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Jack saß am Tisch in der Küche. Sein Oberkörper über gelehnt und sein Kopf in seinen Armen vergraben. Ungeduldig wartete er darauf, dass Nisha zurück kehrte. Ja selbst über Jeff würde er sich das erste Mal so richtig freuen, wenn er zurück kehren würde. Irgendwie war die Einsamkeit heute besonders erdrückend. Und Jack fand keine Begründung, hatte allerdings einige Ansätze. Da wäre zuerst Jeffs betrunkener Wutausbruch heute morgen gewesen oder die Auseinandersetzung mit Nisha. Da wäre allerdings auch noch das Gespräch mit Yo gewesen. Vielleicht aber spielte auch alles zusammen, dass Jack sich so Elend fühlte. Aus tiefsten Herzen seufzte er. Sein Zeigefinger fing an im Takt auf den Tisch zu trommeln. Nicht nur, dass die Einsamkeit drückte, nein, da war auch eine tiefe Unruhe in ihm. Eine Unruhe, die ihn ungeduldig und besorgt werden ließ, als hätte er eine Vorahnung, dass irgendetwas Schlimmes passieren würde - oder vielleicht schon war!
Jack schüttelte leicht seinen Kopf, um seine Gedanken loszuwerden. Natürlich hat man ein schlechtes Gewissen und dadurch eine Scheinvorahnung, dass etwas schlechtes passieren wird, wenn man vorher einen Streit hatte! Bleib ruhig, Jack! Es wird nichts passieren!, schalt Jack sich selbst. Es ist nichts.
Jack richtete sich auf und sah sich um. Der Tisch, an dem er saß, war dicht an die Wand gedrängt. Der Boden war ein Laminat, dass wie Bretter aussehen sollte. Mithilfe von Jeff hatte Jack diesen Laminat letztes Jahr im Sommer in der Küche ausgelegt. An der gegenüberliegenden Wand stand eine weiße Einbauküche. Man könnte meinen sie glänzte vor Sauberkeit, aber glänzen tat sie trotz Sauberkeit nicht. Dafür war sie zu alt. Links neben der Einbauküche stand ein etwa zwei Meter hoher grauer Kühlschrank mit eingebauten Wasser- und Eiswürfelspender.
Jack stieß sich am Boden ab, um sich vom Tisch wegzuschieben - als plötzlich Jack mit dem Stuhl nach hinten überkippte und mit einem erschrockenen Aufschrei plötzlich auf dem Boden lag. Panisch schnappte Jack nach Luft. Sein Rücken war mit solch einer Wucht auf dem Boden aufgekommen, dass alles Luft aus seinen Lungen entwisch. Röchelnd rollte er sich vom Stuhl und auf die Seite und dann auf den Bauch, um vom Stuhl wegzukriechen. Nach einem kurzen Augenblick, der für ihn vorkam wie Minuten, hatte Jack sich dann gefangen. Hastig atmete er ein und aus. Dann sah er zurück zum Stuhl, um die Ursache des Sturzes herauszufinden. Unter den hinteren Beinen hatten sich Wölbungen im Laminat aufgetan. Beim näheren untersuchen sah Jack sogar leichte Löcher im Boden, in den Wölbungen, vom Zurückrutschen des Stuhles.
»Der Laminat kommt raus.«, fluchte Jack heiser. Er ignorierte bei seiner Aussage allerdings den Faktor, dass sie letztes Jahr unter Schwierigkeiten den Laminat selbst nach drei Stunden nicht ganz drin hatten.
»Jeff wird mich umbringen«, lächelte er knapp und rappelt sich auf. Dann hievte er den Stuhl hoch und stellte ihn zurück zum Tisch. Sein Blick schwiff zuletzt über die Wölbungen im Laminat, bevor er sich um drehte und aus der Küche trottete. Er lief durch einen langen Gang, in dem sich links und rechts der Wände weitere Türen zu weiteren Räumen abbildeten. Das Anwesen seines Vaters war groß. In seinen Kinderaugen, fand Jack damals, dass es hätte ein Schloss sein können. Aber es war keines.
Jacks Vater war Arzt gewesen. Jeder mochte ihn. Er war ein herzensguter Mensch. Selbst nachdem Jack die Bedienstete ermordet hatte, hatte sein Vater die Schuld auf sich genommen und Jack konnte unter staatlicher Beihilfe hier wohnen bleiben. Denn durch seines Vaters Schuldübernahme, nahm der Staat nicht nur an, dass er die Bedienstete ermordet hatte, nein, sie glaubten auch, dass er sich an Jack vergriffen und ihm aus reiner Lust und Laune seine Augen ausgebrannt hatte.
Jack schmunzelte. Er fragte sich, wie man nur so dumm sein konnte und für seinen Sohn all die Schulden auf sich nahm, wenn er doch wusste, wenn nicht Jack sondern er eingesperrt oder glatt die Todesstrafe aufgebürdet bekam, dass das Monster, welches er im wissentlichen hinterließ, noch frei rumlaufen würde? Und vielleicht weiter Morden würde? Und dennoch danke er seinen Vater dafür. Und er vermisste ihn schrecklich.
