11 | Dean

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Be Your Man - Rhys Lewis

Oben im Norden ist es zu Beginn des Frühlings immer sehr kalt. Ich kann die wärmere Luft bereits spüren, doch bis endgültig alles erblüht, wird es noch eine Weile dauern. Wenn wir Glück haben wird es zur Zeremonie bereits soweit sein.

In der vergangenen Woche hat sich eine gewisse Gewohnheit eingespielt. In jeder freien Minute, die ich nicht im Rudel oder auf der Arbeit verbracht habe, war ich dabei Milena hinterher zu spionieren. Ich möchte es auch gar nicht verleugnen, dass ich es mache, dennoch komme ich mir jedes Mal bescheuert vor, wenn ich sie aus der Ferne beobachte. Im Restaurant hatten wir oft wenig Zeit zum reden und wenn, dann konnten wir nur über belanglose Dinge reden. Aber keine ernsteren Themen. Nichts, wo ich sie hätte besser kennenlernen können. Doch ich konnte sie beobachten und in ihrer Nähe sein. Ein bisschen stolz bin ich schon auf mich, denn bis jetzt war ich ganz geduldig. Allerdings muss ich morgens auch ein paar extra Runden durch den Wald rennen, um nicht überzuschnappen. Es kribbelt mir in den Fingern, unter meiner Haut und unter meiner Schädeldecke. Alles in mir signalisiert mir Milena in den Arm zu nehmen, sie zu berühren, zu küssen und zu lieben. Aber ich weiß, dass ich es nicht tun darf. Nicht so und schon gar nicht so zeitig. Ich werde mit ihr auch keine Beziehung eingehen, bevor ich ihr nicht die Wahrheit erzählt habe. Sie soll wissen auf was sie sich einlässt. Eine Lüge würde es nur schwerer machen. Doch noch ist es nicht soweit. Nicht bevor wir uns besser kennen und sie erste Anzeichen zeigt, an mir interessiert zu sein. Ich weiß, dass sie das bereits tut. Ihr schneller Herzschlag, jedes Mal wenn ich in ihrer Nähe bin, verrät sie. Aber sie muss selbst für sich entscheiden, dass sie bereit ist ihren Gefühlen nachzugeben.
Kleine zufällig Berührungen spenden mir bis dahin für einen kurzen Augenblick Genugtuung, doch dann möchte ich wieder mehr von ihr. Es ist schwer ihre Hände nicht festzuhalten, wenn sie mir ein Tablett abnimmt und sich unsere Finger streifen. Oder ihr einen Kuss auf den Nacken zu drücken, wenn ich an ihr vorbei gehe und einen Blick auf das kleine Stückchen frei gelegte Haut erhaschen kann, weil sie ihre Haare für die Arbeit hochbinden muss. Es ist meine ganz persönliche bittersüße Folter.

Heute steht auf dem Plan, dass wir das Festzelt aufbauen. Es dauert zwar noch ein bisschen bis zur Zeremonie, aber ich hinterfrage die Entscheidung nicht weiter. Wir müssen einen geeigneten Boden verlegen, damit die Tische und Stühle nicht in der Erde versinken. Das wird wohl drei Tage in Anspruch nehmen. Aber wenn alle mit anpacken, ist es nur halb so schlimm.
Melissa hat sich außerdem gewünscht, die Zeremonie unter einem kleinen Pavillon abzuhalten. Also hat sich Dakota mit ein paar Männern an die Arbeit gemacht, einen Pavillon zu bauen.
Die Feierlichkeiten werden auf der Siedlung veranstaltet. Da ist viel Platz für das Festzelt, einen Pavillon und viele hungrige und feierlustige Rudelmitglieder.
Ob ich es schaffe bis dahin Milena von uns zu erzählen? Ich würde sie gerne mit hier rauf nehmen, ihr alles zeigen und jedem vorstellen. Sie ist schließlich ein Teil davon und sollte wissen, dass dies hier ihr Zuhause ist. Aber bis zur Zeremonie, in zwei Wochen, ist nicht mehr viel Zeit, um sie auf die Wahrheit vorzubereiten.

