liam da einzumischen, denn er hat rein gar nichts getan", beschützte ich ihn und sein Lächeln wurde breiter.

"Wo wir schon bei Liam sind. Sollte er nicht schon seit zehn Minuten hier sein?", fragte er und ich verengte verwirrt meine Augen.

"Woher weißt du, dass ich mich mit ihm treffen werde?", stellte ich ihm die Frage, doch dieser sah nur amüsiert darüber aus.

"Du hast irgendwas gemacht", murmelte ich und ein schlechtes Gefühl machte sich in mir breit.

"Was hast du getan?!", schrie ich aufgebracht, jedoch gab er mir keine Antwort.

"Wo ist Liam?!", brüllte ich und starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.

"Er wartet", antwortete er und ich verstand kein Wort, was er da sagte.

"Was meinst du?! Wo ist er verdammt?!", regte ich mich auf.

"Ich habe ein kleines Spiel vorbereitet", begann er und noch immer sah ich ihn verständnislos an.

"Du musst eine Wahl treffen", meinte er und ich hatte Angst, was als nächstes kommen würde.

"Liam oder deine Schwester?", ließ er mich entscheiden, aber ich brachte kein einziges Wort raus.

Die AugenWhere stories live. Discover now