5 | Dean

1.5K 83 10
                                    

L'odeur des joints - Hollydays

Ich habe mich noch immer nicht von der Begegnung erholt. Als ich mit dem Jeep wieder den Waldweg hinauf fahre, trommle ich aufgeregt mit den Fingern auf dem Lenkrad rum, verstelle ein paar Mal den Radiosender und kann mich nicht entscheiden, ob das Fenster oben oder unten sein soll. Milena geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ihre braunen Augen, wie tausend funkelnde Bernsteine in denen sich das Sonnenlicht bricht, haben sich in meine Seele gebrannt.
Ich muss schnell die Stoffe abliefern, damit ich sie wiedersehen kann. Nur wie soll ich das anstellen? Ihr hinterher spionieren und es auf den Zufall schieben, dass wir uns zweimal an einem Tag begegnen? Nein, Zufall ist die Berechnung des Schicksals und sie ist schlau. Ganz bestimmt ist sie schlau und würde es merkwürdig finden. Ich darf nichts riskieren.

“Dean, was ist mit dir los?“, kommt prompt die Frage meiner Mutter als ich ihr abgehetzt die Stoffe überreiche.
“Sie ist in der Stadt!“, berichte ich mit einem breiten Grinsen, weil ich mein Glück kaum fassen kann.
Als Mum auch beginnt zu lächeln, setzt sie ihre Brille ab, schiebt sie sich in ihre roten Haare und macht auf dem abgesessenen Sofa neben sich Platz. “Jetzt beruhig dich erstmal und setz dich zu mir. Du benimmst dich wie ein kleiner Welpe. Schlimmer als Daisy. Erzähl mir von ihr. Ist sie wegen der Zeremonie hier?“
Ich verdrehe die Augen, da ich eigentlich wieder zu ihr möchte, doch sie hat recht. Ich benehme mich wie ein schwanzwedelnder Hund, der auf Leckerlies wartet und während sich die Holzdielen unter meinen Füßen geräuschvoll zu erkennen geben, schlägt mein Herz einige Takte schneller, als ich an Milena denke und mich neben Mum auf das weiche Polster fallen lasse.
“Sie ist wunderschön und strahlt wie die Sonne. Aber sie scheint ein Mensch zu sein. Zumindest konnte ich keinen Wolf an ihr riechen und auf mich reagiert hat sie auch nicht. Ich muss also vorsichtig sein“, erzähle ich und lasse die Schultern hängen, als ich wieder daran denke.
“Ein Grund mehr, dass du dich nicht so benehmen kannst. Du wirst sie verschrecken, wenn du zu aufdringlich bist. Ich weiß noch, wie das bei deinem Vater und mir damals war. Er war ziemlich erschlagen als ich ihm alles gebeichtet habe.“ Mum trägt ein gewisses Lächeln zwischen ihren Mundwinkeln als sie mir von Dad erzählt. Ich kenne diese Geschichte eigentlich schon, habe sie mir bestimmt hundert Mal angehört, aber ich höre auch ein weiteres Mal aufmerksam zu, denn es macht sie glücklich.
“Ich war wirklich geduldig und das ist mir nicht immer leicht gefallen. Erst nach einem Monat konnte ich ihm die ganze Wahrheit sagen und erst zwei Wochen später war dein Vater bereit dafür, alles zu verstehen.“
“Ich weiß nicht, ob ich einen ganzen Monat warten kann“, gestehe ich und kratze mir nachdenklich am Hinterkopf.
“Das musst du vielleicht nicht. Ich will dir nur sagen, dass es dafür keinen richtigen Weg gibt. Lerne sie erst kennen und dann kannst du einschätzen, wie und wann du ihr die Wahrheit erzählst. Wie alt ist sie überhaupt?“, möchte sie wissen. Die Sache mit den Alter kann nämlich des Öfteren ein Problem sein. Wir Wandler finden unseren Gefährten meist zwischen dem sechzehnten und zweiunddreißigsten Lebensjahr. Männliche Wandler sind oft älter als ihre weiblichen Gefährten und es kann auch schon mal vorkommen, dass der Altersunterschied zu groß ist, um sowohl mit dem Gesetz als auch moralisch konform zu sein.
“Ich weiß nicht genau, aber das sollte kein Problem darstellen. Sie hat eine eigene Wohnung in der Stadt und wenn ich das richtig mitbekommen habe, dann wohnt sie dort auch alleine. Vielleicht ist sie sogar älter als ich“, antworte ich und denke noch einmal genau nach, ob ich auch wirklich alles richtig mitbekommen habe. Aber nein, da war niemand anderes. Ich konnte niemanden wahrnehmen.
“Sie heißt übrigens Milena“, füge ich noch hinzu und beginne zu Lächeln, als ich ihren Namen ausspreche.
“Ein schöner Name“, pflichtet mir meine Mutter bei und fährt mir mit ihrer Hand durch die Haare. “Weißt du schon, wie du sie wiedersehen kannst?“
“Sie sucht nach einem Job. Ich habe gesagt, dass wir im Restaurant noch jemanden suchen, also hoffe ich, dass sie bald dort vorbeischaut. Ich werde gleich noch mit Dad reden, dass er sie einstellt.“
“Das klingt doch nach einem guten Plan. Sei nur nicht so aufdringlich. Menschen können leicht von dieser anhänglichen Art abgeschreckt werden“, rät sie mir noch und schaut mich ernst an.
“Ich werde mein Bestes geben.“

