17 - ,,Warum ist alles nur dazu da, um zerstört zu werden?"

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,Benjamin Twine' - George Ezra 

GRAYCEN

Ich hatte das Gefühl, innerlich in Ohnmacht zu fallen. Zu versagen. Mein Herz hämmerte in meinem Brustkorb vor Nervosität, was Caspian sagen würde. Es dröhnte in meinem Schädel vor Angst, was passieren würde. Mit mir und zwischen uns. Und es schmerzte in meiner Seele, weil ich nicht dahin zurückkehren wollte. Die ganze Zeit. Aber ich konnte diese Gefühle nicht mehr einsperren. Ich saß jemandem gegenüber, dem ich sie offenbaren konnte. Ich wusste das. Aber es war schwer. Furchtbar schwer.

„Warum kennst du ihn nicht?" Caspians Hand berührte meinen Unterarm. Seine Augen versuchten meine zu treffen.

Ich räusperte mich. Setzte eine starke Miene auf und hob endlich den Blick. Etwas tropfte auf meine Handfläche. Ich realisierte kaum, dass es eine Träne war.

„Nach meiner Geburt... hat mein Vater seinen Job verloren. Ich weiß nicht warum, ich weiß sowieso nicht besonders viel, aber auf jeden Fall hat das dazu geführt, dass er angefangen hat zu trinken. Und irgendwann kamen auch Drogen. Er ist völlig abgerutscht, und auch meine Mum hat nach dem Mutterschutz keine Stelle mehr gefunden. Ich kann mich kaum an meine Eltern erinnern. Ich weiß aber, dass es von meinem Vater zwei Bilder gibt. Da in meinem Kopf." Ich hob gestikulierend die Hand und sah es vor mir.
„Einmal ist er freundlich und umarmt mich und... es ist schön. Ich kann mich nicht mehr wirklich an eine spezifische Umarmung erinnern, aber ich glaube, ich würde das Gefühl wiedererkennen."
Caspian lächelte, weil meine Stimme plötzlich so warm klang. Mein Vater war nicht von Grund auf ein schlechter Mensch gewesen. Ich hasste ihn trotzdem. Mir war völlig klar, dass niemand bei der Geburt böse war, aber machte es das besser? Er war doch dann erst recht verantwortlich für seine Taten.
„Aber... ich sehe da auch seine Hand. Und ich höre meine Mutter schreien." Und ich fühle die Angst als wäre es heute, dachte ich, konnte es aber nicht laut aussprechen. Stattdessen sagte ich: „Ich weiß, dass meine Mum oder mein älterer Bruder mich davor versteckt haben. Vor seiner Wut und den Phasen, in denen er fast eine Überdosis hatte. Wahrscheinlich wollte meine Mum einfach irgendeinen Ausweg oder er hat sie dazu gezwungen, keine Ahnung, aber sie hat auch Drogen genommen. Ich glaub, es ging los als ich drei oder auch schon vier war." Das, was ich immer wieder in meinen Albträumen sah, schnürte mir die Kehle zu. Es gab jetzt kein Zurück mehr, Ich war schon mittendrin in meiner Geschichte. Aber...wie sollte ich in ausführliche Worte fassen, dass sie... Dass der liebste Mensch der Welt einfach hatte gehen müssen?

„Sie war meine Mummy", flüsterte ich. Jetzt war es keine einsame Träne mehr, sondern viel mehr ein Gebirgsbach, den ich nicht mehr vor Caspian verbergen konnte. Er tat das Richtige. Und trotzdem kam es mir so falsch vor. Warum waren das nicht ihre Arme, die sich da um mich legten? Ich würde alles dafür tun, um noch einmal ihre Hände zu spüren.

Hemmungslos und mit schmerzendem Herzen schluchzte ich in Caspians Schulter, vergrub meinen Kopf in seiner Halsbeuge und wäre am liebsten nie mehr hervorgekommen. Ich weinte alles raus, was mich am Reden hinderte. Alles, was so lang in mir drin geschlummert hatte, weggesperrt, damit es nicht zu sehr weh tat. Und es fühlte sich gut an. Es tat weh, aber es war gleichzeitig erleichternd, endlich alles mal abzugeben, die Kontrolle zu verlieren. Vor allem aber war es tröstend, dass Caspian noch hier war. Dass er seine Arme um mich schlang und mich sanft streichelte.

Als ich wieder aufsah, schien ein Sonnenstrahl durchs Fenster und bildete eine schmale, goldene Linie auf dem Boden. Wie ein trügerisches Zeichen, dass jetzt alles gut werden würde.

„Ich war vier Jahre alt. Mein Bruder war sieben. Nathan hat mich ins Wohnzimmer eingesperrt, als er ausgerastet ist. Er war noch wütender als sonst, ich weiß gar nicht, was sein beschissenes Problem war."

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