19 - ,,Stell keine Fragen, Graycen."

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,Lay me down' - Sam Smith, ft. John Legend

GRAYCEN

Mit einem Peng platze die Blase, in der Caspian und ich es uns für einen kurzen Moment gemütlich gemacht hatten. Uns versteckt hatten.

Das Peng war ein Veilchen. Und eine Schnittwunde. Und eine aufgeplatzte Lippe. Und noch eine Schnittwunde. Und rote Handknöchel. Und ein Stöhnen.

Ein erschrockener Schrei entglitt meinen Lippen.
„Nathan!", keuchte ich. Für einen Moment starrte mein Bruder mir in die Augen. Eines von seinen war zu geschwollen.
„Nathan, du... Was...?" Ich konnte es einfach nicht fassen. Wieso? Was hatte er getan?
„Stell keine Fragen, Graycen." Es war selten, dass er mich bei meinem vollen Namen nannte, doch ich realisierte es kaum. Wie paralysiert stürzte ich auf ihn zu. Von Nahem sahen die Verletzungen noch schlimmer aus.
„Wer war das?"
„Niemand." Vergeblich versuchte ich noch einmal in seine Augen zu sehen, obwohl ich wusste, dass ich auch da die Wahrheit nicht würde finden können.
„Jetzt erzähl mir nicht, du bist die Treppe runtergefallen wie in jedem zweiten Film!"
„Hab mich mit nem Kumpel geprügelt. Nichts Ernstes."
„Und der hatte dann zufällig ein Messer dabei?" Meine Stimme war hysterisch und ich merkte, wie sich der Schreck und die Verzweiflung sich langsam in Zorn verwandelten. Was machte er nur mit seinem Leben?
„Stell einfach keine Fragen, hab ich gesagt!" Er wollte an mir vorbei und zu seinem Zimmer, doch ich trat einen Schritt zur Seite.
„Keine Fragen? Du hast sie doch nicht mehr alle!", sagte ich laut in sein Gesicht. „Guck dich doch mal an! Du siehst aus wie ein Pflaumenkuchen garniert mit Blut!"
„Es ist alles okay! Du hast nur keine Ahnung!"
„Nichts ist okay! Seit Wochen mache ich mir Sorgen. Ich kann nicht schlafen wegen dir! Ich warte darauf, dass du mir sagst, dass sie unberechtigt sind. Und jetzt! Jetzt kommst du. Nach zwei Tagen, in denen ich dich weder gesehen noch gehört habe und man sieht dir auf zwanzig Meter Entfernung an, dass du Probleme hast! Es ist verdammt nicht alles okay! Wer hat dir das angetan?"
Ich ließ meinen Blick wieder über seine Verletzungen wandern und entdeckte Neue. Ein roter, geschwollener Streifen zog sich über seinen Wangenknochen, auf der anderen Seite saß ein tiefer Schnitt wie von einem Messer. Seine Hose wies einen blutigen Riss auf, er hinkte, und auch an seinen Armen waren zwei Messerschnitte. Wer auch immer das war, er hatte es ernst gemeint.

Nate wollte sich wieder an mir vorbei schieben, aber ich hielt ihn an den Schultern fest.
„Du kannst doch jetzt nicht abhauen! Du musst ins Krankenhaus! Und zur Polizei."
Ich spürte unter meinen Fingern, wie er sich verkrampfte.
„Nein." Sein Griff wie von einer Fessel schlossen sich um mein Handgelenk. „Wehe, du..." Ich spürte seinen heißen Atem an meiner Wange. „Wag es dir zur Polizei zu gehen!"

„Hey." Hinter uns erklang eine tiefe Stimme. „Wag du es dir, ihr weh zu tun."
Caspian musste die ganze Szenerie vom Türrahmen aus beobachtet haben. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Ich hatte ihn völlig vergessen.

„Er...", setzte ich zu einer Erklärung an, doch Nathan ließ mich los und wandte sich Caspian zu.
„Wer bist du? Und was zur Hölle machst du in dieser Wohnung?"
„Caspian." Er stand da wie ein Fels in der Brandung.
„Ah." Nathan drehte sich wieder zu mir und sein Blick fiel auf mein heruntergerutschtes T-Shirt, das meine nackte Schulter und den Ansatz meiner Brust zeigte, über der ich noch immer keinen BH trug. Ein wissender Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht.
„Und das gibt dir welches Recht?"
„Brauche ich Rechte, um jemandem zu sagen, er solle einer Frau nicht weh tun?"
„Caspian, ist schon okay", sagte ich, aber so leise, dass es offenbar niemand hörte.
„Das nicht.", erwiderte Nathan. „Aber vielleicht, um meine Schwester zu ficken?"
„Ach ja?!" Warum um Himmels Willen musste Caspian ihn auch noch provozieren? Männer...
„Weil sie 18 Jahre alt ist! Man vergreift sich eben nicht an Kindern."

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