13 - ,,Heute mit Begleitung, wie schön."

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,A dance at the Crossroad' - Oscar Blue

GRAYCEN

„Na, was sagst du?", fragte Ruth mich. Ich stand vor dem Spiegel in meinem Zimmer, in dem einzigen festlichen Kleid, das ich besaß. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte ich es mal für einen Schulball im Sonderangebot gekauft, zu dem ich dann doch nicht gegangen war.
Ich zuckte mit den Schultern. Es war petrolblau, oben und am Saum aus satinähnlichem Stoff, mit einem Rock aus leichtem Chiffon und bis zur Hüfte eng geschnitten, dann fallend bis zu den Waden wie ein typisches Tanzkleid. Mir war bewusst, dass es nicht unbedingt modern aussah, aber es war doch ganz hübsch und würde seinen Zweck tun.

Als Caspian mich gefragt hatte, ob ich zu dem Frühlingsfest seiner Familie mitkommen wollte, hatte ich aus irgendeinem wagemutigem Grund Ja gesagt. Dann hatte ich sogar Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um frei zu bekommen. Jetzt ertönte in meinem Kopf nur eine beängstigende Frage: Was sollte ich da?!
Das Problem: Ich wollte trotzdem dahin, ich wollte mit Caspian Spaß haben, ich wollte einfach etwas Abwechslung, denn ganz ehrlich: Mein Leben war stinklangweilig.

„Du siehst wunderschön aus. Du könntest sogar im Pyjama da auftauchen und würdest alle in den Schatten stellen mit deiner Superfigur, deinem Puppengesicht und deinem beigen Teint." Ich wusste, dass ich schön war, das brauchte mir nicht jeder zu sagen, denn ich wusste auch, dass man damit bekanntlich nicht weit kam.
„Es geht ja nicht darum, gut auszusehen, sondern den Vorstellungen dieser Leute zu entsprechen", entgegnete ich.
„Das ist doch aber wurscht, was die denken. Denkst du, die haben keine eigenen Probleme, mit denen sie sich beschäftigen müssen? Caspian wirst du auf jeden Fall gefallen, also warum machst du dir darüber so viele Gedanken?"
„Ich..." Die Wahrheit war, dass Caspian Teil dieser Familie war und ich mich vor der Reaktion fürchtete, wenn er merkte, wie unterschiedlich wir im Grunde waren. Ich mochte ihn schon viel zu gern, ich freute mich über jede Nachricht, die er mir schrieb und jedes unserer Gespräche. In den letzten Wochen hatten wir unsere Freitagnachttradition fortgesetzt, auch wenn wir uns jetzt auch an anderen Tagen trafen. Vermutlich würde er es versuchen zu verstehen, wenn ich ihm von meiner Kindheit erzählte, aber ich wusste nicht, ob er wirklich würde damit umgehen können.
„Das wird schon werden", sagte Ruth fröhlich. „Jetzt mach ich dir erstmal die Haare und schminke dich und dann sehen wir weiter." Sie seufzte. „Ich bin so froh, dass ihr beide euch getroffen habt!"

Brav nahm ich auf einem Stuhl in der Küche Platz, damit Ruth sich hinter mich stellen und meine Haare frisieren konnte. Darin war sie zum Glück genauso gut wie im Schminken. Ich hatte eigentlich überhaupt keine Vorstellung von dieser Party, aber ich hatte Caspian auch nicht fragen und wie der kleine unwissende Marienkäfer wirken wollen, der noch nie einem Schmetterling begegnet war.

Die Haustür klapperte und einen Moment später kam Nathan in die Küche.
„Hi", begrüßte er uns und öffnete den Kühlschrank. „Habt ihr noch was vor?"
„Graycen will mit-" Ich schnitt Ruth das Wort ab. „Ja, ich habe tatsächlich noch was vor. Was dagegen?"
Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Inhalt des Kühlschranks zu.
Als er sich eine Packung Wiener aus dem Kühlschrank nahm, die ich gestern gekauft hatte, wollte ich lautstark protestieren. Aber dann fiel mir etwas ein. „Hast du dich nach einem anständigen Job umgesehen?"
Nathan stöhnte nur. „Ja, Graycie, und jetzt lass mich damit ja in Ruhe."
„Und?", fragten Ruth und ich gleichzeitig.
„Ja nichts."
„Wie nichts? Warum nicht?" Ich war etwas genervt. Es regte mich auf, dass ich die Einzige von uns beiden war, die regelmäßig Geld verdiente und Nathan die ganze Zeit über nur über irgendwelche Ecken und Minijobs mit Müh und Not den Rest zur Miete beisteuerte. 

„Ich bin da an was dran, Leute, das wird ein ganz großes Ding, versprochen."
Ich schaute skeptisch. Das klang verdammt nach... „Aber du tust nichts Illegales, oder?"
„Nein! Nein, das ist todsicher." Ich fragte mich, warum ich ihm den besänftigenden Tonfall nicht abkaufte.
„Das dachtest du auch, bevor du in den Knast gewandert bist."
„Sag mal, kannst du mir nicht einfach vertrauen? Ich bin kein kleines Kind mehr und ja, ich habe aus meinen Fehlern gelernt! Ganz so blöd bin ich tatsächlich nicht!"
„Das sage ich doch gar nicht! Ich..."
„Doch, genau das meinst du. Aber zu deiner Beruhigung: Ich weiß mittlerweile ziemlich genau, wie das da draußen läuft und was die ganz Großen wollen. Also spar dir deinen Apostelscheiß!"
„Ich will doch nur, dass du auf dich aufpasst und keinen Mist machst", versuchte ich ihm mit Nachdruck ins Gewissen zu reden. Doch er schüttelte nur den Kopf und stand auf.
„Drück noch schön auf die Tränendrüse, aber glaub ja nicht, dass du mir irgendetwas sagen kannst, von wegen Welt und Moral, kleine Schwester!"
Die Küchentür knallte zu und er war verschwunden.

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