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Jack betrachtete Miles und Ben eine ganze Weile. Er wusste nicht wie lange er schon dort stand, seine Augen nicht von ihnen abwandte und an nichts anderes mehr dachte, außer an das, was er die letzten zwei Jahre immer dachte, wenn er vor ihnen stand. Wie kann ich sie zurück holen? Wie?!
Jack konnte und wollte nicht länger mit zusehen, wie sich Nisha und Jeff immer mehr an sich selbst verloren. Vor allem bei Nisha nicht, denn auch wenn sie es nie sagte oder zu erkennen gegeben hatte, sah sie in Ben einen Bruder und in Miles eine Schwester - und das wusste Jack. Aber auch für ihn selbst, und das würde er niemals zu geben, wollte er sie zurück holen. Denn auch er verspürte den Schmerz und den Verlust. Und gerade weil jemand, wie Jeff, ihn niemals verstehen würde, schluckte er diese Gefühle hinab und verschloss sie tief in sich. Bis er allein war. Bis er in diesem Raum war.
Jack wandte sich nach einer Ewigkeit von den Behältern ab und drehte sich um. Gedankenverloren schlenderte er auf einen der Tische zu, auf denen Werkzeuge und sämtliche Dokumente einzeln und wirr lagen. Unter dem Tisch war ein Fach, in dem viele verschiedene Ordner voller weiteren Dokumente standen und lagen. Manche waren fein säuberlich hinein gestellt, ein paar andere waren rücksichtslos hinein gequetscht oder oben drauf gelegt worden.
Jack stützte sich auf dem Tisch ab und betrachtete die Dokumente. Er blätterte sie hin und her und suchte nach dem, was ihm weiter helfen würde. Doch, wie schon so oft zuvor, fand er nichts, was er nicht schon kannte. Und abermals fragte er sich, wie Lagu die Toten nur wieder lebendig machen konnte. Denn trotz dessen, dass Jack die Unterlagen von Lagu besaß, fand er keinen Hinweis. Nicht den geringsten. Dabei war er extra, für den Fall der Fälle, bevor sie damals aus China zurück nach Amerika flogen, nochmal zu Lagus Forschungslabor, wenn man das so nennen konnte, zurück gekehrt, um sämtliche Unterlagen an sich zu bringen. Dennoch, er fand nicht die geringste Spur.
Jack seufzte. Ja, er hatte drei Anhaltspunkte, doch nichts half. Den ersten konnte er generell ausschließen, denn er würde nicht zurück gehen. Er wollte sich seiner Vergangenheit nicht stellen. Sich nicht an den Tod seiner geliebten Person erinnern und wie Jeff Schuld an all dem trug. Wie sie flüchten mussten. Und das man nach ihnen nicht gesucht hatte, um sie auszuschalten, glich einem Wunder. Auch wenn dort vielleicht des Rätsels Lösung lag, er konnte nicht zurück. Es musste einen anderen Weg geben. Da war Jack sich zu hundert Prozent sicher.
Der zweite Anhaltspunkt wäre Lagus Unterlagen, in denen er immer fein säuberlich alles notiert hatte. Wörter wie "Götterblut" oder "Forschungsobjekt" mit einer Nummer, die Jack wieder vergessen hatte, konnten leicht geklärt werden. Damit war Ben gemeint. Er hatte damals alles von Jeff erfahren, als Ben geschlafen und sich auskuriert hatte.
Doch egal wie oft Jack Bens Blut zu nutzen und sie lebenden, sowie auch toten Objekten zu verabreichen versuchte, nichts hatte sich verändert. Die Lebenden blieben normal und die Toten blieben tot. Das war das Gegenteil von dem, was in seinen Unterlagen stand. Denn dort war verzeichnet, wie das Blut Lebenden kurze Zeit unvorstellbare Kräfte gab und den Toten das Leben zurück gab. Und je nach dem wie viel und wie konzentriert das Blut verabreicht wurde, blieben die Toten länger am Leben und hatten sogar Verstand. Doch bei Jacks Experimenten geschah nichts dergleichen. Und er befolgte die Formeln, die in den Unterlagen standen, diskret. Woran es lag, wusste Jack nicht. Vielleicht fehlte etwas in den Formeln, was offensichtlich ausschlaggebend sein musste. Doch Jack verstand nicht was. Und was auch immer es war, er musste es so schnell wie möglich heraus finden.
