3. Kapitel - Verständnis ohne Worte

127 10 1
                                    

„Ich weiß was du Gestern gemacht hast", sprach meine beste Freundin ruhig.
„Mmh?". Sie hatte mich aus meinen Gedanken gerissen.
„Die Wunden. Ich weiß woher sie stammen", erklärte sie die Worte genauer, die ich sowieso nur mit halbem Ohr mitbekommen hatte. Ein wenig irritiert blickte ich zu ihr und schloss unterbewusst meine linke Hand um die verwundeten Knöchel.
Lya und ich saßen nach dem Beenden unseres Unterrichts zusammen am Rande der Lichtung und beobachteten die jüngeren Schüler, welche heute ihre erste Stunde mit den richtigen Schwertern kämpften. Die Klingen die ich gestern noch gereinigt hatte.
Mir war bewusst, dass sich Lya denken konnte, dass ich mich selbst verletzt hatte.
„Ich konnte dein Blut riechen". Diese Worte überraschten mich. „Bei den Steinen war der Geruch besonders stark. Und einer der Felsen hatte unnatürliche Dellen". Ich schluckte bei diesen Worten und blickte betroffen zu Boden. Die Hoffnung, dass der Geruch bis morgen verflogen war, war nun verschwunden, anders als der Geruch. „Und dann tauchst du am nächsten, Tag, immerhin nur ein paar Minuten zu spät, auf; Bist aber dennoch vollkommen übermüdet. Und wenn Conan dir erneut eine Strafe aufbrummen will, bringt Meister Aloïs ihn augenblicklich zum schweigen."
Nach diesen Worten schwieg sie. Ein kurzer Blick zu ihr, zeigte mir, dass sie immer noch die Schüler vor uns beobachtete. Das hüftlange honigblonde Haar war zu einem breiten Zopf geflochten, welcher sich elegant ihren Hals entlang gen Boden wand. Vereinzelte Strähnen tanzten im Wind, während ihre himmelblauen Augen durch den Schein des Lichts fast schon magisch zu leuchten schienen.
Ihre Kleidung bestand zwar aus dem gleichen Stoff, wie die aller Elfen, betonte allerdings ihre Figur durch den Schnitt an den richtigen Stellen und ließ dort Platz, wo sie diesen benötigte. Sie sah wahrlich aus wie eine Prinzessin.
Und sie hatte auch die Geduld einer Königin. Denn anstatt nachzufragen, wie das passiert war, wartete sie bis ich es von alleine erzählte.
Ich seufzte leise auf. „Du wirst solange warten, bis ich es dir erzählt habe, oder?". Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht und jagte auch mir eines auf. Wir verstanden uns ohne Worte.
Ich leistete Lya noch einige Zeit Gesellschaft bei der Beobachtung der Jünglinge, bevor ich stockend zu erzählen begann.
„Ich... habe mich in meinen Gedanken verloren", begann ich bereits mit Unsicherheit im Ton.
Wie sollte ich ihr erklären, was passiert war, wenn ich jetzt schon stockte?
Doch Lya war wie immer geduldig.
„Ich... ich war wütend auf mich selbst. Darauf, dass ich immer zu spät komme. Darauf, dass ich euch allen am Hals hänge. Dass ich keinen Plan für meine Zukunft habe, während sich alle anderen schon seit so vielen Monaten sicher sind, was sie in ihrem Leben tun wollen. Ich bin ertrunken. An meinen Gedanken. Und der Fels dort, war mein Fels in der Brandung. Nur habe ich mich nicht an ihm fest, sondern bei Sinnen gehalten, bevor ich von meinem Emotionen überrumpelt wurde. Als ich auf den Stein eingeschlagen habe, hatte ich die Kontrolle. Kontrolle über meine Gedanken und Gefühle. Es tat gut, abschalten zu können."
Ich bemerkte, dass sich ihr Blick nun abgewandt hatte, da ich ihn nun auf mir spürte. Unsicher und etwas beschämt von mir selbst blickte ich zu ihr und konnte nur tiefste Sorge sehen.
