22 | Milena

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Aphrodite - Honey Gentry

Heute ist der Tag oder besser gesagt die Nacht der Zeremonie. Dean hat mir zwar schon einiges darüber erzählt, dennoch bin ich aufgeregt. Es wird das erste Mal sein, dass ich die Bräuche und Traditionen miterlebe und außerdem werde ich auf viele unbekannte Gesichter treffen.
Nachdem wir einen zugegeben sehr feuchtfröhlichen Morgen hatten, haben wir alle Sachen zusammengeräumt und sind dann wieder zurück zur Siedlung gelaufen. Bei Dean haben wir erstmal ordentlich gegessen. Wir beide waren ganz schön ausgehungert, was nicht sehr verwunderlich ist. Aber nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen, uns eine warme Dusche gegönnt und frische Kleidung übergezogen haben, musste Dean Dakota helfen und ich habe mich seiner Mutter angeschlossen. Silver meinte, dass ich noch etwas erledigen muss.
“Weißt du eigentlich schon, was du nachher anziehen möchtest?“, fragt sie mich, während wir auf dem Weg zu ihrem Büro im Gemeinschaftsgebäude sind. Die kleinen Äste knacken unter meinen Schuhen, als wir durch die Bäume hindurch laufen und ich die rothaarige Frau geschockt anschaue.
“Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.“ Bisher war ich mit anderen Dingen beschäftigt. Auch als ich meine Tasche gestern gepackt habe, habe ich nicht daran gedacht. Meine Gedanken waren bei Dean und die Vorfreude auf unsere gemeinsame Nacht hat alles andere überschattet.
“Macht nichts, wir finden schon was für dich. Ahyoka sollte die gleiche Größe wie du haben. Sie hilft dir bestimmt aus“, beruhigt sie mich und schaut mich mit ihren grünen Augen lächelnd an.
“Wobei soll ich eigentlich helfen?“, möchte ich neugierig wissen, da ich mir absolut nicht vorstellen kann, was ich jetzt noch machen soll. Die Dekoration ist seit gestern fertig, wie ich von River erfahren habe und auch das Essen ist schon von Sams Restaurant hier hoch auf den Berg gebracht worden. Wir betreten das Haus und Silver führt mich den Flur lang zu ihrem Büro.
“Wir haben da so eine Tradition. Eigentlich ist es mehr Aberglauben, aber es ist ganz schön, wenn man darüber nachdenkt“, erklärt sie und öffnet die Tür. Was ich dort sehe, lässt meine Augen größer werden. Auf einer Puppe befindet sich ein Kleid in dem zartesten Blauton, den ich je gesehen habe. Es ist nicht besonders ausladend, aber dafür umso magischer. Dünne Lagen Stoff liegen übereinander und lassen an den Armen sogar etwas Licht durchschimmern. Als ich näher drauf zugehe, erkenne ich auch dünne Silberfäden, die durch die Lagen hindurch glitzern. Von der Hüfte abwärts erstreckt sich eine lange funkelnde Schleppe. Es sieht wunderschön aus.
“Jede Frau aus dem Rudel setzt einen Nadelstich und wünscht der Braut somit Glück für die Zukunft und in ihrer Beziehung“, klärt sie mich weiter auf und deutet auf die anderen Frauen, die um das Kleid sitzen. Einige Gesichter kommen mir bereits bekannt vor und lächeln mir freundlich entgegen.
Das ist ein wirklich schöner Brauch und gerade als ich die Nadel überreicht bekomme, steckt Ahyoka ihren Kopf zur Tür hinein.
“Habt ihr eine Ahnung, wo Luke steckt?“, fragt sie und schaut Silver an.
“Der müsste bei Dakota und Dean sein. Aber da du einmal da bist, kannst du gleich Milena mitnehmen und ihr was zum anziehen geben“, bestimmt sie und Ahyoka nickt ihr freundlich zu und wartet bis ich meine Aufgabe erledigt habe.
Ich begleite sie zu ihrem Haus und höre mir unterwegs Geschichten über Daisy an.
“Sie ist ganz vernarrt in Dean. Letzten Herbst ist sie immer abgehauen und hat sich bei ihm versteckt. Ich glaube sie war einsam und da Dean neben River der einzige war, der mit ihr gespielt hat, wollte sie immer bei ihrem Onkel sein. Aber jetzt sind mehr Welpen da und zum Glück wird sie bald auch nicht mehr allein sein.“ Sie legt die Hand auf ihren noch flachen Bauch und schaut verträumt in die Ferne.
“Herzlichen Glückwunsch!“, beglückwünsche ich die dunkelhaarige Frau und schaue sie mit großen Augen an.
“Danke, aber sag es bitte noch keinem. Wir wollen es erst nach der Zeremonie verkünden“, klärt sie mich auf und ich bestätige ihr, dass ihr Geheimnis bei mir sicher ist. Es ehrt mich sehr, dass sie sich mir anvertraut und gibt mir ein Gefühl von Zugehörigkeit, dass ich schon lang nicht mehr empfunden habe.

