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Nisha kam langsam zu sich. Ihr war kalt und aus einem ihr noch unerfindlichen Grund wurde sie im gleich bleibenden Takt hin und her geschaukelt. Aber sie war noch zu benommen, um herauszufinden warum.
Ihre Wimpern zuckten bei dem Versuch sie zu öffnen. Es war schwer.
Plötzliche Schmerzen fühlte sie im Nacken, allerdings fühlte es sich gleichzeitig auch so an, als wären diese schon die ganze Zeit da gewesen. Nun merkte sie auch die Kopfschmerzen, die sie hatte. Als könnte sie langsam ihr Befinden einordnen. Eine Übelkeitswelle durchströmte sie.
Erneut versuchte sie ihre Augen zu öffnen. Zitternd und unter Anstrengung schaffte sie es auch. Das Bild, was sie sah, war teilweise verschwommen. Als würde sie sich bewegen, allerdings nicht sie selbst, sondern etwas anderes. Der Boden, würde Nisha behaupten, verlief in ein buntes Gemälde und bewegte sich von ihr Weg. Und dann waren da Beine, die sich schnell und gezielt bewegeten. Sie rannten. Etwas rannte. Und dann war da etwas braunbeiges. Es schien aus Stoff zu sein. Ein Rücken. Jemand rannte und trug sie auf der Schulter, ohne die geringsten Anzeichen von Anstrengung. Sie musste weg. Schnell.
Nisha fühlte sich nicht stark, aber dort, wo es ihr an Stärke fehlte, half das Adrenalin nach. Mit einem Ruck stemmte sie sich vom Rücken ab und landete unsanft auf dem Boden. Ohne auf zusehen, was sie getragen hatte, nahm sie ihre Beine in die Hand und rannte. Wohin war im Moment egal, aber Hauptsache weg von diesem Mensch.
Sie rannte zwischen große, dicke, lange und auch dünne Bäumen hindurch. Sie wuchsen wild und natürlich.
Kurz darauf ertönte ein schrilles, lautes Pfeifen. Eine Pfeife. Warum?
Plötzlich rutschte sie aus und fiel zu Boden. Sie schürfte sich ihre Handflächen und Knie auf. Nun wurde ihr auch bewusst, warum sie so fror. Es regnete. Nisha war komplett durchnässt. Und der Boden, ein Waldboden bedeckt mit nassen Blättern, war schlammig. Ihre Schuhe, über die Beine, das Kleid, bis hin zum Gesicht war nun verdreckt mit nasser Erde. Sie fühlte sich wie ein Ferkel, welches sich im Match gesult hatte. Doch sie hatte keine Zeit hier im Dreck zu verharren.
Schnell rappelte sie sich, unter Wegrutschen und wieder im Schlamm landen, auf und rannte weiter.
Der Wald war riesig, das wusste Nisha, doch konnte sie nicht sagen, wo sie sich befand, beziehungsweise, wo der Wald sich befand. Und auch wusste sie, dass man sich sehr leicht in diesem Wald verlaufen konnte, wenn man sich nicht auskannte. Und das tat sie nicht. Sie war irgendwo mitten im Wald, meilenweit von Daheim entfernt und wusste nicht, wie sie ihrem Entführer entkommen konnte, noch wie sie wieder nach Hause gelangen sollte.
Heiße Tränen traten ihr aus den Augen. Seit langem hatte sie wieder Todesangst. Sie musste weg. Schnell. Schneller.
In ihr stieg das Bedürfnis auf zu schreien. Laut und angsterfüllt. Um sich besser zu fühlen. Aber das durfte sie nicht, das würde sie verraten und an ihren Kräften zerren. Und diese würde sie brauchen.
Vor ihr machte sich ein kleiner Bach breit. Der Regen plätscherte unaufhörlich stark hinein. Mittlerweile waren die Tropfen so schwer, dass sie sich wie kleine Geschosse an fühlten.
Nisha beschloss, sie müsse den Bach überqueren. Vielleicht würde sie einen kleinen Vorsprung dadurch erhalten. Schnell und unbeirrt stieg sie in das eiskalte Gewässer. Sie hatte leichte Schwierigkeit ihn zu durchquern. Der Bach war etwa hüfttief und wenn sie nicht aufpasste - oder am Boden wegen den glitchigen Steinen aus rutschen würde, - würde der Strom sie mit reißen. Dann kam Nisha eine Idee. Wenn sie mit dem Strom schwimmen würde, würde sie vielleicht einen noch größeren Abstand zu ihrem Verfolger aufbauen können. Zumal man im Notfall immernoch im Gewässer stehen könnte. Etwas in ihr sagte tu es, denn es könnte genauso gut sein, dass ihr Verfolger sie umbringen würde. Wo war also der Unterschied zwischen ermordet zu werden oder zu ertrinken? Nirgends. Beides endete mit dem Tod.
