Elf

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Die eisige Abendluft tut Luca gut. Seine Wut schwindet genauso plötzlich, wie sie in ihm aufgestiegen ist und mit einem Mal ist er wieder einfach nur total traurig. Ziellos irrt er durchs Viertel, Straßenecke um Straßenecke. Der Schnee knirscht unter seinen Schuhen, die schon ganz durchgeweicht sind. Luca's Füße sind wie eingefroren, doch das nimmt er nur am Rande war. Seine Gedanken kreisen wie verrückt um Linnea, Linnea und nochmal Linnea. Bevor er merkt, wie weit er eigentlich gelaufen ist, drückt Luca mit zitternden Fingern auf eine Türklingel. Es dauert eine Weile, dann knistert es in der Gegensprechanlage. Eine dem Jungen nur allzu bekannte Stimme ertönt. "Hallo?" "Hey, ehm.. Ich bin's.. Luc. Mach mal auf.." Der Öffner summt, Luca stößt die Tür auf und quält sich die Treppen hinauf in den dritten Stock. Erst jetzt merkt er, wie kalt ihm eigentlich ist und zieht sich die triefenden Schuhe und Socken noch vor der Wohnungstür aus. Sie steht offen, wohlige Wärme empfängt den frierenden Jungen. Leise schließt er die Tür hinter sich. "Bin in der Küche!" Luca folgt der Stimme und dem Klirren von Geschirr und bleibt im Türrahmen zur Küche stehen. "Hey.." Fängt er an. In jeder anderen Situation hätte er jetzt wahrscheinlich geschmunzelt. Dass sein Kumpel um die Zeit noch aufräumt, sieht ihm ähnlich. Johnny blickt vom Geschirrspüler auf und stutzt. Wieso steht sein Kumpel barfuß da? Seine Füße sind genauso rot wie die verheulten Augen mit den dunklen Ringen darunter. Die Haare stehen ihm zu allen Seiten ab. "Ehm.. was ist dir denn passiert? Du siehst echt.. übel aus. Und du zitterst ja total. Wo.. sind deine Socken?!" Besorgt lässt Johnny das Geschirr stehen und greift nach dem Wasserkocher. "Willst du in mein Zimmer? Ich mach dir 'nen Tee, oder willst du lieber.." Luca unterbricht ihn forsch. "Bier. Ich nehm ein Bier." Kritisch mustert Johnny seinen Kumpel. "Oh.. okay.." Er holt zwei Bier aus dem Kühlschrank und öffnet sie, ehe er Luca eins reicht.

In seinem Zimmer lässt Johnny sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen, während Luca das ganze Sofa einnimmt und seine Füße an die Heizung hält. "Hast du dich.. mit Fred gezofft, oder so?" Luca nimmt einen großen Schluck aus der Flasche. "Hm.. auch, ja. Ich.. wir haben doch von Linnea erzählt, oder?" Johnny nickt. "Ja, das Straßenmädchen. Sie wohnt noch bei euch, oder? Bist du wegen ihr so mies drauf, oder.." Luca's Wangen werden sofort feuerrot. "Oh oh.. jetzt echt?" Johnny hat wie immer ziemlich schnell eins und eins zusammen gezählt. "Du und.. sie?" Luca zuckt mit den Schultern und spielt mit dem Kronkorken. "Wäre schön gewesen.." Murmelt er, sein Gegenüber seufzt. "Oh man.. was ist passiert?" Eine ganze Weile sagt keiner was, ehe Luca wieder leise das Wort ergreift. "Ich hab's ihr gesagt.. und sie will Fred. Ich kann seit Wochen nur an sie denken und jetzt.." Geknickt sieht er Johnny an, der bloß den Kopf schüttelt. Damit hat er echt nicht gerechnet. Er will sich gar nicht ausmalen, was in der WG los ist. Kein Wunder, dass Luca die Flucht ergriffen hat. "Und Fred? Wie.. wie sieht er das?" Luca schnaubt böse. "Ich weiß nicht.. er sagt, da ist nichts, aber.. es kommt mir so vor, als hätte er mir Linn weggenommen.." Johnny runzelt die Stirn. "Glaubst du echt? Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Du kennst Fred doch. So ist er nicht. Meinst du nicht, dass er einfach mit Linn befreundet sein möchte? Immerhin wohnt ihr alle zusammen, da ist es doch klar, dass die zwei auch was miteinander machen. Hey, ihr seid beste Freunde, Fred lügt dich nicht an." Luca verzieht das Gesicht. Sowas in der Art hat Fred auch gesagt. Wieso muss Johnny immer recht haben? "Ja stimmt schon.. aber.. ich weiß auch nicht, sie haben so oft zusammen gehangen in letzter Zeit. Entweder, Linn ist bei ihrem blöden Job, den sie gar nicht machen müsste, oder sie übt mit Fred an seinem Klavier. Damit hat er sie gekriegt. Ich hab das Gefühl, sie hat mich dabei total vergessen.. ich sehe sie nur noch, wenn sie zum Schlafen in mein Bett kommt. Bestimmt möchte sie jetzt lieber bei Fred schlafen.. das fühlt sich so verdammt scheiße an.." Frustriert schmeißt Luca den Kronkorken von sich. Mit einem leisen Scheppern landet er auf dem Parkett, Johnny beugt sich hinab und hebt ihn auf. Nachdenklich dreht er ihn in seinen Fingern. "Und jetzt habt ihr euch richtig gestritten, du und Fred?" Luca schüttelt den Kopf. "Naja.. eigentlich.. hat er irgendwas geschwafelt und ich hab ihn dann aus meinem Zimmer geworfen. Ich.. ich war so wütend, in dem Moment.. ich konnte nicht anders. Total bescheuert, oder?" Luca kommt sich plötzlich ziemlich dumm vor. Hätte er seine Gefühle besser unter Kontrolle, hätte er vielleicht ganz ruhig mit Fred reden können, wie jetzt mit Johnny. Oder wie Fred und Linnea, Zuhause auf der Couch? Was haben sie wohl geredet? Ob Linn Fred wohl gesagt hat, dass sie ihn mag? Was machen sie wohl, jetzt, wo Luca weg ist? Ihm stellen sich die Nackenhaare auf, eigentlich möchte er gar nicht daran denken. "Quatsch.. für Gefühle kann man nichts. Wie lange stehst du denn schon auf L.." Luca's böser Blick lässt Johnny verstummen. "Ich stehe nicht auf sie. Ich liebe sie." Knurrt Luca und knallt seine leere Flasche auf den Tisch. Johnny hebt abwehrend die Hände. "Sorry.. wie lange liebst du sie schon?" "Es ist schon ziemlich früh passiert.. noch im Herbst." Johnny staunt erst, doch dann nickt er. "Siehst du? Wenn da schon so lange Gefühle brodeln, ist es doch ganz klar, dass die irgendwann überkochen. Mach dich nicht selbst fertig, du hast nichts falsch gemacht." Seine Worte tun Luca gut, und doch fühlt er sich nur wenig besser. "Das sieht Linn glaub ich anders.. hast du noch ein Bier?" Murrt er und stellt die leere Flasche ab. Johnny nickt zögernd und holt ihm noch eins. Was ist eigentlich sein Plan? "Willst du hier pennen?" Luca zuckt mit den Schultern. "Wenn ich überhaupt schlafen kann.." Wieder kehrt Stille ein.