Am Ende des Ganges lag lediglich eine alte Holztür, von der der weiße Lack schon sichtlich abgeblättert war. Sie besaß einen goldenen Knauf, den man drehen musste, um die Tür zu öffnen. Allem in einem sah die Tür nicht nur alt, sondern sehr alt aus. Sie war schon längst sanierungsfällig. Doch sein Vater hatte die Tür nie erneuern lassen und Jack würde es auch niemals tun. Es waren Erinnerungen, die diese Tür hielt.
Jack schob seine Hand in seine Hosentasche und zog einen goldenen, altmodischen Schlüssel hervor. Dann blickte er sich um. Es war niemand da. Natürlich ist niemand da. Dennoch tat er es jedes Mal, wenn er die Tür öffnete. Denn die Geheimnisse, die dort hinter lagen sollten auch dort hinter bleiben.
Jack steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn zwei Mal hastig nach rechts. Mit einem Klack öffnete sich die Tür und Jack ergriff den Knauf, um sie aufzuziehen. Heimlich spähte er hinein, in der Hoffnung die Geheimnisse würden nicht hinauslaufen. Doch hinter der Türe war es stockendüster. So griff er mit einer Hand in den Raum und tastete sich an der Wand entlang, bis er den Schalter entdeckte. Er schlug den Schalter um und gleichzeitig erleuchtete ein spähliches, orangenes Licht den Raum - oder besser gesagt die Treppe, welche hinunter führte.
Jack öffnete die Tür ein Stückchen weiter und quetschte sich schnell hindurch, um direkt danach die Tür wieder zu schließen. Wieder steckte er den Schlüssel ins Schloss, drehte diesmal allerdings zwei Mal nach links. Nachdem er sich auch ein drittes Mal versichert hatte, dass die Tür auch wirklich verschlossen war, ließ er den goldenen Schlüssel wieder in seine Hosentasche gleiten. Dann drehte er sich zur Treppe und atmete tief und zögerlich ein. Die Wände waren kahl und der Putz bröckelte sogar ohne Berührung leicht ab. Auch Schimmel machte sich an ihnen breit und die Luft roch feucht und angestanden. An der Hölzernen Decke hingen Spinnenweben soweit das Auge reichte. Die Treppe war so breit wie es der Gang war. Man konnte den Boden am Ende der Treppe sehen, aber nicht wohin der Weg führte, da die Sicht von der schrägen Decke versperrt wurde.
Langsam setzte Jack ein Fuß nach dem anderen und ging die Treppe vorsichtig hinunter. Er hielt sich am Geländer fest. Die Bretter der Treppe knarrten und ächzten unter dem Gewicht Jacks. Sowie alles andere waren auch die Treppen sehr alt.
Unten angekommen sah Jack auch direkt schon die nächste Tür. Doch im Gegensatz zu allem anderen hier, was alles wirklich sehr baufällig wirkte, war diese Tür moderner und technologischer Herkunft. Sie besaß weder einen Knauf oder einen Henkel - und schon gar nicht ein Schlüsselloch. Die Türe war groß und sperrig. Sie bestand aus Metall und war keines Wegs dafür gedacht Unbefugte hindurch zulassen. Rechts neben der Tür hing an einem metallenen Arm ein Monitor auf Jacks Schulterhöhe. Der Bildschirm war schwarz und doppelt so groß wie eine Hand eines Erwachsenen Mannes. Nichts regte sich. Jack atmete ein. Er war so oft schon hier unten gewesen. Warum hatte er also ausgerechnet jetzt Schwierigkeiten hier zusein? Unbehaglich schloss er die Augen und atmete nochmal tief durch. Es ist nichts, dachte er sich und schob seine innere Unruhe dem selben Grund zu, wie der seiner Scheinsorgen. Es ist nichts. Dann öffnete er sie wieder und ließ seinen Blick über den Monitor gleiten. Vorsichtig strich er mit seinen Fingern um den Rand des Gerätes bis er einen Knopf fand. Er drückte ihn und der Monitor sprang von einer Sekunde auf die andere von schwarz zu einem weißen Flackern. Nach einer kurzen Zeit schwand das Flackern und der Bildschirm wurde wieder schwarz.
»Echt jetzt?!«, sagte Jack genervt und schnalzte mit der Zunge. Er stämmte seine Hände in die Hüfte und sah den Monitor mit einem bedrohlichen Funken in seinem Blick an. Als hätte der Monitor verstanden, dass es um sein Leben ging, blitzte dieser sofort wieder weiß auf und entwisch zu einer hellblauen Farbe. Auf der linken Seite tauchten nach und nach mehr Buchstaben auf, die sich zu erst zu Wörtern und dann zu ganzen Sätzen bildeten:

