13 | Dean

1.4K 83 25
                                    

Bottom of the River - Delta Rae

Seit ein paar Stunden sind Milena und ich nun schon durch den Wald gewandert. Ich habe mich bewusst für einen Weg entscheiden, der fernab von unserer Siedlung liegt. Ich möchte Milena nicht erklären müssen, warum die Wölfe in der Gegend so zutraulich sind. Am schlimmsten wäre noch, wenn sich dieser Wolf vor ihren Augen in einen Menschen verwandelt. Ich möchte es selbst in der Hand haben, wie und wann ich ihr alles erzähle.
Den Aussichtspunkt haben wir schon vor zwei Stunden hinter uns gelassen. Sie war ganz fasziniert von dem Ausblick. Wie ein Kind, dass die Welt zum ersten Mal sieht und dabei hat sie so schön ausgesehen. Sie sieht immer schön aus, doch in diesem Moment hatte sie ein Leuchten in den Augen, das ich noch nie zuvor bei ihr entdeckt habe. Es war fast magisch. Ihre Bewunderung für die Natur hat sich ganz deutlich in ihrem Gesicht ablesen lassen. Die leicht nach oben gezogenen Mundwinkel, die ihre Freude zum Ausdruck gebracht haben und die minimal vergrößerten Pupillen, die ihr Erstaunen verraten haben. Noch nie zuvor war ein Mensch schöner in meinen Augen, der von der Schönheit selbst verzaubert wird.

Aber jetzt will ich ihr einen Ort zeigen, der mich das Leuchten in ihren Augen noch einmal sehen lässt. Ein kleiner See weiter oben auf dem Berg mit einem Wasserfall. Wir treffen uns oft dort, um Partys zu feiern und ungestört zu sein. Unsere Eltern wissen davon, sie haben schließlich selbst früher dort gefeiert. Aber es gibt quasi die unausgesprochene Regel, dass der Ort uns gehört. Ein Ort, wo der junge Teil des Rudels frei sein kann und nicht auf die Regeln achten muss.
Jetzt, um diese Zeit ist dort niemand. Gut so, denn ich will meine gemeinsame Zeit mit Milena weiterhin alleine verbringen. Ja, ich bin ziemlich egoistisch was das angeht. Aber sonst haben wir nicht viele Momente alleine.
"Es dürfte nicht mehr weit sein", teile ich ihr mit und drehe mich kurz um, dass sie wieder zu mir aufschließen kann. Ich vergesse oft, dass sie aufgrund ihrer Menschlichkeit nicht so viel Ausdauer besitzt. Wir Wandler können Stunden durch den Wald jagen ohne müde zu werden. Aber mit Milena an meiner Seite muss ich daran denken, dass wir öfter kleine Pausen machen müssen.
Ich setze also meinen Rucksack ab und hole eine Wasserflasche hervor, um sie ihr zu geben, als sie zu mir aufgeschlossen hat.
"Danke." Sie ergreift die Flasche und trinkt hastig ein paar Schlucke. "Wie schaffst du es nur so eine weite Strecke zu laufen und dabei noch so gut auszusehen?", fragt sie und schaut mich ungläubig aus ihren braunen Augen an.
"Ich bin hier aufgewachsen und laufe täglich mehrere Kilometer durch den Wald", bringe ich unter einem breiten Grinsen hervor, denn ihre Worte wollen nicht aus meinem Kopf. Sie findet, dass ich gut aussehe. "Komm, ich nehme deinen Rucksack", biete ich ihr an und halte meine Hand offen, doch Milena schüttelt den Kopf.
"Du schleppst schon meine Flaschen", lehnt sie ab und schaut mich ernst an. Ich weiß, dass sie nicht schwach wirken möchte. Das ist sie auch nicht. Aber sie weiß nicht, dass sie hier gegen ein Tier antritt. Ein Raubtier um genau zu sein. Da kann sie nur verlieren.
"Gib schon her. Es macht mir nichts aus, sonst hätte ich es nicht angeboten", bestimme ich und schaue sie nun auch ernst an. Eigentlich will ich sie nicht manipulieren, aber in diesem Fall bleibt mir wohl keine Wahl. Ich spüre das unsichtbare Band auf, das unsere Seelen verbindet und benutze es als Brücke ihr den Gedanken einzuflüstern, dass es okay ist, mir den Rucksack zu übergeben. Für einen Augenblick schaut sie mich noch nachdenklich an, doch dann gibt sie sich geschlagen und überreicht mir ihren Rucksack.
"Aber nur ein Stück!", verlangt sie, doch ich schüttel grinsend meinen Kopf. Diesen Rucksack wird sie nicht mehr tragen, bis wir an unserem Ziel sind.
Da sie nun weniger Last zu tragen hat, kann sie auch wieder mit mir Schritt halten. Es fällt mir wirklich schwer, sie nicht die ganze Zeit über anzustarren. Sie sieht bezaubernd aus. Besonders die dunkelblaue Sportleggings, die sich perfekt um ihre Rundungen legt, hat es mir angetan.
"Erzähl mir von deiner Familie, wie es so ist hier oben zu leben", unterbricht sie meine definitiv nicht jugendfreien Gedanken, die sich nach und nach in meinem Kopf entwickeln. Oh Götter, ich platze bald, wenn ich nicht sofort eine Abkühlung bekomme! Aber über meine Familie zu reden, sollte das Problem auch beheben.
"Von meinem Bruder habe ich dir schon ein paar Mal erzählt", merke ich an und denke an die wenigen Male zurück, die wir uns wirklich ernsthaft unterhalten haben. Gespräche, die über Smal Talk hinausgeführt haben. "Seine Frau und er haben zusammen eine kleine Tochter, Daisy. Sie ist erst ein Jahr alt aber schon ein richtiger Unruhestifter." Dabei muss ich an meine zerkauten Schuhe und die verschwundenen Löffel denken. Keine Ahnung, was in dem Kopf des kleinen Welpens vorgeht. "Sie ist aber momentan die einzige in ihrem Alter. Die meisten Kinder sind schon älter als sie und deswegen ungeeignet als Spielkameraden. Aber ich mache gerne mit ihr Blödsinn. Deswegen bin ich wahrscheinlich auch ihr Lieblingsonkel." Ich bin auch ihr einziger Onkel. Aber vielleicht bekommen wir bald Zuwachs, wenn ich da so an Ahyokas Essverhalten denke. Offiziell hat mein Bruder noch nichts erwähnt. Die beiden werden es vermutlich nach der Zeremonie verkünden. Wie ich Mum kenne, weiß sie es bereits. Sie weiß immer alles, deswegen ist sie auch unser Alpha.
"Über die Hochzeit habe ich dir auch schon alles erzählt. Aber ich muss dir unbedingt Dakota vorstellen. Vielleicht kann ich dich demnächst auch mit zu meiner Familie nehmen", deute ich an und achte genau auf Milenas Reaktion. Sie scheint nicht abgeneigt zu sein. Ihr Gesicht ziert ein warmes Lächeln, als sie mir mit einem Nicken zustimmt. Als mein Blick auf ihre geröteten Wangen huscht und meine Gedanken wieder in unreine Absichten abdriften, versuche ich mich schnell abzulenken.
Wenn ich sie zu meiner Familie mitnehmen möchte, muss ich ihr von uns erzählen und das möglichst bald, denn ich weiß nicht, wie lange ich das noch so aushalte. Dieses ständige hin und her meiner Gefühle raubt mir noch den letzten Nerv.

MoonkissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt