12 | Milena

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Angel Down - Lady Gaga

Tatsächlich fühle ich ein wenig Bedauern, dass ich heute nicht mit Dean wandern gehen kann und da ich den Tag frei bekommen habe, werde ich ihn heute wohl auch nicht mehr sehen. Es ist ein seltsames Gefühl und ich kann nicht fassen, dass ich so empfinde. Ein paar nette Gespräche und schon habe ich Schmetterlinge im Bauch. Ich darf nicht vergessen, wo meine Prioritäten liegen. Das Gespräch mit River neulich hat mir auch nicht wirklich geholfen. Sie hat offensichtlich mitbekommen, dass die Stimmung zwischen Dean und mir ein bisschen knistert. Oder wie auch immer man das beschreiben soll, was da zwischen uns ist. Ich hätte nicht gedacht, dass es so auffällig wäre. Immerhin habe ich nie etwas ähnliches angedeutet oder Dean signalisiert, dass ich mehr als freundschaftliches Interesse zeige. Wie ist sie also darauf gekommen, dass sich da Gefühle entwickeln könnten? Ob Dean etwas angedeutet hat? Aber nun möchte ich nicht weiter darüber nachdenken. Das ist Grandmas Tag und er soll schön werden. Ich möchte mich nicht von meinen Schwärmerein und Grübelein ablenken lassen.
Heute morgen habe ich noch einen Kuchen gebacken, den wir nachher gemeinsam essen können. Ethan hat mir mitgeteilt, dass es eine kleine Feier im Gemeinschaftsraum geben wird. Ich finde es toll, dass sie das veranstalten.
Für Grams habe ich neben der Schallplatte noch rote Tulpen und ihre Lieblingsschokolade besorgt. Ich hoffe, dass sie sich über diese Kleinigkeiten freuen wird.

Mit dem Fahrrad bin ich auch relativ schnell am Pflegeheim angekommen und habe Glück nicht nass geworden zu sein, denn als ich mein Fahrrad abschließe beginnt es zu regnen. Anfangs sind nur kleine Tropfen auf dem dunklen Asphalt zu erkennen, doch schnell werden aus den Tropfen Pfützen und die gesamte Erde ist bedeckt mit Wasser. Ein schöner Duft verteilt sich in der Luft und ich kann den Frühling bereits riechen. Das ist aber alles, denn die Temperaturen lassen keineswegs die aktuelle Jahreszeit erahnen. Ich habe mein Leben lang unter der Sonne verbracht. Nahezu dreihundertfünfundsechzig Tage Sommer. Die grauen Stunden hier, sind eine große Umstellung für mich.

“Hallo! Alles Gute zum Geburtstag!“, begrüße ich sie freudestrahlend, als ich ihr Zimmer betrete. Es stehen schon einige Blumensträuße auf ihrem kleinen Tisch. Von Rosen bis Tulpen und Lilien ist alles dabei. Scheint als wäre sie sehr beliebt hier.
“Danke Milly, Schatz. Aber das darfst du nicht so laut sagen, sonst weiß noch jeder, dass ich wieder ein Jahr älter geworden bin“, scherzt sie und zieht mich in eine feste Umarmung. Ihre Hand streift mir ein paar Mal über den Rücken bevor sie mir wieder in die Augen schaut.
“Ich glaube das wissen bereits alle“, antworte ich lachend und deute auf die Blumensträuße. “Aber wir müssen ja niemanden verraten, wie alt du geworden bist.“
“Ah, so ist es richtig!“, stimmt sie mir zu und nimmt die Tulpen in Empfang, um sie im eine geeignete Vase zu stellen. Die Box mit dem Kuchen stelle ich in der Zwischenzeit ab und überreiche Grams dann ihre Geschenktüte.
“Du solltest mir nichts schenken“, beschwert sie sich, nimmt es aber mit einem breiten Lächeln an.
“Ich weiß und ich weiß auch, dass du trotzdem etwas haben willst.“
“Warum kennst du mich nur so gut?“, fragt sie und schaut dann auch schon ihr Geschenk an. “Oh, Milly! Das ist fantastisch. Komm wir hören sie uns gleich an.“ In ihren Händen hält sie die Schalplatte und überfliegt kurz auf der Rückseite die vorhandenen Lieder.
Als Grams mich an die Hand nimmt und aus dem Raum zerrt, schaffe ich es gerade noch den Kuchen zu schnappen und mit uns zu nehmen.
Im Gemeinschaftsraum bleibt sie überrascht in der Tür stehen.
“Warst du das?“, möchte sie wissen und deutet auf die grünen und rosanen Girlanden und Ballons, die von der Decke hängen.
Ich schüttel mit dem Kopf und füge dann noch hinzu: “Da musst du dich bei Ethan und den anderen bedanken.“
“Ah ja, Ethan ist ein guter Junge“, bestimmt sie und lächelt glücklich.