Bitte registrieren.
Zum Registrieren bitte die Handfläche der rechten Hand auf die Schaltfläche rechts legen.
Bitte registrieren.

Plötzlich erschien Rechts neben dem Text eine Handfläche. Sie war weiss. Jack brauchte nicht darüber nachdenken und legte sofort seine Hand auf die Schaltfläche. Daraufhin fing ein weisser Streifen sich im Kreis um seine Hand zu bewegen und der Text links änderte sich wieder Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Satz für Satz:

Wird authentifiziert.
Bitte warten.
Wird authentifiziert.
Bitte warten.

Jack wartete und sah dem Streifen nach, der immer und immer wieder um seine Hand fuhr.
Er hatte diesen Raum etwa knapp nach Ben und Miles Tod entdeckt. Es war eine Hinterlassenschaft seines Vaters. Und wieder einmal hatte Jack bemerkt, wie wohlhabend sein Vater gewesen war, dass er sich hatte solch eine Hightechtür überhaupt leisten können. Oder das, was hinter der Tür lag.
Plötzlich klimperte es leise aus dem Monitor und der weisse Streifen verschwand. Und der Text änderte sich erneut:

Authentifizierung geglückt.
Bitte Hand entfernen.
Authentifizierung geglückt.
Willkommen,
Jack Nichols.
Bitte Hand entfernen.

Jack nahm die Hand von der Schaltfläche. Die Handfläche, die zuvor weiss war, erstrahlte in einem hellen Grün und quer durch diese war ein weisser Haken gezogen.
Mit einem leisen Zischen öffnete sich die sperrige, metallene Tür ein Stück.
Jack wandte sich dem Monitor ab und ging schrittweise auf den leicht geöffneten Spalt der Tür zu. Er streckte seine Hand aus und ergriff die Kante der eisigen, kalten Tür. Wissend, das diese schwer zu öffnen war, schwang er die Türe mit einem kräftigen Ruck auf und trat hindurch. Der Raum dahinter war groß, sehr groß. Helles, beinahe zu grelles Licht durchflutete ihn, dass selbst die letzten Ecken und versteckten Winkel dieses Raumes ausgeleuchtet wurden. Ringsum an den Wänden standen mehrere Dutzend Glasbehälter, gefüllt mit einer bläulichen Flüssigkeit, einer Substanz. Viele von ihnen waren leer. Einige beinhalten Körper. Wenige von ihnen waren Kreaturen, die nicht lebensfähig waren. Die meisten waren menschlich.
In der Mitte des Raumes standen mit jeweils einigen Metern Abstand einige Operationstische. Auf einen von ihnen lag eine Gestalt. Ein Mensch. Doch er regte sich nicht. Um die Operationstische standen einige andere Tische, die Werkzeuge und Utensilien beherbergten, mit denen Jack nur zu vertraut war.
Der Boden war gepflastert mit kalten, weissen Fließen, die sauberer und neuer nicht hätten sein können. Die Wand war in einem ärztlichen Türkis tapeziert.
Dieser Raum war ein Vermächtnis seines Vaters und Jack hielt es in Ehren. Man sah von vornherein - und man konnte sich beim besten Willen nichts anderes vorstellen, als das sein Vater nicht anders als sein Sohn gewesen war. Kein guter Mensch gewesen war. Falsche Gedanken hatte. Wenn Jack sich diesen Raum so ansah, konnte er nicht anders als daran zu denken, dass es sein Vater gewesen sein musste, dass er es ihm zu verdanken haben musste. Dass Jack seine Augen, die schwarze Substanz, von seinem Vater aus Schuldbewusstsein eingepflanzt bekommen haben musste. Wozu sonst hatte sein Vater diesen Raum? Der diese Kreaturen in den Behältern konservierte? Jack sehnte sich nach Antworten, die er niemals bekommen würde. Darum forschte er selbst, um den Antworten näher zu kommen.
Jack erwachte aus seinen Gedanken und bemerkte, dass er immernoch im Türrahmen stand. Er ging schnellen Schritts durch den Raum. An den Behältern vorbei, kam den Operationstischen immer näher. Er blieb jedoch nicht an dem Körper stehen, der auf einen dieser Tische lag. Er ignorierte ihn. Desinteressiert und mit starren Blick nach vorn lief er an dem Tisch vorbei und auch an dem nächsten. Und an dem danach. Bis er an allen vorbei war und nun zwischen zwei Behältern stand. In beiden schwammen jeweils ein Körper in dieser Flüssigkeit. Und obwohl sie seit langem tot waren, schien kein Zipfel der Verwesung und des Zerfalls an den Körpern abgebildet. Sie sahen noch genauso wie damals aus. Kein Unterschied. Es waren zwei menschliche Körper. Während jedoch der erste weiblich und der zweite männlich war. Sie beide waren nackt und man konnte alle Konturen genau betrachten. Der weibliche Körper war größer, als der männliche und hatte eine dunkelbraune Farbe. Ihre Haare waren weiß und gingen ihr knapp über ihre Taille. Der männliche Körper hingegen war leichenblass und seine Haare strahlend Blond. Sie gingen ihm bis knapp über die Schultern, doch genau wie die Haare der Frau, schwammen sie unkontrolliert in der Flüssigkeit hin und her. Jack stand vor Miles und Ben.

REBORN || Jeff x Ben || All We Need Is Faith 2Where stories live. Discover now