Vier

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In Luca's Zimmer hat Linnea sich inzwischen noch weiter unter ihre Decke verkrochen. Sie muss wirklich total kaputt sein. Psychisch und physisch total fertig. Luca hockt sich mit Kaffee und Laptop auf die flache, breite Fensterbank und schaut Linnea beim Schlafen zu. "Benne.. nicht.." Verdutzt schaut Luca vom Bildschirm auf. "Nicht.. ich bin doch da.. Benne.." Benne? Vielleicht ihr Bruder Ben? Luca schluckt. Er hat so eine Ahnung, was sie da gerade träumt. Träumt sie es, weil sie mit Luca darüber geredet hat? Sofort fühlt er sich schuldig und klappt seinen Laptop zu. Der dampfende Kaffee bleibt in der Fensterbank zurück, als Luca sich vor das kleine Sofa kniet und Linnea vorsichtig an der Schulter rüttelt. "Linnea.. hey, wach auf. Wach auf.." Bittet er, sie schlägt nach ihm und verfehlt ihn nur knapp. "Nein! Zu Benne! Lasst mich.. Lasst mich!" Mit einem Schrei schreckt sie aus dem Albtraum hoch und starrt Luca mit geweiteten Augen an. Ihr Herz rast, sie zittert am ganzen Körper. "Schhhh! Hey, das war nur ein Albtraum. Du hast geträumt.." Ganz sanft streicht Luca ihr über den Arm, Linnea nimmt seine Hand und hält sie krampfhaft fest. Unter den unsichtbaren Kreisen, die Luca mit dem Daumen auf ihren Handrücken malt, beruhigt sie sich langsam und lässt sich schließlich ins Kissen zurück fallen. "Tut mir leid.. ich träume oft schlecht.." Murmelt sie, Luca schüttelt den Kopf. "Das muss dir überhaupt nicht leid tun.. du kannst nichts dafür." Ihre grünen Augen mustern ihn ungläubig. Wieso scheint alles so leicht, wenn er da ist? Wieso ist er überhaupt für sie da? Sie findet im hellen Grau seiner Augen keine Antwort darauf und rollt sich verwirrt unter der Decke zusammen. "Schlaf weiter.. Ich passe auf." Verspricht Luca und setzt sich wieder in die Fensterbank. "Danke." Nuschelt Linnea in die Decke, hinter der sie ein Lächeln versteckt. Zu wissen, dass Luca auf sie aufpasst, lässt sie in einen traumlosen, tiefen Schlaf sinken.