„Nyra, das ist nicht gut. Und ich bin mir sicher, dass die das auch bewusst ist. Ich kenne dich. Du handelst öfters mal impulsiv und ohne darüber nachzudenken. Auch wenn du dir teils während der Tat bewusst bist, dass es nicht das Richtige ist. Aber ich glaube auch nicht, dass dein Problem in den Aspekten liegt, die du grade erwähnt hast. Du bist nun schon seit Jahren so. Ich weiß nicht was vor zwölf Jahren mit Dir passiert ist. Aber etwas muss geschehen sein, dass du dich so schlagartig verändert hast. Ich nehme es dir nicht übel. Ich habe dich genauso lieb wie zuvor. Du bist immer noch die einzige der ich mein Leben ohne zu zögern anvertrauen würde. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Und ich weiß, dass Orima das auch tut. Es kann doch nicht so weiter gehen!". Lya redete sich immer weiter in Fahrt. Ihre Worte berührten mich.
Ich war dankbar eine solch gute Freundin zu haben, die mich kannte und die sich Sorgen um mich machte. Und ich würde ihr auch jeder Zeit mein Leben in ihre Hände legen. Doch ich wollte sie nicht belasten, mit dem was ich auf meinen Schultern trug. Vor allem das sie als Thronfolgerin in einem noch größeren Konflikt stünde, als ich das bereits tat. Immerhin war es ihre Aufgabe, an vorderster Front auf einen Drachen zuzureiten, sollte sich jemals einer nochmal in die Nähe des Elfenwaldes wagen.
Und doch lebte ich hier, mit gespaltenem Blut und musste mich verstecken.
Während Lya auf mich einredete, beobachtete ich etwas verloren die Jünglinge auf der Lichtung. Sie übten fleißig mit den neu erworbenen Waffen. Leicht beugte ich mich dann doch zu Lya hinüber.
„Ich kann es dir nur genauso sagen, wie ich es Orima sagte. Der Schaden der Wahrheit ist um einiges höher, als der der Lüge", flüsterte ich ihr zu und lächelte sie sanft an. Mit einem enttäuschten Seufzen blickte sie mich traurig an.
„Was ist aus unserem Versprechen geworden?", fragte sie ein wenig enttäuscht und es brach mir das Herz, sie so ansehen zu müssen.
„Ich erzähle dir alles. Wirklich alles. Meine tiefsten Gefühle und Ängste, so wie du es auch bei mir tust. Und ich würde dir auch von dem Geheimnis und allem was damit einhergeht erzählen. Liebend gerne. So wie schon immer. Aber wenn ich dir das sage, ist nicht nur mein Wohl in Gefahr, sondern auch deins und Orimas. Nicht, weil ihr es missbrauchen würdet. Ihr stündet in einem Konflikt, in den ich euch nicht hinein versetzen möchte. Ihr zwei seid das einzige, was mir noch Hoffnung gibt. Und ich werde nicht damit anfangen euch so zu zerstören, wie es bei mir bereits geschehen ist. Niemals".
Lya blickte mich entgeistert an. Ihr Atem ging zittrig. Anscheinend hatten diese Worte sie geschockt. Nicht gerade erfreut bemerkte ich, dass nun auch noch Meister Aloïs, gefolgt von Conan auf uns zu trat.
Verdammt! Lya konnte sich so entsetzt nicht zeigen. Als Königin hatte sie sich selbstbewusst und neutral  zu zeigen.  Eine der wenigen Probleme, die sie nun schon seit einiger Zeit begleiteten. Sie war nun einmal eine sehr einfühlsame und emotionale Elfe.
Mit zwei schnellen Schritten stellte ich mich zwischen die anderen beiden Elfen und meine beste Freundin und blickte dieser tief in die Augen. Sie folgte meinem Blick, welchen ich nicht eine Sekunde von ihr löste.
Eine der wenigen Sachen, die ich wirklich gut konnte, war es mich zu beruhigen; Und diese Ruhe auf andere Gemüter zu übertragen. Da ich es selbst regelmäßig brauchte, um mich unter Kontrolle zu halten, war die Meditation womöglich das einzige, wo ich vielen meiner Mitschüler voraus war.