Ich nehme meiner Grandma die Platte aus den Händen, stelle den Kuchen auf den Tisch und lege anschließend die Schallplatte auf den Plattenspieler. Als die ersten Töne erklingen dauert es nicht lange und weitere Heimbewohner betreten den Gemeinschaftsraum. Grams wird sogar zum Tanzen aufgefordert und wenig später befinde auch ich mich auf der Tanzfläche mit einem netten älteren Herren. Einige Pfleger gesellen sich auch zu uns.

“Darf ich übernehmen?“, ertönt eine mir bekannte Stimme und ich bedanke mich mit einem kleinen Knicks bei dem Mann, der eben noch mit mir getanzt hat, bevor ich mich an Ethan wende.
“Ihr hättet das wirklich nicht machen müssen“, bemerke ich. Es ist ein anstrengender Job und Räume dekorieren gehört nicht zu den Aufgaben eines Pflegers. Ich weiß wir oft Ethan oder einer seiner Kollegen abgehetzt über die Flure laufen. Es ist ein wirklich anstrengender Job.
“Ist das deine Art dich zu bedanken?“, möchte er wissen, während wir uns rhythmisch im Takt bewegen. Ich lache nur und lausche den Klängen der Musik.
“Wenn unsere Bewohner glücklich sind, sind wir es auch. Viele von ihnen haben so viel erlebt und nicht nur positive Dinge. Sie sollen es schön bei uns haben.“
“Du bist wirklich ein guter Mensch“, antworte ich und schaue in die warmen braunen Augen des Mannes.
“Erzähl mir was Neues“, scherzt er und fügt dann noch hinzu: “Du bist aber auch nicht schlecht. Besuchst deine Grandma jeden Tag. Ich kenne wenige, die das so regelmäßig tun. Um ehrlich zu sein bist du die einzige hier.“
“Ja, aber das mache ich auch erst seit drei Wochen. Vorher kannte ich sie kaum. Ich habe sie zweimal im Jahr gesehen und versuche jetzt die verlorene Zeit aufzuholen.“ Es macht mich traurig, dass ich nie eine normale Familie hatte.
“Du kannst die verlorene Zeit nicht aufholen, aber du kannst die verbleibende Zeit nutzen, um aus ihr das Beste raus zu holen.“ Ethan schaut mich ernst an und auf seiner dunklen Haut bilden sich Falten, als er seine Augenbrauen in die Höhe zieht.
“Ganz schön weise“, versuche ich die ernste Stimmung wieder aufzulockern und da Ethan wieder lächelt, scheint mir dies auch gelungen zu sein. “Ich habe übrigens noch Kuchen mitgebracht. Aber ich weiß nicht, ob das für alle reichen wird.“ Mein Blick schweift über die vielen Personen, die sich inzwischen im Gemeinschaftsraum befinden.
“Macht nichts. Wir haben auch noch einen Kuchen vorbereitet. Außerdem dürfen einige von ihnen gar nicht so viel Zucker zu sich nehmen.“

Nachdem wir unseren letzten Tanz zu Ende getanzt haben, habe ich dabei geholfen den Tisch zu decken und den Kuchen zu verteilen. Grams hat Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt und mir ein paar Kleinigkeiten über meine Mutter verraten. Einige Heimbewohner haben sich mit angeschlossen und ich habe die verrücktesten Geschichten zu hören bekommen. Es ist faszinierend, was jeder einzelne von ihnen in seinem Leben erlebt hat. Ich finde diese Geschichten immer spannend und höre gerne zu.

Insgesamt habe ich über sechs Stunden in dem Pflegeheim verbracht. Die Zeit ist wie im Flug vergangen, doch als es langsam dunkel wurde und der Regen aufgehört hat, habe ich beschlossen wieder nach Hause zu fahren. Ich hoffe Grams hatte einen schönen Tag.


 Ich hoffe Grams hatte einen schönen Tag

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