Vor ihrem Kleiderschrank stehend, zeigt mir Ahyoka abwechselnd Kleider, von denen sie denkt, dass sie mir gefallen könnten. Dean hat mir erklärt, dass alle Gäste dunkelblaue oder dunkelgrüne Farben tragen, um die Nacht und den Wald zu repräsentieren, während das Paar in hellen Blau- und Grautönen gekleidet ist, die den Mond symbolisieren sollen. Ich mag, wie alles zusammenhängt und sich die Natur in den Traditionen widerspiegelt.
“Also, welches möchtest du anprobieren?“, fragt sie mich und deutet auf das Bett, wo sie unsere Favoriten ausgebreitet hat.
Kurz lasse ich meinen Blick über die Stoffe schweifen und bleibe dann an einem dunkelgrünen kurzärmligen Kleid hängen.
“Das da“, sage ich bestimmend und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Kurze Zeit später stehe ich vor dem Spiegel und betrachte, wie das Kleid an mir aussieht. Es sitzt perfekt und scheint, als wäre es für mich gemacht. Kurz vor meinen Knien endet es und an den Armen bedeckt es großzügig meine Schultern. Insgesamt ist es sehr schlicht ohne irgendwelche Details, aber genau das macht es für mich besonders. Ich fühle mich wohl und es ist bequem. Nichts zwickt oder kneift.
“Willst du noch etwas anderes anprobieren oder ist es das?“, möchte Ahyoka wissen und schaut mich grinsend an, weil sie die Antwortet bereits kennt.
“Das ist es“, verkünde ich meine Entscheidung und streiche einmal über den Stoff meine Seiten entlang.
“Ich hab da noch was“, meint sie, dreht sich um und nimmt eine transparente Bluse aus ihrem Schrank. Sie hat denselben Ton wie das Kleid und schimmert in leichten Varianten. “Falls es dir etwas zu frisch werden sollte“, bemerkt sie und zieht mir den dünnen Stoff über die Arme. Ich bezweifle, dass es mich wirklich wärmen wird, aber die Bluse rundet das Outfit ab und falls mir tatsächlich kalt werden sollte, habe ich meine eigene wandelnde Sonne, an die ich mich kuscheln kann.
“Was ziehst du eigentlich an?“, möchte ich wissen und schaue in die dunkelbraunen Augen der Frau neben mir.
“Oh, ich dachte, du fragst nie“, antwortet sie lachend und holt ein weites knielanges Kleid in blau aus ihrem Schrank. “Weißt du schon, was Dean tragen wird? Wenn es nach ihm ginge, würden alle Jeans und T-Shirt tragen, aber Melissa sorgt schon dafür, dass ihr Cousin nicht wie der letzte Hinterwäldler rumläuft.“
Ja, das stimmt. Dean trägt gerne bequeme und komfortable Kleidung. Es fällt mir schwer, ihn in etwas förmlicheren zu sehen.
“Nein, aber ich werde ihn gleich suchen und aufpassen, dass er vorzeigbar aussieht“, bestätige ich ihr unter einem Lachen.

MoonkissWhere stories live. Discover now