Der dritte Anhaltspunkt wäre das Gespräch mit Yo. Ein Dämon, mit dem man einen Packt eingehen musste, um am Leben zu bleiben. Das allerdings warf wieder nur weitere Fragen auf. Wie ging man einen Packt ein? Wie beschwor man einen Dämon? Konnte man erst an der Schwelle des Todes entscheiden? Oder auch nach dem Tod durch eine dritte Person? Doch Yos Verschlossenheit ließ Jack im Dunkeln tappen.
So viele Ansätze, doch kein Ergebnis. Nicht mal ein kleiner Funken, der zur Lösung führen könnte.
Jack seufzte und ließ von den Dokumenten ab und ging um den Tisch. Leicht gereizt und enttäuscht lief er an vielen Operationstischen vorbei, bis er vor einem stehen blieb, auf dem ein Körper lag. Über ihm war ein weißes Spanntuch ausgebreitet, sodass man nur die Umrisse des Körpers erkennen konnte. Mit einem Ruck zog er das Laken vom Tisch und ließ es auf den Boden sinken. Er betrachtete einen jungen Mann. Er war schlank und seine Haut ganz hell. Seine Haare waren kurz geschoren und schwarz. Hohe Wangenknochen zierten sein kantiges Gesicht. Er war ganz friedlich, wie er so da lag. Seine Augen waren geschlossen und leicht eingefallen. Falten in seinem Gesicht ließen deuten, dass seine Gesichtszüge einst scharf gewesen sein mussten. Aber jetzt nicht mehr. Denn ein Toter, so wie er, hatte weiche Züge, die wirkten, als würde er lediglich schlafen. Kleidung trug er, wie die Körper in den Behältern, nicht. Er war nackt.
Jack drehte sich zu einem Tisch, links von ihm, und zog an einen der Schubladen. Eine kleine Spritze, mit einem roten Sekret als Inhalt, rollte ihm entgegen. Er nahm sie an sich und drehte sich wieder zu dem Körper um. Er betrachtete die Spritze, die er letzten Abend mit Hilfe der Dokumente Lagus angefertigt hatte. Schon längst hatte er aufgehört zu zählen, wie viele er von diesen Mitteln hergestellt hatte, wie oft er dieses Experiment versucht hatte. Aber er konnte nicht aufgeben. Er durfte einfach nicht.
Leicht und sachte streichte er über den Kopf des Toten. »Keine Angst. Es wird nicht weh tun, Nick. Nicht für dich. Nicht mehr.«, sagte Jack leise zu ihm, dann platzierte er die Spritze an Nicks Brustkorb, genau in die Mitte, wo das Herz sich befand. Schnell zog er die Spritze ein Wenig in die Luft und stieß sie mit aller Kraft in den Brustkorb, sodass die lange Nadel auch ins Herz eindringen konnte. Dann drückte er vorsichtig die Flüssigkeit aus der Spritze.
Als auch der letzte Tropfen im Herz von Nick verschwand, zog Jack die Spritze aus dem Körper und nahm sich eines der Tücher, die auf dem Tisch links neben ihm lagen. Gründlich reinigte er die Nadel und baute die Spritze auseinander, um sie später richtig reinigen zu können. Er legte die Einzelteile ab und wandte sich dann Nick wieder zu. Ungeduldig wartete Jack ab, was passieren würde. Ob überhaupt etwas passieren würde. Doch nichts geschah. Auch nach fünf Minuten bewegte sich der Körper nicht. Und nach fünfzehn Minuten verlor Jack jegliche Geduld.
Wutentbrannt fegte er mit seinem Arm über den Arbeitstisch und warf somit alles, was auf ihm lag, zu Boden. Laut klirrend kam Operationswerkzeug zu Boden, die Tücher flogen durch die Gegend und die Spritze, welche einen Glaskörper besaß, zerbrach in viele Einzelteile.
Jack scherte sich nicht um das Chaos um hin herum.
Schwer atmend stützte er sich auf dem Operationstisch ab und unterdrückte verzweifelt seine Tränen. Das Gefühl, dass sein Hals an schwoll und die Nase brannte wurde immer stärker. Ein tiefer, wütender Schrei erklang im Raum. Er sank auf den Boden. Die Hände, zu Fäuste geballt, ruhten immernoch auf dem Tisch. Er blickte auf den mit weißen Fliesen belegten Boden, welcher mehr und mehr verschwamm. Die Tränen krochen immer höher, sodass seine Augen schon anfingen zu glänzen. Nur ein Wimpernschlag war er davon entfernt die ersten Tränen fließen zu lassen. Und er gab sich ihnen hin. Sie zerrten einen unglaublich starken Schmerz in seine Brust, fraßen sich schnell und heiß über die Haut und fielen warm und salzig zu Boden. Jacks Körper zitterte und er selbst schluchzte laut und unaufhörlich.