Luca's Handy beginnt zu klingeln und lässt die beiden Jungen zusammen zucken. Er muss nicht aufs Display schauen, um zu wissen, wer anruft. Sein Daumen wischt nach links und das Handy landet unter Johnnys skeptischem Blick irgendwo auf dem Sofa. Ziemlich schnell ist auch die zweite Flasche leer. Johnny seufzt hörbar. Dass Luca den Alkohol runterkippt wie Wasser, gefällt ihm überhaupt nicht. "Hey.. willst du nicht doch mit Linn oder Fred reden? Ihnen wenigstens sagen, wo du bist? Die machen sich bestimmt voll Sorgen.." Luca, der immer weiter ins Kissen sinkt, sieht ihn ungläubig an. "Bestimmt tun sie das. Ach, sollen sie doch rummachen oder was auch immer, mir doch.. mir doch egal.." Seine Stimme bricht, er dreht Johnny den Rücken zu. Der glaubt ihm kein Wort. Sein Kumpel ist so verletzt und erschöpft. Er würde ihm so gerne helfen, aber wie? Erneut klingelt das Handy, Johnny zögert. Doch als Luca sich nicht rührt, nimmt er es sich doch. Freds Name steht auf dem Display. "Hi, hier ist Johnny.." "Johnny? Was.. dann ist Luc bei dir?" Er nickt, bevor ihm einfällt, dass Fred ihn ja gar nicht sehen kann. "Ehm, ja." Erleichtertes Seufzen dringt durch den Hörer, gemischt mit leisem Weinen. "Gott sei Dank! Linn, hey.. Luca ist bei Johnny. Mach dir keine Sorgen. Es geht ihm.. Ehm, wie geht's ihm, Johnny?" Fragt Fred unsicher, Johnny kaut unschlüssig auf seiner Unterlippe. "Ganz ehrlich? Beschissen. Er kam hier total verheult an und hat gefroren, wie sonst was. Hat mir dann erzählt, was passiert ist und zwei Bier weg gehauen und.." Es raschelt, Johnny hält verwirrt inne. "Hallo.. kann ich.. mit ihm sprechen?" Die schüchterne Stimme gehört wohl dieser Linnea. "Hey. Ich glaube eher nicht. Er ist jetzt glaub ich.." Johnny steht auf und schaut Luca über die Schulter. Er hat die Augen geschlossen, Tränen schimmern in seinen langen Wimpern. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge verraten Johnny, dass Luca schläft. ".. ja, er ist fix und fertig eingeschlafen. Sorry, aber ich würde eher mein Klavier anzünden, als ihn jetzt zu wecken, also.. sprecht lieber morgen.. oder so." Er klemmt sich das Handy zwischen Kinn und Schulter und breitet eine Decke über Luca aus. "Linn.." Murmelt der ganz leise und kuschelt sich noch weiter ein. Johnny beobachtet ihn besorgt. Hoffentlich kommt das alles wieder irgendwie in Ordnung. "Hm.. okay." Linns enttäuschte Stimme holt ihn aus seinen Gedanken. "Aber.. soll ich ihm vielleicht was ausrichten, wenn er wach wird?" Linneas Antwort kommt schnell. "Ja! Ich meine.. ja, das wäre toll. Sag ihm, ich bin.. ich bin nicht mehr sauer. Und dass ich ihn.. dass ich ihn lieb hab." Flüstert sie ganz ehrlich, Johnny muss fast ein bisschen lächeln. Das klingt nicht, als wäre da gar keine Chance für die beiden. "Okay. Sag ich ihm. Naja, dann.. Nacht.." "Danke, Johnny. Nacht." Es tutet, Johnny legt das Handy auf die Fensterbank und verlässt sein Zimmer leise. Kurz geht er ins Bad, holt sich aus der Küche ein Glas Wasser und kehrt dann zurück. Müde kriecht er in sein eigenes Bett. Noch ein paar Mal hört er Luca Linns Namen nuscheln, ehe ihm auch die Augen zu fallen.

dark sea [a giant rooks fanfiction]Where stories live. Discover now