6 - ,,Darf ich mich erstmal vorstellen?"

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'Oom Sha La La' ~ Haley Heynderickx

CASPIAN

Der Abspann des Horrorfilms klang mit seiner schaurig-schönen Melodie durch mein Zimmer und Sadie drehte sich neben mir auf den Rücken, sodass sie nach oben auf die Dachschräge schaute und durch das zwischen den Balken eingelassene Fenster auf die Sterne draußen gucken konnte. Durch das schwache Licht konnte ich gerade so ihr schmales, zu einem seligen Lächeln verzogenes Gesichts erkennen. Wir hatten den Freitagabend gemeinsam mit zwei Schachteln Pizza verbracht und es uns gemütlich gemacht.

„Wollen wir noch in einen Club gehen?", fragte ich.
„Jetzt noch? Ich dachte, das wäre ein gemütlicher Couchfilmabend." Sie gähnte.
„Ehrlich gesagt... Muss ich."
„Wir können auch einfach die Ginvorräte deiner Mutter plündern, wenn du so unbedingt MUSST."
Ich grinste. „Du hast eine sehr schlechte Meinung von mir, Sadie. Nein. Ich war vor einigen Wochen in einer Bar in Camden und habe da ein Mädchen kennengelernt. Eine Frau."
Sie richtete sich auf und holte empört Luft. „Du hast mir kein Sterbenswörtchen erzählt!"
„Nicht was du denkst, Sadie-Schatz. Sie arbeitet da und wir haben uns nur unterhalten. Und dabei ist es mittlerweile zum Ritual geworden, dass ich sie freitags nach der Arbeit abhole und nach Hause begleite. Und wir eben reden..."
Sie warf mir einen anzüglichen Ja-klar-Blick zu.
„Indianerehrenwort."
„Und du gehst jeden Freitag mitten in der Nacht extra dahin, um sie abzuholen und dich mit ihr zu UNTERHALTEN?"
„Sie ist interessant", entgegnete ich mit einem Schulterzucken.
Wieder ihr Lieblingsblick. „Das sagen sie alle. Und dann laufen hier plötzlich ganz viele kleine Caspian-Minions herum."
Ich verdrehte die Augen darüber, dass Sadie nie ernst bleiben konnte.
„Na gut. Wir gehen in diesen Club. Aber du musst sie mir vorstellen. Sadie-Schatz ist neugierig", flötete sie und setzte sich aufrecht hin.

Während wir uns auf den Weg machten, fragte ich mich ob es eine gute Idee wäre, Graycen meine beste Freundin vorzustellen. Ich erinnerte mich deutlich daran, was am Anfang passiert war, als ich Gray kennenlernen wollte. Und Sadie war um Einiges direkter und unsanfter als ich. Sie war nett, ja, aber manche fanden ihre unerschrockene Art gewöhnungsbedürftig.

„Wie heißt sie denn?", fragte Sadie.
„Graycen." Ich sah ihr Gesicht vor meinem inneren Auge und musste lächeln. Sie hatte das Gesicht einer Puppe, zierlich und süß, und einen Mund, der so gar nicht dazu passen wollte, riesig und mit vollen, weichen, roten Lippen, und ihre Augen. Ihre schwarzen, tiefen Augen.
Sadie löcherte mich weiter. "Und warum ist sie so interessant?"
„Ich weiß nicht. Sie ist schön. Und irgendwie auch wieder nicht. Sie ist unerreichbar. Und irgendwie wieder nicht. Man kann sich gut mit ihr unterhalten. Und auch irgendwie nicht." Das entsprach nicht wirklich der Wahrheit. Aber ich wusste auch gar nicht, wie ich es sonst beschreiben sollte. Mir wurde klar, dass fünf Gespräche nicht einmal annähernd ausreichend waren, um irgendetwas mit Sicherheit über einen Menschen zu sagen. Und schon gar nicht über Gray.

Sadie bestand darauf, extra Eintritt zu bezahlen und in den Club reinzugehen. „Wenn wir schon einmal hier sind, will ich das auch nutzen", sagte sie.

Durch die vielen Menschen konnten wir einen Blick auf die Bar werfen, wo jedoch keine Graycen zu sehen war, sondern nur irgendeine Kollegin von ihr.

„Sie ist schon heiß", schrie Sadie mir ins Ohr. „Ich verstehe was du meinst. Aber ich verstehe nicht, wie ihr euch nur unterhalten könnt!"
Bevor ich sie aufhalten und erklären konnte, dass das gar nicht Gray war, drängelte sie sich inklusive Einsatz ihrer Ellenbogen und ohne Rücksicht auf Verluste zum Tresen vor. Dabei schaffte sie es doch tatsächlich, einem Typen den Becher aus der Hand und aufs Hemd zu stoßen. Er stellte sich mir in den Weg und rief Sadie irgendwelche Flüche hinterher, von denen ich froh war, sie nicht zu verstehen. Miss Unsensibel achtete nicht darauf, wahrscheinlich hatte sie es nicht einmal bemerkt.

