24 - Vertrauen (SPENCER)

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Triggerwarnung: Andeutung einer Vergewaltigung

Gespannt blickt David zu mir runter. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Ich schenke ihm einen Vertrauensbonus. Den hat er mehr als verdient.

"Es war Winter und das Tanztraining ging bis 21 Uhr. Nichts ungewohntes, das Training war immer erst so spät vorbei", beginne ich zu erzählen, als David mich stoppt.

"Wollen wir uns vielleicht hinsetzen? Das Essen läuft uns ja nicht weg", schlägt er vor und mit zittrigen Händen laufe ich vor ins Wohnzimmer, er mir hinterher. Kaum das wir sitzen, nimmt er meine Hände, lächelt mir aufmunternd zu.

Ich hab seit Jahren nicht mehr darüber geredet. Es kostet mich wie jedes mal Überwindung, dabei wissen es nur Jess und Dani...nichtmal meine Eltern.

"Mein Tanzpartner wollte noch zu seiner Freundin, weswegen ich alleine zur U- Bahn gelaufen bin. Er wohnte in meiner Straße, hat mich meistens mit dem Auto mitgenommen, weil ich noch keinen Führerschein hatte."

Während David mich mit seinen Blicken durchbohrt, muss ich wegschauen. Ich kann ihn dabei nicht ansehen.

"Ich warte vor einem ziemlich leeren Gleis. Ungewohnt wenig Leute, die dann mit mir in die Bahn einsteigen. Nach zwei Stationen ist mein Abteil leer, bis auf zwei Männer, die mir schräg gegenüber sitzen."

Ich mache eine Pause. Alles in mir sträubt sich weiterzureden. Ich habe die Sache soweit unter mir vergraben, ich wollte nie wieder einen Gedanken daran verschwenden.

Wieder beginnen meine Hände zu zittern, was dabei sofort bemerkt, weil er sie ja festhält. Er beugt sich hinab, küsst sanft meine Handrücken, streichelt darüber.

"Ich denke mir nichts dabei, daran ist ja nichts ungewöhnlich. Mit Kopfhörern im Ohr verstehe ich sowieso nicht, was sie besprechen."

Wieder mache ich eine Pause. Mein Herzschlag hat sich verdreifacht. Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper.

"Ich fahre noch ein paar Stationen, bis meine Haltestelle erreicht ist. Einer der beiden Männer, die in meinem Abteil saßen, steigt vor mir aus, läuft mit schnellen Schritten los. Ich immernoch in der Musik vertieft gehe die Treppen hoch, sehe schon das Ausgangsschild, als ich plötzlich von hinten gepackt werde. Ich hab gar nicht mehr die Möglichkeit zu schreien, da mir ein Handschuh in den Mund gestopft wird und seine Hand auf meinen Mund drückt."

Mein Griff um Davids Hände wird fester. Es ist verwunderlich, dass er sich noch nicht beschwert hat. Ich erkenne aus dem Augenwinkel, dass der Spanier mich immernoch anstarrt.

"Ich sehe den zweiten Kerl wieder vor mir und wie er mich angrinst, als er mich mit seinem Freund zur Toilette bringt. Sie schließen die Tür hinter uns. Der eine hält mich immernoch fest, während der andere sich auszieht."

Sofort fühle ich mich wieder wie 16. Die Tränen steigen auf, ich bekomme kein Wort mehr raus. Das erste mal, seit ich angefangen habe zu reden, sehe ich zu David. Ich sehe ihn nur verschwommen, zu viele Tränen laufen meinen Wangen hinunter.

"Darf ich dich umarmen?", bittet David mich um Erlaubnis und kaum das ich nicke, hat er seine beiden Arme schon fest um mich geschlungen.

Ich lasse mich fallen, lasse alle Emotionen raus. Wie ein Wasserfall strömt es aus mir heraus. Davids Pulli dient als Taschentuch, aber das scheint ihn nicht zu stören.

"Es tut mir leid, dass ich dich unter Druck gesetzt habe. Ich kann verstehen, wieso du nicht über deine Vergangenheit reden wolltest", flüstert er, streichelt behutsam meinem Rücken entlang.

"Kann ich irgendwas tun, damit du dich besser fühlst?", fragt er leise nach, nimmt mein Gesicht in seine Hände, weswegen ich ihn anschauen muss.

"Hast du eine Zeitmaschine?", schniefe ich und bekomme ein Kopfschütteln als Antwort.

"Dann kannst du nichts tun, außer mich festhalten."