“Luke!“, rufe ich meinem Bruder zu, als er gerade zwischen ein paar Bäumen hervor kommt und sich prompt in seine menschliche Gestalt zurück verwandelt.
Ich lasse die Eisenstangen des Zeltes fallen und laufe auf meinen Bruder zu. Als ich dort ankomme hat er bereits eine Jeans übergezogen.
“Was gibt's Bruderherz?“, möchte er wissen und fährt sich mit einer Hand durch seine vom Regen nass gewordenen rotbraunen Haare.
“Du, ich muss mit dir reden. Ich habe gehört, dass Nikan heute oder morgen anreisen soll. Es steht eine Zeremonie vor der Tür. Die Leute haben gute Laune und wollen feiern. Es wäre also-“
“Ich hab schon verstanden, Dean“, unterbricht er mich und schaut mich lächelnd an. Um seine grünen Augen bilden sich kleine Fältchen auf seiner blassen Haut. “Ich werde keinen Stress machen, wenn er es auch nicht tut. Glaub mir, mit Melissa will ich mich nicht anlegen.“ Und wir müssen beide Grinsen als er den Namen unserer Cousine in den Mund nimmt.
“Du weißt genau, warum er so zeitig anreist. Vielleicht will er keinen Streit provozieren, aber es läuft immer darauf hinaus“, bemerke ich wissend, da es jedes mal so endet, wenn unser geliebter Freund zu Besuch ist.
Das mit dem Freund ist gar nicht mal so gelogen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Er ist immer noch ein Teil der Familie, aber die Führung eines Rudels ist politischer als viele denken. Nicht jeder ist mit den Entscheidungen zufrieden, die unser Alpha trifft. Aber wir sind eines der größten Rudel in der Gegend. Das Redbone Rudel hat Einfluss und Macht. Viele unserer verwandten Rudel brauchen Hilfe, doch wir können nicht jeder Anfrage nachgehen. Normalerweise wird diese Entscheidung akzeptiert, denn niemand möchte sich mit meiner Mutter anlegen. Aber Nikan ist hartnäckig. Ein bisschen bewundere ich ihn dafür sogar. Er kämpft für sein eigenes Rudel bis zum Schluss. Es macht ihn nicht nur zu einem guten Alpha sondern auch zu einem charakterstarken Menschen, dass er wirklich alles tun würde, um seine Familie zu retten. Aber wirklich viel tun können wir nicht für ihn. Es ist der Lauf der Dinge und da kann sich niemand einmischen.
“Mum weiß auch schon bescheid. Sie wird mit ihm reden, dass er sich zusammen reißen soll. Es wird ein letztes Angebot geben und wenn er das nicht annimmt kann ihm keiner mehr helfen. Wenn er sich aber nicht benimmt, kann ich für nichts garantieren“, erklärt mir Luke und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

Es hat eine Weile gedauert, bis das Zelt richtig an seinem Platz stand. Das schwierigste ist immer das Gerüst. Aber nach ein paar Stunden, als alles stand und wir die Plane überwerfen konnten, war meine Aufgabe für den heutigen Tag erledigt. Ich habe es tatsächlich geschafft ein paar Stunden nicht an Milena zu denken. Klar, sie ist immer in meinem Hinterkopf. Das kann ich nicht ändern und das wird sich wahrscheinlich auch nie mehr ändern. Aber ich bin stolz, dass ich mich Mal wieder wie eine vernünftige Person gefühlt habe.
Dafür bin ich gerade auf dem Weg zu ihr. Seit heute morgen habe ich sie nicht gesehen. Auch wenn es nur ein kurzer Blick durchs Fenster war, ist es dennoch nicht das gleiche als würde ich ihr gegenüber stehen und mit ihr reden können. Bevor unsere Schicht im Restaurant anfängt möchte ich noch mit ihr reden, denn da gibt es noch eine Verabredung, die ich nun einfordern möchte.
Als sie mir die Tür öffnet, schaut sie mich mit einem warmen Lächeln an und ihre braunen Augen mustern mich genau. Sie weiß es vielleicht nicht, kann es sich auch nicht erklären, doch Milena hat genauso Sehnsucht nach mir, wie ich zu ihr.
“Hey! Was machst du denn hier?“, möchte sie wissen und legt ihren Kopf schief. Sie ist echt süß. Besonders wie sie da in der Tür steht in ihrer grauen Jogginghose und dem roten viel zu großen Pullover.
Sie geht einen Schritt beiseite, um mich in ihre Wohnung zu lassen. Es gefällt mir, dass sie sich wohl in meiner Nähe fühlt und das auch noch zeigt. Dass sie mich in ihre Wohnung, ihren ganz persönlichen Raum lässt, zeigt mir, dass sie mir vertraut und ich liebe ihre Wohnung. Es erzählt mir so viel über sie. Was sie mag und wer sie ist.
Ein Duft von Jasminblüten und Vanille erreicht meine Nase. Dieser Geruch wird mich immer an sie erinnern.
“Ich wollte dich nachher mit ins Restaurant nehmen und fragen ob du morgen Zeit hast. Ich möchte dir doch den Wald und die Aussicht von dem Berg oben zeigen“, antworte ich und ziehe meine Stiefel und die Lederjacke aus.
“Oh, Morgen kann ich nicht. Meine Grams hat Geburtstag.“ Ihr Gesicht verzieht sich zu einer entschuldigenden Mine und für einen kurzen Moment bin ich enttäuscht. Der Wolf in mir ist sogar wütend auf sie, da sie keine Lust hat Zeit mit mir zu verbringen. Aber ich muss den Gedanken beiseite schieben. Ich kann nicht so egoistisch sein und von ihr verlangen ausschließlich mit mir Zeit zu verbringen. Ich muss das echt unter Kontrolle bekommen. Es ist ein Wunder, dass es bisher so gut geklappt hat.
“Macht nichts, dann eben übermorgen“, antworte ich und lasse mich auf ihrem kleinen Sofa fallen.
“Da habe ich Zeit“, verkündet sie mir und grinst mich breit an. “Willst du was trinken?“, fragt sie noch, doch ich lehne ab und wir verbringen die restliche Zeit mit reden. Ich erzähle ihr von der Zeremonie, die bald ansteht und was noch alles getan werden muss. Natürlich muss ich ein paar Dinge an der Geschichte ändern, aber ich möchte trotzdem, dass sie bescheid weiß, was in meinem Leben vor geht. So kann ich mich ihr langsam nähern und hoffentlich ihr Vertrauen gewinnen. Vielleicht erzählt sie mir dann auch irgendwann, was es mit den Personen auf sich hat, die in Bilderrahmen auf ihrem Bücherregal stehen.

MoonkissTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon