Drei

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Am Morgen wird Luca von lautem Klopfen und Gefluche geweckt. Linnea! Schießt es ihm sofort durch den Kopf, er springt auf und stolpert in den Flur. Fred steht in Boxershorts und Shirt vor dem Bad und haut verärgert gegen die Tür. "Mach endlich auf! Wer bist du überhaupt? He, aufmachen!" "Fred! Man, hör auf, hier rum zu schreien!" Unsanft schubst Luca ihn zur Seite. Fred verschränkt die Arme vor der Brust und mustert ihn kritisch. "Würdest du mir vielleicht mal erklären, wer da gerade unser Badezimmer benutzt?" Raunt er, Luca seufzt und wuschelt sich durch die vom Schlafen ganz zerzausten Haare. Er hätte wissen müssen, dass das nicht lange gut geht. "Sie.. sie heißt Linnea.. Ich hab sie gestern beim Fest.. kennengelernt." Sucht er nach einer Ausrede. Naja. Eigentlich war das ja nicht mal gelogen. Vielleicht nur etwas übertrieben. "Und dann lässt du sie hier einfach pennen? Warte.. habt ihr..?" Ein breites Grinsen schleicht sich in Freds Gesicht und als Luca versteht, was sein Mitbewohner meint, werden seine Augen groß. "Was?! Nein! Man, Fred.. ich.. kann ich dir das später erklären?" Fred grummelt unzufrieden, doch er merkt, dass es wohl ziemlich ernst ist und verzieht sich wieder in sein Zimmer. Luca atmet durch. Ganz leise klopft er an die hölzerne Tür. "Linnea? Hey, ich bin's. Magst du mal aufmachen?" Linnea sieht von ihrer Ecke auf den Fliesen auf und wischt sich über die Augen. Luca's Stimme beruhigt sie, schon wieder. Langsam steht sie auf und dreht den Schlüssel im Schloss herum. Doch kaum, dass die Tür sich öffnet, zieht sie sich doch schnell wieder in die Ecke zurück.

Luca entdeckt sie, sein besorgter Blick wird sanft. Wie ein Häufchen Elend kauert Linnea auf dem Fußboden, ihr Gesicht hat sie in den Händen vergraben. Ihre Schultern heben und senken sich hektisch. Sie hat Angst. Luca möchte ihr so gerne helfen. Aber wie, wenn er nicht mal weiß, was los ist? "Hey.. hey, ganz ruhig.. Fred tut dir nichts, versprochen." Vorsichtig nähert er sich ihr, Linnea zuckt zusammen, als sie seine Finger an ihren spürt. Wieder so warm. Behutsam nimmt Luca ihre Hände vor ihrem Gesicht weg, damit sie ihn anschaut. Ihre Augen sind gerötet und brennen, Linnea blinzelt ein paar Mal. "Wirklich nicht?" Fragt sie leise, entzieht ihm ihre Hände. Luca schüttelt den Kopf. "Wirklich nicht. Kommst du.. kommst du zurück ins Zimmer? Der Fliesenboden ist nicht wirklich gemütlich, oder?" Er versucht es mit einem Lächeln, dass Linnea nur schwach erwidert. "Ja." Sie stehen auf, Linnea bleibt an der Tür stehen und schaut sich skeptisch um. "Fred tut dir echt nichts." Wiederholt Luca, der schon an seiner Zimmertür steht und sie abwartend anschaut. Eilig durchquert Linnea den Flur und huscht ins Zimmer. Luca schaut ihr zu, als Linnea sich auf dem Sofa in ihre Decke kuschelt und auf ihre Finger starrt. Sie fühlt sich in seinem Zimmer sicher. So sicher, dass sie ganz von sich aus anfängt, zu erzählen. "Wir.. sind im Heim aufgewachsen, weißt du?" Flüstert sie mit einer Traurigkeit in der Stimme, dass es Luca fast körperlich weh tut. "Du und dein Bruder?" Er weiß nicht, warum er auch flüstert. "Ja. Ben war fünf Jahre jünger als ich.. unsere Mum ist an Krebs gestorben, als wir noch klein waren.. und unser Vater.. er ist mit ihrem Tod nicht klar gekommen, glaube ich. Man hat uns erzählt, dass er Alkoholiker wurde und depressiv.. deshalb sind wir ins Heim gekommen.." Ein Schluchzen verlässt ihre Kehle, Linnea beginnt wieder, zu weinen. Sie sieht so zerbrechlich aus. Alles in Luca verlangt danach, für sie da zu sein. Soll er sie umarmen? Vielleicht verschließt sie sich dann wieder? Oder stößt ihn weg? Er zwingt sich, auf Abstand zu bleiben. "Das tut mir total leid.." "Muss es nicht. Du kannst doch nichts dafür." Schnieft sie, wischt sich über die Augen. "Ben hat.. er hat es nicht.. also.. kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag hat er sich.. das Leben genommen.. sie haben ihn in seinem Zimmer gefunden, als es schon zu spät war. In seinem Brief stand, er hätte es nicht ertragen, wenn ich achtzehn werde und ihn alleine dort zurück lasse. Weil man ja mit achtzehn das Heim verlässt. Es ist meine Schuld.." Heftiges Schluchzen schüttelt das Mädchen und Luca erträgt es nicht mehr, sie so allein da sitzen zu sehen. Er steht auf und geht zu ihr hinüber. "Schhhh!" Flüstert er, streckt seine Arme aus. Linnea denkt nicht nach. Sie wirft sich in die Umarmung und lässt ihren Tränen freien Lauf, obwohl sie eigentlich Nähe meidet und Umarmungen hasst. Sie fühlt sich sicher, bei Luca, der einfach bei ihr ist und sie weinen lässt, bis keine Tränen mehr da sind. Es tut gut, Linnea spürt, wie die Last, die auf ihr liegt, langsam weniger wird. Sie weint, bis Luca's Shirt völlig durchnässt ist. Ihr Schluchzen verstummt, Linnea atmet immer ruhiger. Ihr Kopf an seiner Schulter wird schwerer und schwerer. Sie schläft erschöpft ein. 