Ich schloss also kurz meine Augen. Mit wenigen Atemzügen hatte ich die innere Ruhe erreicht, die nichts mit der Stille gleich hatte, die mich nach dem Anfall überkommen hatte.
Da ich auch wusste, dass vor allem Lya durch die Emotionen, welche sie in meinen Augen sah, beeinflusst wurde, öffnete ich sie und blickte sie an. Die Ruhe, die ich dabei übermittelte, übertrug sich rasch auch auf sie und der entsetzte Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht verschwand und wurde durch einen kontrollierten Ausdruck ersetzt.
Stolz schenkte ich ihr ein Grinsen und zwinkerte ihr zu, bevor ich mich gerade rechtzeitig wieder neben sie stellte. Meister Aloïs und Conan blieben grade so vor uns stehen. Sie warfen uns zwar einen leicht irritierten Blick zu und ich konnte auch sehen, wie Conan kurz meine verbundene Hand besah, mehr geschah jedoch nicht.
Stattdessen zog der Meister gleich darauf unsere Aufmerksamkeit auf sich.
„Lya, Nyra", grüßte er uns und wir neigten beide respektvoll unser Haupt. Dann erklärte er uns sein Anliegen. Oder vielmehr erklärte er Lya was er wollte. Ich war in seiner Bitte nämlich überhaupt nicht eingeschlossen, was mich wiederum erleichterte. „Ich würde den jüngeren Schülern gerne zeigen, was aus ihnen werden kann, wenn sie sich stark genug anstrengen. Ein Übungskampf zwischen meinen zwei besten Schülern wäre dafür optimal. Daher habe ich auch Conan und dich hergerufen, Lya. Wärt Ihr bereit, den Elflingen euer Können zu präsentieren?".
Lya neigte ihr Haupt erneut und lächelte dabei freundlich. Sie war wieder diejenige, die ich kannte. Eine unglaublich starke, gefasste und wunderschöne Elfenkriegerin, die jederzeit dazu bereit war zu helfen. Egal wem und wann.
„Natürlich, Meister".
Mit einem leichten Lächeln bedankte dieser sich und ging schon einmal, gemeinsam mit Conan zurück zu den Elflingen.
Ein Blick zu Lya verriet mir, dass sie trotz meiner Beruhigungsmethode immer noch über das nachdachte, was ich ihr soeben offenbart hatte. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und blickte sie aufmunternd an.
„Nun los! Mach ihn fertig! Wir können gleich darüber sprechen, wenn wir alleine sind! Dann werde ich dir alle Fragen beantworten...", als ich ihren erfreuten Blick sah, schmunzelte ich leicht und fügte noch ein: ..."die nicht zu weit gehen" hinzu. Etwas enttäuscht schnaubte sie auf, was mich zu einem leisen auflachen brachte. Grinsend schloss ich sie kurz in die Arme und murmelte dabei ein leises: „Du bist die beste. Und jetzt werde wieder zu der aufgeweckten und absolut fantastischen Lya, die ich kenne!".
„Hey!", rief sie leise aus und schob mich dabei ein wenig von sich weg, sodass sie mir in Gesicht sehen konnte. An Hand des Funkelns in ihren Augen erkannte ich, dass sie nur einen Spaß machen würde. „Willst du etwa sagen, dass ich nicht fantastisch bin, wenn ich mir Sorgen um meine beste Freundin mache?!".
Ein Grinsen schlich sich auf unsere Gesichter. Und bei meinen nächsten Worten wusste ich, dass auch meine Augen das gleiche Funkeln, wie das bei Lya bekamen.
„Genau genommen, möchte ich dir sagen, dass du nur dann fantastisch bist, wenn du Conan dort umhaust! Also hopp hopp!", grinste ich und schob sie weiter auf die Lichtung, in die Richtung der Schüler, denen Meister Aloïs bereits alles erklärt hatte und wo nun auch Conan schon wartete.

Nyra - Die VerbannungWhere stories live. Discover now