Acht

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Mit dem Schnee kommt Weihnachten. Mit Weihnachten kommt Silvester. Und mit Silvester das neue Jahr. Bibbernd stopft Linnea die letzte Zeitung in einen Briefkasten und schlittert auf wackeligen Beinen zurück auf den Gehweg. Wieso macht sie diesen Job nochmal, bei dem man dauernd auf zugefrorenen Pfützen ausrutscht und sich die Finger an Briefkästen klemmt? Missmutig grummelt Linnea, doch sie weiß, dass es die richtige Entscheidung war, ihr eigenes Geld zu verdienen. Auch, wenn es nicht viel ist, fühlt sie sich damit besser. Linneas Finger zittern vor Kälte, als sie etwas später den Schlüssel in die Haustür zur WG schiebt und aufschließt. Sie freut sich tierisch, Fred endlich zu zeigen, wie viel sie jetzt spielen kann. Allein der Gedanke an den Jungen bringt sie zum Lächeln. Hätte jemand Linn vor zwei Monaten gesagt, dass sie bei Fred mal Bauchkribbeln kriegen würde, hätte sie ihn wahrscheinlich ausgelacht. Doch jetzt.. Kuschelige Wärme empfängt sie oben in der Wohnung, Linn bekommt Gänsehaut und seufzt wohlig. "Linn?" Luca's Stimme dringt von seinem Zimmer bis zur Wohnungstür. "Ja!" Schreit sie zurück, während sie ihre Turnschuhe abstreift und ihre Jacke an die volle Garderobe quetscht. Seine Zimmertür öffnet sich, Luca lächelt ihr entgegen. Er hat die ganze Zeit auf Linn gewartet. "Hey. Da bist du ja wieder." Freut er sich, Linn nickt. "Und ich bin komplett durchgefroren! Fühl mal!" Grinst sie und streckt ihre Hand nach Luca's Wange aus. "Nein, wäh, geh weg!" Luca weicht zurück, bevor er ins Wohnzimmer flüchtet. "He, komm sofort zurück!" Lachend folgt Linn ihm und jagt ihn um den Couchtisch, ehe sie sich ruckartig umdreht und Luca fast in sie hineinstolpert. "Hab dich!" Triumphierend umarmt sie ihn. "Linn! Och nee.." Luca erschauert vor der plötzlichen Kälte, während Linn seine Wärme genießt. "Du bist so eine Heizung, Luc." "Und du ein Eiswürfel.. aber ich hab dich trotzdem lieb." Gibt er zu, schlingt seine Arme ebenfalls um sie und vergräbt seine Nasenspitze in ihrem Haar. Wird er sich je daran gewöhnen, wie schön es sich anfühlt, mit ihr zu kuscheln? Zum Glück kann Linnea seine roten Wangen nicht sehen. "Nicht so lieb, wie Schlafen. Das hast du am Allerliebsten." Kichert das Mädchen, Luca zögert. "Ja.. stimmt wohl. Ehm.. hast du Lust, irgendwas zu machen?" Linn sieht zu ihm auf. "Naja.. eigentlich wollte ich gleich zu Fred gehen.. wir hatten ausgemacht, wieder zu üben.." Antwortet sie, Luca kneift enttäuscht die Lippen zusammen. "Oh.. Achso. Naja, dann.. viel Spaß." Ringt er sich ein Lächeln ab, Linn löst sich von ihm. "Danke! Wir können später was machen, versprochen!" Luca sieht zu, wie sie an Freds Tür klopft und sie öffnet. "Hey, du.." Freds Stimme erklingt. "Hey, Linn! Komm rein.. möchtest du gleich üben, oder hast du Lust auf einen Film?" "Film klingt gut! Harry Potter?" Er hört die Hoffnung in Linns Stimme, ehe die Tür zu fällt. Und da ist es wieder - dieses blöde Stechen in seiner Brust, gegen das Luca nichts tun kann. Harry Potter? Das guckt sie doch sonst immer mit ihm..