Ja, das mit den Abstand halten ist so eine Sache. Eben war ich noch bei Dad und habe ihm alles erzählt. Er hat sich für mich gefreut und gemeint, dass er sie gerne einstellen wird. Also kann ich sie im Restaurant so gut wie jeden Tag sehen. Aber das reicht mir noch nicht. Jetzt spioniere ich ihr doch tatsächlich wie ein kranker Idiot hinterher. Ich kann mich nicht zurück halten, ich möchte einfach in ihrer Nähe sein und auf sie achten. Hoffentlich lässt dieses Gefühl irgendwann nach. Ich erkenne mich selbst kaum wieder. Ob ich zu weit gehe? Aber ich bleibe im Hintergrund. Sie wird mich nicht bemerken. Hoffe ich zumindest. Bis jetzt hat es gut funktioniert.
Ich habe sie in das Pflegeheim gehen sehen. Sucht sie vielleicht noch nach einer anderen Arbeitsstelle?
Okay, ich muss mich beruhigen. Vielleicht hat sie nur jemanden besucht. Ich muss einfach abwarten.
Anschließend ist sie in einen Supermarkt gegangen und hat ein paar Lebensmittel besorgt. Ich hätte ihr wieder helfen können, aber das ging dann selbst mir zu weit.
Jetzt hocke ich auf der Feuertreppe vor ihrer Wohnung und lausche, was sie so treibt. Es wäre zu riskant einen Blick hinein zu werfen. Aber es ist schon spät. Sie müsste sich bestimmt bald schlafen legen. Ich werde die Nacht wahrscheinlich hier draußen verbringen. Keine Ahnung, ob ich ein Auge zu tun werde, aber in meinem Bett würde ich definitiv keine Minute Schlaf bekommen.
Es ist schon ein bisschen verrückt, dass ich ihr so nachstelle. Ich könnte es auf den Wolf in mir schieben, der seinen Trieben folgt, doch es ist meine bewusste Entscheidung, dass ich hier sitze. Ich will sicher gehen, dass es ihr gut geht. Sie scheint ganz alleine in der Stadt zu sein. Wo ist ihre Familie, ihre Freunde? Alles Fragen, die sich hoffentlich bald aufklären werden. Ich kann es kaum abwarten, wieder mit ihr zu sprechen. Aber bis dahin kann ich hier sitzen und ihr so zumindest ein bisschen das Gefühl geben nicht alleine zu sein.

MoonkissWhere stories live. Discover now