Als Linnea die Augen aufschlägt, wird es draußen schon langsam dunkel. Wie lange hat sie wohl geschlafen? Sie streift sich ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht und setzt sich auf. Ihr Blick fällt auf Luca und sie kann ein Grinsen nicht verhindern. Er sitzt noch immer in der Fensterbank, mit dem Kopf ans Glas gelehnt schläft er und schnarcht dabei ganz leise. Das Fenster beschlägt immer wieder, wo sein Atem auf das kalte Glas trifft. Der Laptop auf seinem Schoß schwankt gefährlich. "Was machst du denn da.." Murmelt Linnea und schält sich aus der Decke, steht auf. Vorsichtig hebt sie das Gerät von Luca's Beinen und stellt ihn auf seinen Schreibtisch. Der Junge bekommt davon nichts mit. Linnea schleift die Bettdecke von seinem Bett und deckt ihn vorsichtig zu. Dann guckt sie sich um. Zum ersten Mal nimmt sie Luca's Zimmer wirklich wahr. Die Wände sind teils grau, teils weiß gestrichen, und über seinem Bett hängt ein blauer Schal. HSV. Vielleicht Fußball? Linnea grinst. Irgendwie ist das süß, auch wenn sie für Fußball nichts übrig hat. Je weiter sie ihren Blick schweifen lässt, desto interessanter erscheint ihr der Junge. In einer Ecke stehen zwei Bässe und eine Gitarre hängt an der Wand. Ist er Musiker? Ein hohes Regal mit Platten steht neben seinem Schreibtisch. An der Seite baumeln etliche Karten an Bändern hinab. Was ist das? Neugierig tritt Linnea näher und beäugt die Teile. "All Access.. Artist.. All Areas.." Murmelt sie und runzelt die Stirn. Die sehen aus, wie Pässe für irgendwelche Events, oder so. Und überall stand das Gleiche drauf. Giant Rooks. Luca Göttner. "Artist.." Wiederholt Linnea, streicht über die Karte. Lollapalooza. Davon hat sie schonmal gehört. Ein Musik Festival hier in Berlin. "Bist du in einer Band, Luc?" Murmelnd wendet sie sich von den Pässen ab und sieht sich weiter um. An der Pinnwand über dem Schreibtisch hängen ein paar Bilder, von denen Luca ihr entgegen strahlt. Mit Freunden oder so. Einen erkennt Linnea wieder. "Du bist Fred." Dieser Schreihals, der sie am Morgen so angebrüllt hat. Eigentlich sieht er doch ganz nett aus. Ob er und Luca beste Freunde sind? Ein Foto sticht ihr besonders ins Auge. Eine Bühne, auf der eine Band spielt davor eine riesen Menschenmenge. Linnea braucht eine Weile, um zu kapieren, dass es Luca ist, den man am Bass erkennen kann. Staunend nimmt sie das Bild ab und dreht sich um, um sich aufs Sofa fallen zu lassen und bleibt abrupt stehen.

Ein helles Augenpaar schaut sie an. "Was soll'n das werden?" Grinst ein verschlafener Luca, Linnea wird knallrot. Sie ist einfach an seine Sachen gegangen, ohne ihn zu fragen. Hastig hängt sie das Bild wieder an die Pinnwand und verschränkt die Arme hinter ihrem Rücken. "Ähh. Nichts. Ich.. ich hab nur.." Luca's Grinsen wird noch breiter. "Hey, kein Problem, wirklich. Ich freu mich, wenn du dich hier umschaust." Er hebt seine Decke an und legt den Kopf schief. "Hast du mich zugedeckt?" Linnea schaut auf ihre Füße und nickt. Sie sucht das Loch im Boden. "Ja, weil.. ich dachte.. du hast mir doch auch eine Decke gegeben." Ihre Schultern zucken. Luca steht auf und kommt zu ihr. "Danke. Ich glaube, die Mütze Schlaf brauchte ich." Sie lächeln sich an. Linnea wird klar, dass sie sich nicht zu schämen braucht. Für ihn ist das alles hier so selbstverständlich. Die Frage, wer er eigentlich ist, macht sie verrückt. Als wenn er Gedanken lesen könnte, nimmt Luca das Bild von der Pinnwand. "Das sind wir.. also meine Band.. Giant Rooks heißen wir. Hast mich schon erkannt, hm?" Fragt er, Linnea sieht mit großen Augen zu ihm auf und nickt. "Ja." "Ich spiele Bass.. wie du vermutlich auch schon gesehen hast.. und mach so backing vocals und so.." Sein Blick wandert zu den Instrumenten in der Zimmerecke. Wieder nickt Linnea. "Fred ist auch in der Band und noch drei andere Jungs.." "Wie cool! Kann man.. also.. kann ich was von euch hören? Bitte bitte!" Ihre Augen beginnen zu leuchten. Luca überlegt. "Lass uns doch was zu essen machen und dann zeig ich dir unsere Mukke?" Schlägt er dann vor. Linnea ist einverstanden. Auf dem Weg in die Küche merkt Luca, dass das Mädchen noch immer skeptisch ist, was Fred betrifft. Wieso hat er sie auch so anschreien müssen? "Auf was hast du Hunger?" Lenkt er sie ab, als sie sich unsicher umschaut. "Äh.. irgendwas mit Gemüse?" Luca öffnet den Kühlschrank. "Irgendwas mit Gemüse.." Murmelt er, zieht die untere Schublade auf. "Ich glaube, das lässt sich einrichten." Lächelnd legt er ein bisschen was raus und die beiden fangen an zu kochen. Später, in seinem Zimmer, lassen sie es sich schmecken und hören der Platte zu, die Luca aufgelegt hat. Linnea genießt diese ruhigen Momente so sehr, dass sie sich total darin verliert und leise mitsummt. Mit geschlossenen Augen sitzt sie auf dem Teppich in der Mitte des Zimmers. Auch Luca hält mit dem Essen inne, doch nur, um sie anzuschauen. Er findet es total schön, wie sie sich der Musik hingibt. Nach drei Songs dreht Luca die Platte um, Linnea schaut auf. "Wow.." Staunt sie, Luca errötet. "Naja.." Winkt er ab, sie schüttelt den Kopf. "Nein, wirklich! Ihr klingt total schön.. ich könnt's die ganze Zeit hören." Schwärmt sie, Luca schiebt sich verlegen die letzte Gabel von seinem Essen in den Mund. "Kannst du gerne machen. Und zwei Songs kommen ja noch." Mampft er, Linnea strahlt und lauscht wieder der Musik. 