Der Abspann des Films beginnt und Linnea erwacht aus ihrem Tagtraum. Verdammt! Wird sie wohl irgendwann diese Filme komplett schauen, ohne abgelenkt zu werden? Doch.. Fred ist nun mal so viel interessanter, wenn er so nah neben ihr sitzt. Es fällt ihr total schwer, ihren Blick von seinem Gesicht zu lösen. Von seinen schönen Augen, die von langen Wimpern umrandet sind, von den blassen Sommersprossen auf seiner Nase und von seinen vollen Lippen. Wie gerne würde sie ihn gerade berühren. Linn kämpft gegen den Drang an und springt schließlich vom Bett auf. Vielleicht wird das Klavierspielen sie ablenken? Fragend blickt Fred sie an, doch als sie sich an sein Klavier setzt und ihn angrinst, versteht er, was los ist. Und er staunt nicht schlecht, als sie viel weiter spielt, als er beim letzten Mal mit ihr gelernt hatte. "He, hast du heimlich geübt?" Linnea sieht ihn ganz stolz an. "Vielleicht!?" Fred schmunzelt. Mal wieder hat sie es geschafft, ihn zu überraschen. "Das hört man! Du wirst echt schnell besser!" Lobt er, Linn bekommt ganz rote Ohren vor Freude. Das aus dem Mund eines Musikers zu hören, bedeutet ihr schon unglaublich viel. Doch dass es Fred ist, macht sie wirklich glücklich. "Danke, Fred!" Er legt ihr einen Arm um die Schultern und drückt sie ganz sanft. Linns Herz überschlägt sich fast, seine plötzliche Nähe macht sie, wie jedes Mal, völlig verrückt. "Bitteschön! Komm, ich zeig dir, wie es weiter geht, hm?" Heftig nickt Linn und schaut ihm ganz genau auf die Finger, bevor sie es selbst versucht, immer wieder. "Was hörst du eigentlich für Musik?" Fragt Fred sie, nachdem Linn fast zwei Stunden lang geübt hat. Sie überlegt. Ja, was hört sie eigentlich? "Ehm.. also.. eigentlich höre ich halt das, was Luc so hört. Ich hab ja keine eigenen Platten oder ein Handy oder so.." Fred staunt. "Und im.. Heim?" Linn schüttelt den Kopf. "Da auch nicht.. naja, wir hatten so Maxi CDs.. von Super RTL oder so.." Fred lacht auf. "Oh man.. die Dinger waren schrecklich. Hast du Lust, in einen Plattenladen zu gehen? Wir könnten dir deine erste eigene Platte holen." Schlägt er vor, Linns Mundwinkel ziehen sich sofort nach oben. "Ja! Ja, das wäre toll!" Begeistert läuft sie in den Flur. "Ich frage Luc, ob er auch mitkommt!" Schmunzelnd folgt Fred ihr und schlüpft an der Tür in seine Schuhe.

In Luca's Zimmer sitzt der Junge in seiner Fensterbank und starrt nach draußen. Als Linn stürmisch die Tür aufreißt, zuckt er erschrocken zusammen und wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. "Linn! Was.." "Kommst du mit in den Plattenladen? Fred und ich wollen meine erste Platte kaufen!" Strahlt sie und sieht so unglaublich glücklich aus. So, so schön. Luca beißt sich auf die Unterlippe und wendet sich wieder seinem Fenster zu. So viel zum Thema, sie würden später was zusammen machen. Das hat Luca sich nicht darunter vorgestellt. Sie eben im Zimmer nebenan zusammen lachen zu hören, ist schon schwer genug gewesen. "Nein, ich.. geht ihr mal ruhig. Mir ist nicht danach." Murmelt er, Linn zuckt mit den Schultern. "Okay." Sie schnappt sich ihren Geldbeutel und verlässt das Zimmer. Luca's "Bis später.." hört sie gar nicht. Seine Augen heften sich wieder auf die schneebedeckte Straße. Augenblicke später treten Linn und Fred unten auf den Gehweg, sie hakt sich bei ihm unter, während sie die Straße überqueren. "Mist.. ganz blöder Mist.." Nuschelt Luca traurig und lässt die Jalousie herabrasseln, weil er nicht ertragen kann, wie Fred seinen Arm um Linns Schultern legt.

dark sea [a giant rooks fanfiction]Where stories live. Discover now