11 - ,,Sei einfach du und hier."

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‚Where does the Good go' – Tegan and Sara

GRAYCEN

„Der Tee ist mal wieder ausgezeichnet, Mrs. Si", sagte ich und lächelte meine alte Nachbarin freundlich an. Der Montagnachmittag war verregnet und sie hatte mich zu einer gemütlichen Tasse Tee in ihrer Küche eingeladen. Da ich Tee in jeglicher Form liebte, nichts geplant und außerdem heute ja frei hatte, hatte ich nicht Nein gesagt.
„Iss ein paar Kekse, Graycen. Mir tut es jedes Mal in der Seele weh, wenn ich sehe, wie dünn du bist."
„Ich habe ja auch nicht gerne die Statur einer... Giraffe." Ich griff nach einem der Haferkekse. „Aber ich war schon immer so. Da kann ich noch so viel Fastfood und Schokolade in mich reinstopfen."
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Seien Sie froh. Denn im Gegensatz zu manchen Zeiten auf der Highschool, wo ich wirklich wenig gegessen habe, bin ich jetzt noch ziemlich vorbildlich."
„Sollte ich je mitbekommen, dass du das Mittagessen ausfallen lässt, werde ich dir eigenhändig ein Festmahl zubereiten."

Ich lächelte. Es war irgendwie schön, zu wissen, dass sich jemand um einen sorgte. Wenn man innerhalb von zehn Jahren in sieben verschiedenen Pflegefamilien war, war das nicht immer der Fall.

„Wie sieht es bei dir aus, Graycen? Gibt es etwas Neues?"
Nach einem nichtssagenden Schulterzucken antwortete ich: „Eigentlich alles wie immer. Ich gehe zur Arbeit, ich gehe nach Hause... Ich erledige den Haushalt, weil Nathan das ja meistens nicht auf die Reihe bekommt. Er treibt sich ständig irgendwo rum, ich habe keine Ahnung auf welche Leute er sich einlässt."
„Du redest schon wieder von allen anderen. Ich wollte etwas über dich wissen. Lässt du dich auf jemanden ein?"
„Sollte ich?"
„Du bist jung, Graycen. Als ich so alt war wie du, war ich die Queen einer Jazzbar am Times Square. Die Männer sind mir in Scharen hinterher gelaufen. Ach, was hatte ich damals für einen Spaß", erzählte Mrs. Si.
„Ich möchte mit ihnen wirklich nicht über diese Art von Spaß reden!", rief ich lachend. „Aber ja, ich habe ab und zu Spaß."
„Dann ist ja gut. Und etwas Ernsteres? Mit Spaß meinte ich auch die Liebe. Warst du schon einmal richtig verliebt, Graycen?"

Ich schaute in die pfirsichfarbene Flüssigkeit in meiner Tasse. Als ich nicht antwortete, seufzte Mrs. Sinah. „Verpass dieses Gefühl bitte nicht."
„Ja, aber... Vielleicht bin ich einfach nicht für die Liebe geschaffen. Meine Großeltern haben meine Mum vor die Tür gesetzt, als sie mit 17 mit meinem Bruder schwanger war und mein Vater hat dafür gesorgt, dass sie Drogen nimmt und war tatsächlich schuld daran, dass sie gestorben ist. Und bei den Pflegeeltern danach gab es auch nicht besonders viel Liebe."

Ich hatte schon oft darüber nachgedacht. Wie ich über alles nachdachte. Mein ganzes Leben lang wurde mir gezeigt, wie schief das alles gehen konnte, wie sollte ich da Vertrauen darin haben, dass das auch anders funktionierte. Außerdem waren ich und Liebe so ungefähr wie Spaghetti und Nutella auf einem Teller. Ich war melancholisch und... selbst ich fand mich komisch! Die Liebe war warm und wie ein frisches Croissant und sanft und wie Wellen, die den Sand küssen, und intensiv und heiß und rosig und leuchtend wie eine Lichterkette vor einem samtig-roten Vorhang.

„Papperlapapp! Das sind Ausreden. Du hast Angst davor, weißt du?"
Ich schaute auf und in ihre hellen Augen.
„Du glaubst, dass es nichts wird, weil du dich und deine Herkunft so einschätzt. Dabei kommt es dabei doch gar nicht auf dich an, sondern darauf, dass dein Gegenüber das akzeptieren, verstehen und lieben kann."
Mir wurde warm ums Herz. Das hatte sie schön gesagt. Aber was mein Herz bereits freudig für bahre Münze genommen hatte, war mein Kopf noch nicht bereit zweifellos anzunehmen.
„Und wenn es diesen Gegenüber gar nicht gibt?"
„Das ist unwahrscheinlich. Ich bin der festen Überzeugung, jeder Topf dieser Welt hat auch einen Deckel. Ganz abgesehen davon, woher willst du das wissen, wenn du es schon vorher abstempelst als etwas, was nichts mit dir zu tun hat?"
„Sie meinen, ich soll die Augen offen halten nach der Liebe? Ob sie in der Bahn neben mir sitzt oder im Supermarkt hinter mir an der Kasse steht?"
„Ich meine, du sollst sie nicht verpassen, weil du dich vor ihr versteckst."
„Ich weiß nicht, ob das so einfach funktioniert. Aber ich werde daran denken." Ich lächelte sie freundlich an.

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