Neun

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Verstohlen schaut Linn Fred an, während sie neben ihm im Bus sitzt.  Seine Haarspitzen lugen unter seiner grauen Strickmütze hervor, seine Nase und Wangen sind ganz rot von der Kälte. Sein Blick liegt auf den entgegenkommenden Autos, draußen auf der Straße. Es scheint, als würde Fred sie zählen. Ein Lächeln schleicht sich auf Linneas Lippen. Er sieht so schön aus. Der Junge bemerkt Linns Starren und grinst. "Was?" Sie schaut ertappt auf ihre Hände. "Nichts, ich.. naja, ich hab mich gefragt, was du so hörst. Wir haben noch nie deine Platten gehört." Redet sie sich raus, Fred zieht überrascht die Augenbrauen hoch. "Du hättest einfach fragen können, weißt du?" Er zupft sich einen der Kopfhörer aus dem Ohr und schiebt ihn vorsichtig in Linneas. Seine Finger streifen ihre Wange, ihre Augen weiten sich und sie beißt sich auf die Unterlippe, um einen wohligen Seufzer zu unterdrücken. Ihre Haut kribbelt total, wo er sie berührt hat. Fast vergisst Linn die Musik, so sehr fasziniert seine Berührung sie. Als sie Freds fragenden Blick bemerkt, zuckt sie leicht zusammen. "Das ähh.. das klingt sehr schön. Von wem ist das?" "Von Sam Fender. Kannst du dir auch mal anhören, zu Hause. Ich meine.. wenn du möchtest. Ich hab die Platte." Die beiden lächeln sich an, ehe die Ansage der nächsten Station durch die Lautsprecher ertönt. "Wir.. sind wohl da." Murmelt Linnea verlegen und gibt Fred seinen Kopfhörer zurück. "Ja.." Er drückt auf den Knopf, damit der Bus an ihrer Haltestelle hält. Kurz darauf öffnen sich die Bustüren, Linn springt übermütig hinaus auf den zugeschneiten Gehweg. Prompt verliert sie das Gleichgewicht und rudert hilflos mit den Armen in der Luft herum. "Freeed!" Zeternd fällt sie ihm in die Arme, er schaut sie bloß an und lacht. "Woah, nicht so hastig! Ich dachte, dein Job hätte dir gezeigt, dass es glatt sein kann." Verdutzt guckt Linn drein und wird knallrot. "Ups." Sie rappelt sich auf und geht verschämt weiter. Wieso musste ihr das passieren? Fred folgt ihr kopfschüttelnd, doch das amüsierte Grinsen liegt noch immer auf seinen Lippen.

Gedankenverloren blättert Fred die Platten in den Regalen durch. Was könnte Linnea gefallen? Was hat sie wohl schon mit Luca gehört hat? Irgendwie kann er nicht anders, als sich zu fragen, wie sehr die beiden sich eigentlich mögen. Sie sehen immer so vertraut miteinander aus. Als wenn sie sich schon ewig kennen würden. Und Fred kann schwören, dass sie in einem Bett schlafen. Ob da vielleicht mehr ist, als sie zeigen? Linn, die mit einer Platte vor seiner Nase herum wedelt, reißt ihn aus seinen Gedanken. "Fred! Fred, guck mal! Die hol ich mir! Ich durfte sie mir gerade anhören und ich finde sie super!" Strahlt sie, Fred begutachtet die Hülle und runzelt die Stirn. "Unter einer Bedingung kannst du die mit nach Hause bringen.." Fängt er an, Linns Strahlen schwindet mit einem Mal. Zögerlich schaut sie Fred an. Mag er die Band nicht? "Ja..?" Fragt sie vorsichtig. Freds Mundwinkel ziehen sich nach oben. "Ich darf sie mir mal ausleihen." Hörbar atmet das Mädchen auf und boxt Fred gegen die Schulter. "Man, Fred! Ich dachte schon, du hast was dagegen!" Lachend legt er ihr einen Arm um die Schultern und schiebt sie behutsam zur Kasse. "Quatsch! Du kannst hören, was du willst. Nur dieser antifeministische, rassistische Rapmüll, der kommt mir nicht in die Bude." Linn lacht über seinen angewiderten Gesichtsausdruck und schüttelt den Kopf. "Bäh! Das mag ich auch überhaupt nicht! Und klar, kannst du dir die Platte leihen. Das ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann, für den ganzen Klavierunterricht." Fred seufzt. "Du sollst doch nicht immer alles aufwiegen. So sind wir nicht, Linn. Wir machen das, weil wir dich lieb haben, nicht weil wir eine Gegenleistung haben wollen. Wie oft müssen wir das noch sagen?" Linns Bauch beginnt zu kribbeln. Er hat sie lieb. "Ich weiß, aber.." "Nichts aber! Muss ich das Luc erzählen?" Droht Fred grinsend, sie schiebt die Unterlippe vor und schmollt. "Nein." Ihr bockiger Blick bringt Fred zum Schmunzeln. "Dann hör auf damit!" Grummelnd gibt Linn sich geschlagen und bezahlt ihre Platte. An der Tür beginnt sie dann, teuflisch zu grinsen. "Wenn ihr mich so lieb habt.. hast du bestimmt auch nichts dagegen, wenn ich mir die hier ausleihe, oder?" Schneller, als Fred gucken kann, hat sie ihm die Mütze vom Kopf gezogen und sich selbst aufgesetzt. Lachend rennt sie ihm davon, Fred steht perplex vor dem Laden. "Komm schon! Oder bist du festgewachsen?" Ruft Linn ihm zu, Fred fasst sich wieder. Herausfordernd sehen sie sich an, ehe er los sprintet und Linnea kreischend vor ihm wegläuft. Erst an der Bushaltestelle holt Fred sie ein. "Du.. du bist ziemlich.. schnell." Keucht Fred, Linnea triumphiert. "Vielleicht bist du auch einfach nur unglaublich langsam, mit deiner Raucherlunge!" Neckt sie und erntet dafür einen bösen Blick. "Jaja.. kann ich.. meine Mütze wieder haben?" Bittet er, Linnea überlegt. "Wenn du mich wärmst? Mir ist auch kalt." Versucht sie es ganz mutig, Fred zuckt mit den Schultern. "Weißt du, das Problem ist, ich bin selber ein Eiszapfen. Ich kann dich nicht wärmen." Linn zuckt ebenfalls mit den Schultern. "Schade. Luc wärmt mich immer, wenn ich friere.. naja, dann kannst du die Mütze wohl nicht wieder haben." Lacht sie und jetzt ist es Fred, der beleidigt die Unterlippe vorschiebt. Am Liebsten hätte Linnea ihn ganz eng gekuschelt, so niedlich sieht er aus. "Schmoll nicht. Guck, da kommt schon der Bus." Lächelnd zieht sie ihn nach vorne zur Straße, damit sie einsteigen können.