Als ich endlich auch an dem Chaos vorbeigekommen war und neben Sadie an die Bar trat, sagte sie gerade zu der Blondine, die die Getränke einschenkte: „Bevor du und Caspian wieder eine Nacht verschwendet, sag ich euch mal etwas. Also: Das Leben ist zu kurz, um viel zu reden!"
Sie guckte erwartungsvoll in die Runde und stellte fest, dass die vermeintliche Gray nur etwas entgeistert und ich halb belustigt und halb verlegen schaute.
„Was ist?"
Ich atmete tief ein. „Nichts. Du warst nur so direkt. Aber red ruhig weiter."
„Danke. Gray, schau doch mal!" Sadie legte mir eine Hand auf die Schulter. „Solche braunen Augen findest du nicht so schnell wieder. Und willst du wirklich nicht wissen, was da unter diesem Hemd zu finden ist? Und erst jenseits dieser Jeans..." Auch Gray alias ihre Kollegin musste nun grinsen.
Derweil griff Sadie in meine Haare. "Hattest du wirklich noch nie das Bedürfnis, in diese weichen, blonden Haare zu fassen?"

Ich war ehrlich froh, dass sie das nicht der wirklichen Graycen erzählte. Und ich freute mich schon auf den Moment, in dem ihr klar wurde, dass sie den falschen Fisch im Netz hatte. Dafür ließ ich sogar dieses ganze Prozedere über mich ergehen.

„Ja, doch, das Bedürfnis hatte ich schon", sagte Graycen 2.0.
„Aber?", fragte Sadie.
„Er wollte nicht. Ich habe ja genug Andeutungen gemacht..." Auch wenn mich ihre Antwort empörte, mochte ich Graycen 2.0 jetzt schon dafür, dass sie einfach so mitspielte.
„Ach! So ist das... Na dann. Caspian, sind dir noch nicht Graycens wunderbar geschwungene Wangenknochen aufgefallen? Und diese langen Wimpern..." Ihr Blick wanderte tiefer. „Guck mal, was sich da für wohlproportionierte Möpse unter diesem Shirt verstecken. Willst du es dir wirklich entgehen lassen, die da rauszuholen?"
Ich verbarg den Kopf in den Händen. Jetzt wurde es langsam doch arg peinlich.

„Darf ich mich erstmal vorstellen?", fragte Gray 2.0. „Ich bin Catherine, Kollegin von besagter Graycen. Danke für die Komplimente."
Sadie schaute wie ein Eichhörnchen, dem man gerade die Nüsse geklaut hatte. Doch nicht lange, dann fand sie ihre Stimme wieder.
„Hey! Du wusstest das, du Nilpferd!", beschimpfte sie mich. „Ich bin deine beste Freundin, du hättest mir ruhig was sagen können! Weißt du was? Dir bring ich keine Pizza mehr mit." Beleidigt drehte sie mir den Rücken zu.
„Einen Tequila bitte!", rief sie Gray 2... Catherine zu. „Hahaha unglaublich witzig, Caspian!"

Während Gray 2.0 Sadie den Tequila eingoss, erzählte sie: „Graycen ist krank, Grippe oder so was. Sie meinte, ich sollte dir das ausrichten, wenn du hier auftauchst."
„Oh. Aber es geht ihr doch gut, oder?"
Sadie wirbelte wieder zu mir herum. „Sie hat Grippe, Casp. Wahrscheinlich wird sie gerade tanzend durch die Gegend hüpfen, Schmetterlinge fangen und den Spaß ihres Lebens haben", sagte sie trocken.

„Warst du nicht gerade noch die arme, verarschte beleidigte Leberwurst?", fragte ich.
„Dich kann man ja keine drei Minuten alleine lassen."
„Ja, und dich auch nicht. Oder wer hat vorhin versucht, zwei sich wildfremde Menschen zum Sex zu überreden? Zählt das eigentlich als sexuelle Belästigung?"
„Ich belästige dich gleich, du Mimose!", entgegnete sie. Unser Halb-Spaß-Halb-Streit-Gespräch wurde unterbrochen, als Gray 2.0 zwei Gläser vor uns abstellte.
„Jetzt trinkt erstmal und hört mit diesem dämlichen Gezeter auf. Das geht aufs Haus."

Während ich den Hochprozentigen in einem Rutsch hinterkippte (Huiuiui), begann mein Hirn zu arbeiten. Gab es jemanden, der sich um Graycen kümmerte? Ihr Bruder? Ich musste an den Super-Heiltee denken, den meine Mum immer kochte, wenn Flory oder ich krank waren.

Als ich in die Augen meiner besten Freundin schaute, hob sie die Augenbrauen und warf mir einen Ich-weiß-genau-was-du-denkst-Blick zu.

„Schau doch einfach morgen bei deiner ach so geliebten Nachtclub-Freundin vorbei, wenn dir das keine Ruhe lässt."

~1207 Wörter

author's note:

Wie findet ihr Sadie? Ganz ehrlich, ich liebe sie...


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