7 - ,,Für die Szene im Sarg wärst du geeignet."

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'Heaven' - MarthaGunn

GRAYCEN

Ich spürte, dass ich wach war, doch ich war definitiv noch nicht bereit, mich dem hinzugeben, auf die Uhr zu schauen und definitiv zu sehen, dass es gerade einmal drei Stunden gewesen waren, die ich geschlafen hatte. So fühlte es sich jedenfalls an. Sagte man nicht immer, Schlaf war die beste Medizin? Wahrscheinlich bestätigte in dem Fall die Ausnahme die Regel. Obwohl ich diesen Satz noch nie verstanden hatte. Verstehen tat ich allerdings selbst in diesem Zustand des Halbschlafes, dass meine Nase immer noch zu war und die Rosenbüsche in meinem Hals über Nacht gewachsen waren, wohl vor allem an den Stacheln. Ach ja, und dann gab es ja noch diese Schraubzwinge, in die mein Kopf geklemmt war.

Ich wollte mich umdrehen und weiterschlafen, doch da meldete sich meine Blase zu Wort. Und zwar nicht flüsternd, sondern mit lautem Gebrüll. Leider wusste ich, dass diese drei Liter Tee in mir drin irgendwann weggebracht werden mussten und es bestand auf jeden Fall eine größere Chance auf Schlaf, wenn ich direkt jetzt gehen würde. Nun brauchte ich nur noch die Kraft, um mich aus meinem Bett zu bewegen. Warum musste es auch so verdammt weich und warm sein?

Nachdem ich am letzten Wochenende wie eine psychopathische Fledermaus durch die Kante geschlichen war, weil mir meine Gedanken ja mal wieder vor Augen geführt hatten, wie beschissen das Leben doch war, hatte ich mich am Ende selbst nicht mehr ausgehalten und mir für die neue Woche etwas mehr Optimismus vorgenommen. Das hatte sogar funktioniert, ich war zwar immer noch nicht gerade Prinzessin Lillifee persönlich, aber immerhin die etwas besser gelaunte Graycen. Nur war gute Laune eben nicht alles, was einen auf den Beinen hält. Das leichte Kratzen im Hals begann am Mittwoch, dann kam am Donnerstag auch noch die verstopfte Nase und die Schraubzwinge um die Schläfen hinzu und als ich am Freitag die Zahl 39,5 auf dem Fieberthermometer vorfand und mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, musste ich mir den Krankenschein vom Arzt holen. Heute war Samstag und als ich nach der Teeerleichterung noch einmal mein eigenes Fieber maß war es immer noch bei 39,1. Ich spürte, dass meine Stirn glühte, aber trotzdem fror und zitterte ich, als wäre ich auf den Weltrekord aus. Elfmal mit den Zähnen klappern in der Sekunde oder so.

Ich spritzte mir etwas kühles Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, mir doch ein wenig Leben einzuhauchen. Stattdessen war mir nur noch kälter. Aus gerade einmal halb geöffneten Augenlidern starrte ich in den Spiegel vor mir, weil ich eine Sekunde brauchte, um die Kraft für den Rückweg zu meinem Bett zu finden. Zurück schaute Hui Buh, das Schlossgespenst, persönlich. Obwohl das eigentlich noch nett ausgedrückt war. Geist Leiche traf es wahrscheinlich eher. Geist Leiche mit den grauen Ölhaaren. Man sollte einen Film danach benennen. Und der Untertitel drehte sich irgendwie um den Cinderellaschlafanzug, den ich vor einigen Monaten mal im Angebot bei irgendeinem Billigladen erworben hatte, weil mir die hellblaue Farbe und die plüschige Innenseite so gefallen hatten.

„Graycen?" Ein Klopfen an der Badezimmertür und ein Stechen in meinem Kopf, weil Nathan so schreien musste.

Ich öffnete die Tür. Zur Strafe bekam mein Bruder erstmal einen Schwall Husten ab, bevor ich es endlich schaffte zu krächzen: „Brüll doch nicht so."

„Du siehst ja scheiße aus."

„Ich habe eine Grippe, lieber Nathan, erwartest du, dass ich ausgerechnet heute versuchen werde, Schneewittchen zu verkörpern?" Meine Stimme hörte sich an wie die eines schwangeren Gnus, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie Gnus klangen.

„Naja, blass genug bist du allemal. Ich denke, für die Szene im Sarg wärst du geeignet."

Ich verdrehte nur die Augen. Innerlich. Wahrscheinlich musste Nathan denken, ich würde gleich wieder einschlafen, denn er schnippte sehr nah an meinem Ohr in die Finger und sagte: „Noch da? Ich wollte eigentlich nur wissen, wo du die Milch hingetan hast, die du gekauft hast. Ich finde sie nämlich nicht."

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