Als Fred seinen Kopf ins Zimmer steckt, zieht er überrascht die Augenbrauen hoch. Fragend schaut er Luca an. "Ich komme sofort." Wispert der und Fred nickt. Verschwindet wieder, Luca sieht zu dem Mädchen in seinen Armen hinab. Wie soll er denn jetzt..? Ganz vorsichtig entzieht er sich ihrer Umarmung, legt sie aufs Kopfkissen und deckt sie wieder zu. Ein letzter, besorgter Blick streift sie, bevor der Junge sein Zimmer verlässt. In der Küche wartet Fred auf ihn. Er sitzt am Fenster und raucht, auf dem Tisch steht frischer Kaffee. Luca lässt sich auf einen Hocker fallen und schnauft. Das hat ihn doch ganz schön mitgenommen. Aber wenigstens weiß er jetzt etwas mehr. Freds fragender Blick bohrt sich in seine Stirn, Luca schaut ihn an. "Sie heißt Linnea." Fängt er an, Fred nickt. Er sieht längst nicht mehr so wütend aus, wie vorhin. "Erzähl mir was Neues." "Naja, ich hab sie.. beim Fest gesehen. Sie hat versucht, zu klauen.." Gesteht Luca, Fred stößt überrascht den Rauch seiner Zigarette aus. Damit hat er nicht gerechnet. "Was? Echt jetzt?" "Ja.. aber.. ich meine, sie.. sie hatte Hunger." Lucas Blick schweift zu den Töpfen von letzter Nacht, die noch auf dem Herd stehen. Fred scheint zu verstehen. "Deshalb Spaghetti mitten in der Nacht?" Luca nickt. "Sie tat.. sie tut mir leid. Was sie mir eben erzählt hat.." Er zögert. Wenn er Fred das jetzt alles erzählt, missbraucht er Linneas Vertrauen, das sie ihm gerade erst anfängt, entgegen zu bringen. "Ich möchte es dir gerne sagen, wirklich. Aber.. ich möchte ihr nicht in den Rücken fallen. Verstehst du?" Fred sieht ihn schief an. "Ich verstehe nicht ansatzweise.. was da los ist. Aber ich hab kapiert, dass es dir wichtig ist. Dass sie dir wichtig ist. Warum auch immer. Sag bescheid, wenn irgendwas ist, ja? Ich helf dir." Seine Worte erleichtern Luca. "Danke! Vielleicht kann ich dir so viel sagen.. sie hat keine Familie mehr. Viel mehr weiß ich selber noch nicht." "Oh man.. das klingt echt traurig.." Betreten sehen die Jungen sich an. Fred drückt seine Kippe aus. "Was willst du jetzt machen?" Luca zuckt mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Ich dachte, für's Erste kann sie vielleicht bei uns bleiben? Ich glaube, sie hat kein Zuhause." Luca fragt sich plötzlich, wo sie wohl untergekommen ist, seit sie aus dem Heim musste. "Für's Erste hab ich da kein Problem mit." Nickt Fred. Luca steht auf und nimmt seinen Kaffeebecher. Mit einem zufriedenen "Danke, Fred." klopft er seinem besten Freund auf die Schulter und verlässt die Küche.

dark sea [a giant rooks fanfiction]Where stories live. Discover now