15 - ,,Ich weiß nicht, ob ich jemandem vertrauen kann."

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‚Moonlight' - Justus Rümenapp

GRAYCEN

Das Wasser rauschte in meinen Ohren. Ich nahm einen weiteren Atemzug, teilte mit einer kräftigen Armbewegung die scheinbar undurchdringliche Masse vor mir, tauchte unter, atmete aus und kam wieder hoch. Noch dreimal, dann war ich am Beckenrand. Die Geräusche, die Schwerelosigkeit und die Bewegungen beruhigten mich irgendwie. Sie brachten keine Ordnung in das Chaos in meinem Kopf und auch keine Antworten auf die vielen ungeklärten Fragen, aber es schien, als würden sie den Lautstärkeregler für all diese Dinge zurückdrehen. Als wären sie auf einmal unwichtiger, weil hier im Wasser alles so weit weg schien. Als wäre das hier eine andere Welt. Und eigentlich war es das ja auch, oder? Die Physikalischen Gesetze waren hier außer Kraft gesetzt. Plötzlich konnte man fast schweben und gleichzeitig fühlte sich jede Bewegung schwerer an. Ich fühlte mich gut hier im Nass, ganz ich selbst, aber ich wusste auch, dass Wasser eine gefährliche Waffe sein konnte. Vielleicht nicht hier in diesem 1,80m tiefen Becken, aber meine Vorstellungskraft reichte, um daraus einen Ozean zu machen.

Ich griff nach dem Beckenrand und drehte mich auf den Rücken. Das Glasdach über mir spiegelte halb die Bewegungen hier unten, halb konnte ich hindurch schauen auf einen von weißen Wolkenschlieren überzogen Himmel. Ich wusste nicht, warum ich vorgeschlagen hatte, schwimmen zu gehen, vielleicht, weil ich genau dieses Gefühl hier vermisst hatte. Dass alles zu schweben schien. Dass es dadurch so leicht wurde.

Die letzte Woche über hatte ich nicht aufhören können, daran zu denken. An den Kuss und vor allem, ob es das Richtige gewesen war, einfach wegzulaufen. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Was das jetzt zwischen uns war. Oh Gott, ich hatte schon hunderte Bücher gelesen, die sich mit dieser Frage beschäftigten. Aber selbst die Antwort zu finden war...schwer.

Lass uns den Kuss nicht vergessen. Das hatte Caspian gesagt. Damit war ich völlig einverstanden, denn er war...unheimlich gut gewesen. Als hätte ich auf einmal meinen Menschen zum Küssen gefunden. Als würden unsere Lippen genau aufeinanderpassen. Als wäre das Feuerwerk der Party, das ich verpasst hatte, schon zwischen uns explodiert.
Aber ich glaubte nicht, dass wir ihn wiederholen konnten. Nicht bei dem, was mir durch den Kopf schoss. Ich wusste nicht, wie es dann weitergehen sollte. Einen Kuss konnte man noch als Ausrutscher bezeichnen, einen zweiten nicht mehr. Ich konnte mich vor den Unterschieden zwischen uns verstecken, aber das änderte nichts daran, dass sie irgendwann einen Keil zwischen uns treiben würden. Spätestens wenn Caspian sie auch bemerkte. Und das würde er. Nicht nur, wenn aus der Freundschaft und dem Kuss plötzlich eine Beziehung werden würde, sondern auch wenn es bei Freundschaft bleiben würde. Nur der Riss, der wäre dann wohl tiefer.
Ja, ich hatte Angst. Egal, wie stark ich zu sein versuchte, ich spürte die kalten Finger, die mir die Kehle zuschnürten. Ich hatte Angst davor, nichts zu tun und alles zu tun. Ich hatte Angst davor, Caspian zu verlieren und Angst davor, ihn bei mir zu behalten. Es war zum Kotzen, denn ich kannte die Lösung nicht.
Plötzlich wünschte ich mir so sehr, einfach normal zu sein, wie schon lange nicht mehr. Ich hasste es, dass meine Herkunft und Vergangenheit selbst jetzt noch alles ruinierte. Dabei hatte ich sie doch in die tiefste und hinterste Schublade gestopft. Ich hasste es, dass sie mir im Weg stand, weil ich nicht den Mut aufwenden konnte, Caspian davon zu erzählen. Weil ich nicht wollte, dass dann vielleicht alles vorbei war. Weil es so schön war, einfach von einem Menschen wertgeschätzt zu werden - das war selbstsüchtig, ich wusste es. Weil ich mich vor seiner Reaktion fürchtete. Es gab gar keinen richtigen Grund, es waren einfach Angst und Scham und Panik und Schmerz. Und ich wusste, dass es an mir lag. Caspian hatte mir ohne zu Zögern vom Tod seines Vaters erzählt, als ich ihn danach gefragt hatte. Nur ich war wieder einmal die, die aus allem ein Riesenproblem machte und bescheuerte Vertrauensängste und Was-wenn-Fragen im Kopf hatte.

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