»You say I turned out fine
I think I'm still turning out«

Turning Out - AJR

Ich kann von Glück sprechen, dass ich mich getraut habe, Caro anzusprechen. Durch sie habe ich schon ein paar neue Leute kennengelernt, die auch wirklich angenehme Menschen zu sein scheinen. Einen weiteren positiven Nebeneffekt hat es sogar auch: Mir gehts wieder ein bisschen besser und ich hab meinen Arsch vor die Tür bekommen und mich endlich bei der Fahrschule angemeldet. Ich war sogar schon zweimal bei der Theorie und darf bald in ein richtiges Auto.

„Kommst du nacher noch mit was essen?", fragt Caro, als wir auf dem Weg zum Bus sind, „Ich geh mit ein paar Freunden in die Stadt später und du bist herzlich willkommen, wenn du mit möchtest."

Auch wenn ich ein bisschen Angst vor den neuen Menschen habe, fällt mir ein Stein von Herzem, dass sie mich gefragt hat, ob ich mitkommen will. Mir selbst hätte ich echt lang Mut zusprechen müssen, bevor ich mich traue, sowas zu fragen. „Gerne."

Sie sagt mir, wo sie sich treffen wollen, dann kommt auch schon mein Bus und wir verabschieden uns. Caro umarmt mich sogar.

Zuhause angekommen erledige ich das wichtigste, mache sogar meine Hausaufgaben (man muss es ja ausnutzen, wenn man motiviert ist) und kann mich dann auch schon wieder auf den Weg machen, um mich mit Caro und den anderen zu treffen. Ein wenig nervös bin ich schon, aber auch positiv gestimmt. Diese Veränderung und der Neuanfang greade tut mir echt gut.

***

„Lucas, hier sind wir!" Kaum bin ich aus dem Bus ausgestiegen, werde ich auch schon von Caro gerufen, die mit ein paar anderen nicht weit von der Bushaltestelle entfernt steht.

Lara, Hoshi und Theo kenn ich schon aus der Schule, aber die anderen beiden hab ich noch nicht gesehen. Sie werden mir als Jenny und Said vorgestellt. Die zwei waren mal bei uns an der Schule, aber Said ist umgezogen und geht jetzt auf eine Schule in Hanau und Jenny hat sich entschieden nach dem Realschulabschluss aufzuhören und eine Ausbildung zu machen.

Wir suchen uns ein Restaurant und Caros Freunde beginnen mich auszufragen sobald wir sitzen. Naja, Freunde ist gut gesagt, hauptsächlich ist Hoshi diejenige die redet. „So Lucas, bisher sind wir ja noch nicht so viel zum reden gekommen, erzähl uns ein bisschen über dich. Wo warst du auf der Schule, wie hat es dich zu uns verschlagen, was machst du so, Lieblingslied, Lieblingsfilm, deine Lieblingsserie, wie steht's mit der Liebe? Wir wollen alles wissen."

Zu viele Fragen auf einmal. Vor allem zu viele auf die ich nicht unbedingt antworten will. Irgendwas muss ich aber sagen, sonst ist es zu offensichtlicht, dass es... Vorfälle gab. Ich werde es schon schaffen mir was zusammenzuformulieren. Nur Mut, Lucas. „Ich war auf einer Schule in Bornheim. Hobbys hab ich nicht so wirklich, an meiner alten Schule hatte ich Probleme und probier jetzt hier nochmal mein Abi, mein Lieblingslied ist Gib mir Sonne von Rosenstolz, Lieblingsfilm ist Zurück in die Zukunft, Serien schau ich nicht so, ich präferiere Bücher und mein Liebesleben ist am Ende. Hab eine harte Trennung hinter mir. Generell war das letzte halbe Jahr nicht so geil. Die neue Schule ist genau das richtige für mich."

„Die Freundin von meinem kleinen Bruder ist auch in Bornheim auf einer Schule", sagt Jenny, „Da gab's so einen Skandal mit dem Schulleiter. War wohl echt krass. Hast du das mitbekommen?"

Das kann man wohl so sagen. Fuck. Und ich dachte ich wär weit genug weg. Dafür hätte ich echt in Offenbach, Wiesbaden oder vielleicht sogar Darmstadt auf die Schule gehen müssen, auch wenn man teils schon echt weit fährt. Ich will lügen, doch ich bin einfach zu ehrlich, um es komplett zu leugnen. „Ja, hab ich."

Diese Antwort entpuppt sich schnell als riesiger Fehler. Sie haken nach und ich bin ein ganz schlechter Lügner. Ich verhaspele mich in meinen Worten.

„Lucas, sag mal... hast du die Schule gewechselt weil du in das alles verwickelt warst? Und warum hast du gesagt, du willst es nochmal mit dem Abi probieren? Hast du es etwa nicht geschafft?", fragt Caro, die seit einer Weile schon still ist, plötzlich.

Als ich lange genug geschwiegen habe, dass es eigenartig wird, bringe ich schließlich ein „Ja" hervor. Alle schauen mich erwartend an. Sie wollen wohl eine Erklärung. „Es lag nichtmal unbedingt an mir. Habt keine Angst vor dem Abi. So schlimm ist's nicht. Bei meiner Bewertung ist etwas schief gelaufen, um es nett auszudrücken." Diese Konversation wird mit zu viel. Mein Puls schießt hoch, die Stimmen von den ganzen Menschen um uns herum werden auf einmal ganz laut. Ich zwinge mich dazu, möglichst regelmäßig zu atmen.

„Ohne dir jetzt zu nahe treten zu wollen, Lucas", sagt Jenny, „aber meine Schwester meinte der Sohn vom Schulleiter hat seinen Abschluss wegen seinem Vater nicht bekommen und du wirkst leicht nervös, seit wir das angesprochen haben... war das dein Vater?"

So habe ich mir ein entspanntes kennenlernen definitiv nicht vorgestellt. „Egal was ich jetzt sage, es kommt eh raus. Ja."

„Dann wollen wir auch wissen, was passiert ist." Nachdem Theo das gesagt hat, geht es ganz schnell. Jenny sagt, was sie weiß und die anderen reagieren darauf. Sie stellen mir Fragen, es wird immer unangenehmer. Die Stimmung kippt. Schließlich geht das los, vor dem ich wirklich Angst habe: Sie vergleichen mich mit meinem Vater. Anfangs kur unbewusst, dann immer bewusster. Ich bin nicht er, oder etwa doch? Aaron fiel es schwer das zu differenzieren, Caros Freunden auch. Caro selbst schweigt und beobachtet die Situation nur.  Als sie den Punkt erreichen, an dem sie nur noch über mich reden und urteilen, als ob ich nicht da wäre, halte ich es nicht mehr aus. Ich stehe auf, entschuldige mich und gehe. Wie konnte ich nur denken, ich hätte es alles überstanden? Ich bin noch mittendrin.

„Lucas! Warte!", höre ich Caros Stimme. Sie läuft mir nach, doch ich fühle mich nicht in der Lage, gerade mit ihr zu reden. Alles was ich brauche ist meine Ruhe und Zeit für mich, um mich zu beruhigen.

Fehlkonstruktion [boyxboy]Where stories live. Discover now