Also stemmte sie sich mit den Schuhen vom Boden ab und trieb sich mit ihrem Körper Richtung Strom weiter. Sie war schneller dank dem Strom. Nicht desto trotz verlangte dieses Unterfangen eine Menge an Kräfte und Energie.
Das Gewässer war kalt und zerrte Nisha oft unter die Oberfläche. Sie schluckte viel Wasser und schnitt sich an flacheren Stellen des Baches die Beine, sowie auch die Handfläche auf. Nishas gesamter Körper schmerzte, doch sie hatte keine Zeit sich zu beklagen.
Langsam ging ihr die Energie aus und sie beschloss zurück an Land zu klettern. Doch dies gestaltete sich schwieriger, als sie dachte. Die Strömung war stark. Sie riss sie immer weiter mit, als sie versuchte aufzustehen.
Eine seichtere Ebene. Diese Gelegenheit ließ sich Nisha nicht entgehen. Mit sehr viel Kraft stemmte sie ihre Füße in den Boden. Sie spürte, wie ihr ein außerordentlich spitzer und scharfer Stein durch ihre Schuhsohle in den linken Fuß schnitt. Heftig sog sie scharf die kalte, nasse Luft ein. Keine Zeit. Weiter.
Mit Hilfe einer dicken Wurzel eines Baumes, der neben dem Bach schräg zur Seite und dann zum Himmel gewachsen war, zog Nisha sich aus dem kalten, zerrenden Wasser. Dann ging sie weiter. Doch zum Rennen fehlte ihr einfach die Kraft.
Ihr triefendnasses Kleid klebte ihr unangenehm am Körper. Es fühlte sich um einige Kilo schwerer an, als es sein sollte. Wasser rinnte überall an ihr hinab zur Erde. Und sie fror. Sie wollte nur noch Heim. Aber wo war das? Sie befand sich irgendwo in einem Wald. Und dieser könnte sonst wo sein.
Aus der Ferne erkannte Nisha eine hohe Steinwand. Ein Hang, der sich über die Bäume hinweg streckte. Zipfel von weiteren Bäumen, die wahrscheinlich auf dem Hang standen, konnte sie nur schwer erkennen. Aber das war ihr nicht so wichtig. Viel interessanter war es, das sie aus der Ferne einen eventuellen Eingang zu einer Höhle entdeckte.
Nisha legte an Tempo zu.
Der Regen wütete nach wie vor, dennoch war es hell. Frühester morgen. Wie auch immer Nisha das geschafft haben mochte, sie hatte den letzten Nachmittag bis jetzt verschlafen gehabt. Und das, während sie kopfüber auf einer Schulter eines Fremden gebaumelt hatte!
Dann stand sie vor dem Hang. Die Wand musste mindestens sieben Meter, wenn nicht sogar 10 Meter hoch sein. Und wie aus der Ferne vermutet, war es wirklich ein Eingang. Mehr eine etwas breitere Furche. Gerade etwas breiter, als ein erwachsener Menschen.
Bedacht schlüpfte sie in die Furche und lief den Gang entlang. Im Inneren war es dunkel. Der Weg schien sich ins Schwarze zu erstrecken.
Ab und zu blieb Nisha an einigen Steinen mit ihrem schweren Kleid hängen, dann, wenn sie sich zu befreien versuchte, hörte sie ein Reißen, was darauf zurückzuführen war, dass das Kleid nun einige Löcher besitzen und zerfleddert sein musste. Dann blieb sie erneut hängen. Mit aller Kraft zog sie an ihrem Kleid, welches kurz darauf nachgab. Mit großem Schwung fiel sie mit dem Rücken an die Steinwand. Vor Schmerzen schrie sie auf. Ihre Augen weiteten sich und ihre Hände schnellten zu ihrem Mund. Fest drückte sie sie auf, damit auch nicht der kleinste Ton mehr entweichen konnte. Ihr Atem ging schnell und ihr Herz hämmerte so laut, das es ihre Ohren fast betäubte. Eine ganze Weile verharrte sie so, bis sie sich sicher war, dass ihr niemand folgen würde - beziehungsweise, als sie nicht das geringste Geräusch von einer Bewegung in diesem Gang vernahm, - lief sie schnellen Schritts weiter in die Höhle hinein.
Der Spalt wurde nach und nach etwas breiter, bis er in einem etwas breiteren Raum mündete. Und hier endete der Weg für sie, denn die Nische, die weiter führte, war nur noch etwa so groß wie ein Kleinkind von vier Jahren.