Zuhause dringt leises Gitarrenklimpern an ihre Ohren, als Fred und Linn herein kommen. "Hört sich an, als würde Luc spielen." Verwirrt hängt Fred seinen Mantel an die Garderobe. Er hat Luc schon ewig nicht mehr Gitarre spielen gehört. Fred kennt die Melodie nicht, doch er findet, dass sie ganz schön traurig klingt. Soll er nach seinem Kumpel sehen? Linn kommt ihm zuvor. "Stimmt! Ich schau mal nach ihm!" Sie geht schnurstracks auf das Zimmer der beiden zu und öffnet leise die Tür. Muss Luca unbedingt etwas erzählen. Der Anblick, der sie erwartet, ist nahezu unverändert zu vorhin. Luca sitzt noch immer in der Fensterbank, jedoch hat er tatsächlich seine Gitarre auf dem Schoß und spielt leise. "Luc? Hey.." Macht sie leise auf sich aufmerksam. Möchte ihn nicht nochmal so erschrecken. Er zuckt zusammen und sieht auf, lächelt ihr entgegen. Da ist sie ja endlich wieder! Vielleicht können sie jetzt Zeit miteinander verbringen?! "Hey.. wie war es in der Stadt?" Luca stellt seine Gitarre ab und nimmt die Platte entgegen, die Linnea ihm stolz präsentiert. "Super! Sieh, die gehört jetzt mir!" Luca nickt anerkennend. "Da bin ich ja mal gespannt! Rikas hab ich noch nie gehört. Willst du sie auflegen?" Lächelt er, kann seinen Blick nicht von Linns strahlendem Gesicht lösen. Wie süß sie bloß ist, wenn sie sich freut. "Ja!" Fast andächtig holt sie die Platte aus der Hülle und legt sie auf den Spieler. Erwartungsvoll sieht Linn Luca an. Mag er die Musik auch? Leicht wippt er mit dem Fuß mit und beginnt zu summen. Nach ein, zwei Liedern lächelt er. "Gefällt mir! Hast du gut ausgesucht!" Linn freut sich sichtlich über sein Lob. Dann gefällt es Fred sicher auch. Apropos Fred..

"Du.. Luc? Kann ich dir was verraten?" Unsicherheit spiegelt sich in ihren Augen, Luca hält inne. Was ist denn jetzt los? "Klar! Was gibt's?" Irgendwie nervös knetet Linn ihre Finger, setzt sich neben Luca auf die Fensterbank. Soll sie es ihm echt erzählen? Aber sie hat doch sonst niemanden, mit dem sie reden kann. Und wenn sie es nicht endlich wem sagt, wird sie noch platzen. Linnea nimmt sich ein Herz. "Ich.. ich glaube, ich mag Fred ganz schön doll.." Flüstert sie und Luca's Lächeln erstirbt. Linnea beißt sich auf die Lippe. Ist er jetzt sauer? Weil sie sich in seinen besten Freund verknallt hat? "Luc?" Vorsichtig stupst sie ihn an, als er nicht reagiert. Er hebt den Kopf und schaut sie irgendwie gequält an. "Das.. das ist.. schön. Ich freu mich für dich.." Presst er hervor. Es ist offensichtlich, dass er lügt. Enttäuscht schüttelt Linn den Kopf. Sie hatte gedacht, er würde sich wirklich für sie freuen. Könnte ihr vielleicht ein wenig helfen, mit Fred. "Tust du nicht. Das seh ich doch.. aber, warum, Luc?" Tränen brennen in ihren Augenwinkeln und auch Luca sieht aus, als würde er gleich weinen. Heftig schluckt er, ehe er ihre kalten Hände zitternd in seine warmen nimmt. "Weil ich verliebt bin.. in dich." Gesteht er endlich seine Gefühle und bereut es in der nächsten Sekunde, als Linn ihm ihre Hände grob entzieht und ihn entsetzt anstarrt. Von jetzt auf gleich hat er alles kaputt gemacht.

dark sea [a giant rooks fanfiction]Where stories live. Discover now