Nach dem Essen machen sie es sich in Luca's Zimmer wieder gemütlich. Obwohl er noch tausend Fragen hat, möchte Luca sie heute damit nicht mehr löchern. Linnea scheint einigermaßen fröhlich zu sein und das findet er zu schön, um es kaputt zu machen. Ihre Augen verfolgen total gespannt das Geschehen auf dem Fernseher, wo Harry Potter gerade erfährt, dass er ein Zauberer ist. "Und du kennst das echt nicht? Und auch nicht die Bücher?" Luca ist entsetzt. Linnea schüttelt den Kopf. "Wir hatten sowas nicht, im Heim.." Luca seufzt. Jetzt hat er es doch geschafft, dass sie traurig ist. "Tut mir leid.. ich wollte nicht, dass du daran denkst.." Murmelt er schuldbewusst. Sie lächelt ihn an. "Quatsch." Er erwidert ihr Lächeln. Eine Weile schweigen sie beide. "Du, Luca?" Sein Blick fliegt wieder zu ihr. "Ja?" "Wie lange.. also.. darf ich eine Weile hier bleiben? Ich mag es hier.." Fängt sie an, sieht ihm schüchtern in die Augen. "Aber ich verstehe auch, dass es nur vorübergehend ist.." Luca lächelt bei ihren Worten. Sie mag es hier. "Klar, kannst du ein Bisschen hier bleiben. Ich find's.. schön. Dass du da bist." Gibt er zu und ist froh, dass Linnea im schwachen Licht des Fernsehers seine roten Wangen nicht sehen kann. "Danke, Luca." Die Freude in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. "Aber wenn du länger bleiben willst, müssen wir morgen mal einkaufen gehen. Es ist komisch, dass du nach meinem Duschgel riechst." Grinst er schließlich, Linnea kichert. "Stimmt. Aber.." Ihr Lachen verstummt. ".. ich hab doch kein.." "Mach dir keine Sorgen, Linn." Fällt Luca ihr ins Wort, sie schauen sich verdutzt an. Hat er sie gerade Linn genannt? Sie weiß nicht, was sie sagen soll.  Es fühlt sich ungeahnt toll an, dass er ihr einen Spitznamen gibt. Luca kaut auf seiner Unterlippe. Was bedeutet ihr Blick? Darf er sie so nennen? "Ist das.. ich meine.. ist das okay?" Flüstert er, sie zögert. "Ich.. ja.. vielleicht." Sie schenkt ihm ein dünnes Lächeln und versteckt sich verlegen in ihrem Kissen. "Okay. Linn." Sie hört sein leises Lachen, als er merkt, dass es ihr peinlich ist und ihre Mundwinkel ziehen sich noch höher. Es klingt wirklich schön, wenn er sie so nennt. Linn.

dark sea [a giant rooks fanfiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt