9 | Dean

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Rainbow - Kacey Musgraves

So gerne ich Milena rund um die Uhr hinterher spioniere, darf ich meine Verpflichtungen im Rudel nicht vernachlässigen. Außerdem verhindert es, dass ich mich wie ein hormongesteuerter Teenager verhalte. Die Zeremonie rückt immer näher und es müssen noch so einige Vorbereitungen getroffen werden. Im Augenblick gehe ich mit meinem besten Freund Dakota von Haus zu Haus und frage wie viele Leute sie jeweils aufnehmen können. Wir brauchen ungefähr fünfundzwanzig bis dreißig Betten. Die Alphas unserer verwandten Rudel reisen für gewöhnlich mit zwei bis drei ihrer Leute an. Eine Menge Wandler, die alle einen Platz zum Schlafen brauchen. Wir sind zwar sehr Naturverbunden und verbringen auch die ein oder andere Nacht unter dem Sternenhimmel, aber nichts geht über ein bequemes Bett.
"River, wie viele Betten wären bei euch frei?", frage ich sie und schaue in ihre fast schon unnatürlich erscheinenden blauen Augen. Sie wohnt mit ihrer Schwester Mara und dessen Gefährten Sitka in einem kleineren Haus nur ein paar hundert Meter von meiner Familie entfernt. Die Häuser im Revier stehen nicht sehr dicht aneinander, für menschliche städtische Verhältnisse. Da wir aber gut zu Fuß sind und jeder seine Privatsphäre genießt, stehen unsere Häuser überall im Wald verteilt. Nur auf der Siedlung, wo sich die wichtigen Gebäude befinden, reiht sich ein Haus an das andere. Wie bei einem Marktplatz sozusagen.
"Also, wir haben ein Gästezimmer mit einem großen Bett, wo zwei Leute schlafen können und wenn man die Couch auszieht, könnten nochmal zwei Leute hier schlafen, aber die ist nicht wirklich bequem", zählt sie auf und schaut nachdenklich zu mir auf. Sie ist relativ klein, oder ich relativ groß, daher passiert das öfter.
"Okay, ich schreibe zwei Schlafmöglichkeiten auf. Euer Haus ist nicht so groß. Ich will euch nicht überstrapazieren", antworte ich und vermerke hinter der zwei auf dem Zettel noch eine drei in Klammern. Nur für den Fall, dass wir doch mehr Platz benötigen.
"Cool. Hast du heute schon Milena gestalkt?", möchte sie wissen und ein wissendes Grinsen bildet sich auf ihrem Gesicht. Ja, im Rudel wissen alle über Milena bescheid. Der Buschfunk klappt bestens. Besonders bei den Müttern.
"Nur heute morgen", gebe ich grimmig zu verstehen und ziehe meine Augenbrauen möglichst dicht zusammen, um ihr zu signalisieren, dass es ein sensibles Thema ist. Ich verbringe jede Nacht auf der Feuertreppe und habe schon lange nicht mehr in einem richtigen Bett geschlafen. Doch die Rückenschmerzen können mich nicht davon abhalten das auch noch die kommenden Nächte zu tun. Ich weiß, dass es falsch ist und ich eine Grenze überschreite. Doch dieses Bewusstsein hält mich nicht davon ab. So intensive Gefühle habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gespürt. Es gibt aber auch Momente in denen ich mich zusammenreiße, so wie jetzt. Und wenn ich meinen Drang nachgehe, Milena in meiner Nähe spüren zu wollen, sorge ich dafür, dass ich ihre Privatsphäre wahre. Ich lausche nicht und konzentriere mich meist auf das Schlagen ihres Herzens oder auf die Gespräche ein paar Straßen entfernt. Lediglich ihre Gefühle nehme ich in mir auf. Sie sind ungefilterter als die Jahre zuvor. Es fasziniert und beruhigt mich zur gleichen Zeit.
"Ich habe übrigens vor, nachher zu ihr zu gehen. Du brauchst dir also keine Sorgen um sie zu machen." River versucht mich zu besänftigen, doch das klappt nur minder. 
"Du schreibst mir, wenn irgendwas sein sollte!", vergewissere ich mich und muss aufpassen, ein Knurren zu unterdrücken als River die Augen verdreht.
"Was soll schon sein? Ich gehe zu ihr und wir verbringen einen netten Mädelsabend. Vielleicht kann ich sie auch ein bisschen ausquetschen und herausfinden, wie sie dich so findet." Wieder grinst sie mich frech an und verschränkt ihre Arme vor der Brust.
"Du sagst mir aber, wie ihre Antwort lautet!", verlange ich und bin genervt, dass mein Gefühlschaos River zu belustigen scheint. Ihr macht es Spaß mich zu quälen und ich gehe auch noch voll darauf ein.
"Vielleicht", antwortet sie zuckersüß lachend und knallt die Tür vor meiner Nase zu. Ich kann es nicht fassen! Dieses sonst so süße liebe Mädchen, dass niemanden ein Haar krümmen kann, macht sich doch tatsächlich einen Spaß auf meine Kosten! Wahrscheinlich hätte ich noch etwas durch die Tür gebrüllt, wenn mir da nicht jemand auf die Schulter klopfen würde.
"Na komm, wir müssen noch durch das halbe Revier." Dakota zieht mich von dem kleinen Blockhaus weg. "Wie viele sind es bei dir?", möchte er wissen und wirft einen Blick auf den Zettel in meiner Hand.
"Sieben", antworte ich knapp, da ich immer noch verärgert wegen River bin.
"Ich habe elf. Es könnte knapp werden, aber die Hälfte haben wir noch vor uns. Wenn es doch nicht reichen sollte, können Melissa und ich auch noch zwei Betten erübrigen." Und in diesem Moment holt mich Dakota wieder aus meiner missmutigen Laune.
"Ich glaube nicht, dass irgendjemand bei euch übernachten möchte", antworte ich scherzend und stoße Dakota leicht in die Seite.
"Ja, ich denke Melissa würde das auch nicht gefallen." Er kratzt sich schmunzelnd am Hinterkopf und schaut verträumt vor sich hin. Meine Cousine und er sind das Paar, weshalb wir das alles hier veranstalten. Vor einem Jahr haben sich die beiden gefunden und ich kann mich noch genau daran erinnern wie unausstehlich die beiden in ihrer Anfangsphase waren. Haben ständig aufeinander gehockt und konnten die Finger nicht voneinander lassen. Dass die beiden Wandler sind, hat einiges umso leichter gemacht. Der Gedanke an ihre unbeschwerte Gemeinsamkeit, verpasst mir ein leeres dumpfes Gefühl in der Magengrube. Super! Jetzt bin ich auch noch eifersüchtig auf meinen besten Freund.
"Übrigens habe ich gehört, dass Nikan in den nächsten Tagen da sein wird", verkündet Dakota und ich kann nicht verhindern, dass sich meine Muskeln bei der Erwähnung seines Namens anspannen.
"Jetzt schon? Er gibt wohl nie auf." Würde ich wahrscheinlich auch nicht, wenn mein Rudel vom aussterben bedroht wäre.
"Ich hoffe nur, dass das die Zeremonie nicht beeinflusst", murmelt mein bester Freund vor sich hin während wir weiter durch den Wald laufen. Seine kurzrasierten Haare lassen nur erahnen, dass sie einst schwarz waren und seine sonst kupfern schimmernde Haut trägt heute einen blassen Schein. So eine Zeremonie bedeutet immer viel Stress. Viele kleine Dinge an die man vorher gar nicht gedacht hat. Zum ersten Mal erlebe auch ich, wie stressig sowas ist. Vorher habe ich mich meistens rausgehalten und mit meinen Freunden die Feier genossen, doch Dakota ist mein engster Freund. Wer wäre ich schon, wenn ich ihn nicht unterstützen würde?
"Ich kann mit Luke reden, dass er sich diesmal zurück hält und das meiner Mutter überlassen soll.", antworte ich und klopfte Dakota aufmunternd auf die Schulter. Das letzte Mal, als Nikan zu Besuch war, ist es zu einem Kampf gekommen. Dabei sind einige Dinge in unserem Haus zu Bruch gegangen. "Vielleicht quartiere ich ihn bei River ein, die ist mir eben nämlich ordentlich auf den Sack gegangen." Und schon ziert wieder ein Lächeln Dakotas Lippen und auch ich muss breit Grinsen.
Anschließend begeben wir uns zu den nächsten Häusern und fragen so lange nach freien Betten bis wir eine brauchbare Anzahl zusammen haben.
Wenn es nach mir ginge, würde ich mich sofort auf den Weg zu Milena machen, doch meine Mutter braucht mich noch im Haupthaus und da sie nicht nur meine Mutter, sondern auch mein Alpha ist, kann ich mich ihr schlecht widersetzen.

MoonkissWhere stories live. Discover now