Nisha erkannte nur sehr schwach etwas. Es war nicht alles so dunkel, wie sie es zunächst dachte, allerdings auch nicht wirklich hell. Sie konnte Umrisse und Konturen der Höhle gerade so erkennen. Aber weiter ging es nun mal nicht und zurück wollte sie nicht.
Nisha entschloss sich fürs Erste hier nieder zu lassen und zu Kräfte zu kommen. Sie war müde und alles schmerzte. Ihre Füße, ihre Beine, ihre Hände, ihre Schultern, der Rücken, ihre Lunge, der Nacken, ihr Kopf. Schmerzen von Muskelkater und von Verletzungen, die sie sich bei ihrer Flucht zugefügt hatte.
Sie fror.
Vorsichtig tastete sie sich am Boden entlang. Und als sie eine Stelle gefunden hatte, die sie für glatt genug erachtete, ließ sie sich auf das kalte Gestein gleiten.
Sie war müde. Müde vom Rennen und der Angst. Sie wollte nach Hause. Zu Jack und - sie konnte ihren Gedanken selbst kaum fassen - zu Jeff. Ja, sogar Jeff vermisste sie. Doch Nisha kannte zum Glück eine Möglichkeit die zwei zu kontaktieren. Und sie würde in dieser Höhle bleiben, bis Jack und Jeff sie holen kämen.
Gerädert setzte Nisha ihre Macht frei und beschwor Yo, ihren kleinen Dämon. Schwarzer Nebel drang aus ihrem rotem Auge - das andere hatte einen gräulichen Farbton. Der Nebel manifestierte sich zu einer kleinen, rundlichen Kreatur in Chihuahuagröße. Inmitten des Körpers funkelte ein großes, rotes Auge und spendete etwas Licht, dass es die großen, scharfen Zähne unterhalb des Auges beleuchtete. Der Mund war zu einem breiten Grinsen verzerrt. Das Auge starrte Nisha an.
»Ist das dein Ernst?!«, keifte Yo direkt los, als er Nisha schwer verletzt, dreckig und zerzaust vorfand. »Ich bin keine vierundzwanzig Stunden Zuhause, schon gerätst du in Schwierigkeiten! Ich war am Pokern! Syltya saß in der Klemme! Ich war am Gewinnen! Und dann rufst du mich! Es ging um unseren Dessert! Bist du eigentlich blöd?!«
Nisha dachte gar nicht erst daran sich zu entschuldigen.
»Yo«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich habe keine Zeit, um mich mit dir über deine freien Tage zu streiten.«
»Solltest du aber. Ich kann nicht für sich jämmerlichen Mensch ständig Babysitter spielen.« Yos Pupillen verengten sich mehr zu einem Schlitz.
»Du musst zu Jack. Sag ihm wo ich bin. Zeig es ihm.« Nishas Stimme Klang angestrengt. Die Schmerzen machten ihr mehr und mehr zu schaffen. Das Adrenalin verschwand allmählich.
Yo musterte sie genau.
»Du bekommst auch eine Belohnung. Ich werde Jack bitten dir alles zu kochen was du möchtest. Und du kannst jemanden einladen.«
»Wow!« Yo klatschte seine kleinen Ärmchen erfreut zusammen. »Gegen eine Bezahlung habe ich nichts einzuwenden.« Speichel lief aus seinem Mund. »Wenn du Schwierigkeiten haben solltest, ruf Syltya. Sie wird dir helfen. Richte ihr meine Grüße aus. Ich habe gewonnen.«
Yos Grinsen wurde breiter. Dann verschwand er in seiner eigener dunklen Rauchschwade.
Plötzlich war alles still. So still, dass die Stille in Nishas Ohren schmerzte. Sie war wieder allein.
Dicht zog sie ihre Beine an ihren Körper heran und umklammerte diese mit ihren Armen. Der Schmerz war unerträglich. Die Kälte ebenso. Und von der Angst ganz zu schweigen. Vor Erschöpfung schloss sie ihre Augen.
Sie würde hier warten, bis Jack auftauchte, sie in den Arm nahm und sagte, es sei nun vorbei. Dann würden sie Heim gehen. Er würde Nishas Verletzungen verarzten.
Heiße Tränen glommen in ihren Augen. Ein Wimpernschlag davon entfernt zu fallen. Es sammelten sich mehr, bis sie sogar ohne fielen. Leises Schluchzen füllte die Wände und warfen sie wieder.
Man würde sie retten. Oder?

REBORN || Jeff x Ben || All We Need Is Faith 2Where stories live. Discover now