"Ich lasse dich nicht mehr los, hermosa", drückt er mir einen Kuss auf die Lippen, streicht die Tränen aus meinem Gesicht, ehe ich mich wieder an seine Brust kuschle und wir beide eine Ewigkeit schweigen.

Ich bin noch nie so zusammengebrochen bei einem Mann. Ich behalte gern die Kontrolle, aber David hat es geschafft, dass ich sie abgebe. Seit zehn Minuten vergieße ich keine Träne mehr. Vermutlich ist mein Körper einfach nur ausgetrocknet.

David steht mir bestimmt schon seit einer Stunde beiseite, versucht mich zu trösten. Ich hätte nicht gedacht, dass er so gut darin ist. Scheinbar haben wir beide eine harte Schale und einen weichen Kern.

Als seine Augen meine treffen, möchte ich am liebsten wieder weinen, denn so wie es scheint musste er auch ein paar Tränen verdrücken.

"Schau mich nicht so an, auch ich habe Gefühle", schmollt er und sanft streichle ich seine Wange, küsse ihn.

Wir sind sonst nie so miteinander umgegangen. Es ist anders. Schön anders. Wie es scheint haben wir eine neue Ebene erreicht. Das mit uns ist viel tiefer plötzlich, so vertraulich.

"Du legst dich jetzt ins Bett, ich mache dir einen Tee und schaue, ob ich noch was kleines zu essen machen kann. Dann komme ich rüber und wir fangen irgendeine Serie an. Wie klingt das?"

"Womit habe ich dich gerade verdient?", hinterfrage ich sein Verhalten ernsthaft. Er müsste das nicht tun, aber für ihn scheint das gerade selbstverständlich zu sein.

"Nachdem du so offen mit mir geredet hast, will ich wenigstens irgendwie für dich da sein."

"Ich hätte am Anfang nicht gedacht, dass ich das jemals zu dir sagen werde, aber du bist ein wundervoller Mann."

Wenn ich daran zurückdenke, wie wir uns angegiftet haben, er mich eigentlich loswerden wollte und ich ihn in Gedanken bestimmt schon 30 Mal in die Hölle geschickt habe, haben wir wirklich Fortschritte gemacht.

"Hinter jedem wundervollen Mann, steckt eine noch wundervollere Frau. Also schmeiß dich ins Bett, ich komm dann hinterher", steht er auf, zieht mich mit sich nach oben.

"Danke."

"Nicht dafür.'

Nachdem er mir einen Kuss auf die Stirn gegeben hat, gehe ich ins Schlafzimmer, schminke mich schnell ab. Kaum das ich auf dem Bett liege übermannt mich aber sofort die Müdigkeit. Das Weinen hat mich so fertig gemacht, dass sich meine Augen wie von selbst schließen.

Als ich aufwache liegt David neben mir. Zwischen uns aber bestimmt ein halber Meter Abstand. Ich rutsche zu ihm rüber, lege meinen Arm um seinen nackten Oberkörper und schlafe ein weiteres mal ein.

Das zweite mal werde ich wach, als ich seine Hand an meinem Rücken spüre, wie sie langsam auf- und abfährt.

"Guten Morgen", murmle ich, schaue in sein Gesicht.

"Na, dormilona, gut geschlafen?"

"Sorry das ich eingeschlafen bin."

"Ist okay, passiert immer, wenn ich für dich was zu essen mache. Denkst du ich will dich vergiften, oder wieso schläfst du dann immer?"

"Es tut mir leid, irgendwie war das zu viel gestern für mich."

"Verständlich. Wie gehts dir denn?"

"Ich weiß nicht. Ich bin erleichtert, dass ich es dir erzählt habe, wenn auch nicht komplett."

Ich konnte den Rest nicht aussprechen. Die Bilder in meinem Kopf wurden zu real.

"Vollkommen okay, ich werde dir auch keine Fragen dazu stellen, wenn du das nicht willst. Ich fühle mich immernoch schuldig, dass ich dich gedrängt habe."

"Du hast mich zu nichts gedrängt. Du hast mir von deiner Vergangenheit quasi am ersten Abend erzählt. Es wurde Zeit das ich dir auch etwas Vertrauen schenke."

Dieses unwiderstehliche Lächeln schleicht sich auf seine Lippen, lässt mich strahlen.

"Gracias", murmelt er, küsst mich dann.

Ich hab zu danken.

Harter Tobak, aber die beiden scheinen eine neue Stufe ihrer Beziehung erreicht zu haben.



TentadorWhere stories live. Discover now