Lange verharrte er auf dem Boden und machte sich selbst Vorwürfe. Er wusste, dass sie tot waren - und dennoch konnte und durfte er nicht aufgeben. Ständig sagte er sich das, doch im eigentlichen wollte er nur einfach nicht.
Gerädert rappelte er sich auf und ging langsam und bedrohlich zur Südwand, an der sich auch die Türen nach Oben befand. Doch ging er nicht zur Tür, die an der Westwand angrenzte, sondern mehr Richtung Ostwand, blieb etwa zwei Meter vor ihr stehen und betrachtete die Südwand. Er erblickte einen Knopf, den er drückte, und mit leisen Surren und kaum hörbaren Zischen öffnete sich eine Tür, welche man zuvor nicht bemerkt hätte, wenn man nicht genau hin sah oder nicht vom Knopf wusste.
Jack zog die Türe auf, welche nicht so schwer wie die Zugangstür dieses Raumes war, und blickte in völlige Dunkelheit. Leise raschelte es in der Dunkelheit und schien vorsichtig und langsam über den Boden zu rutschen. Weg von Jack. Doch Jack grinste nur schief und trat einige Schritte in die Dunkelheit. Blind griff er ins schwarze Nichts, bis er Stoff in der Hand spürte. Mit einem kräftigen Schwung riss er es aus dem dunklen Raum ins Helle.
Jauchzend kam ein schlanker Körper auf dem Boden auf. Es war eine junge Frau, wahrscheinlich nicht älter als zweiundzwanzig.
Blinzelnd versuchte sie sich ans grelle Licht zu gewöhnen und kroch verzweifelt vor Jack weg. Ihre Hände waren hinter ihrem Rücken gebunden und ihre Fußgelenke aneinander. Jack fand, sie wirkte glatt wie eine Raupe.
»Bitte,«, flehte sie mit krächzender Stimme. Ihre Haut war gebräunt, ihre Haare schwarz, kurz und wirr. In ihrem Gesicht bildeten sich Blutergüsse und ein grün angeschwollenes Auge ab. »Bitte nicht. Ich... tu auch alles. Ich gebe alles. Ich kann dich verwöhnen. Aber.. Bitte. Nicht mehr...«
In ihrem Blick glänzten Tränen der puren Verzweiflung und Angst.
Jack grinste. Er wusste, das sie eine Prostituierte, eine Nutte, war.
»Gut.«, sagte er und ging zu den Tischen, um sich einen Stuhl zu greifen. »Ich lasse dich gewähren. Vermassel es nicht.«, sagte er mit einem wirklich sehr freundlichen Lächeln, was ihr versichern sollte, dass er ihr nichts antun würde. Doch dieses Lächeln wollte absolut nicht zu ihm passen - und das wusste die Frau. Er war gefährlich und das, was er gesagt hatte, war eine Drohung und klang so scharf wie Messerklingen.
Er stellte den Stuhl direkt vor die Prostituierte und griff nach ihren Handgelenken. Seine Hand griff nach einem Skalpell und er trennte ihr das Seil um ihre Handgelenken durch.
»Das müsste reichen.«, sagte er kalt und sah auf sie herab. »Jetzt mach.«
Sie drehte sich zu ihm, nickte kaum merklich und legte ihre zittrigen Hände auf Jacks Oberschenkel. Seicht strich sie an ihnen entlang ohne dabei das Skalpell, welches Jack in der Hand behielt, aus den Augen zu lassen. Ihre Hände glitten langsam unter sein graues Shirt und berührten zaghaft seine warme Haut. Leicht, wie eine Feder, strich sie über diese. Sie erwartete eine Gänsehaut ihres Entführers, doch diese kam nicht. Dann legte sie ihre Hände auf und fing an seinen Körper zu massieren. Sie arbeitete sich den Rücken hinauf, die Schultern entlang und den Rücken wieder hinunter. Angestrengt versuchte sie einen verführerischen Blick Jack zu zuwerfen. Er allerdings beachtete sie nicht und schien in Gedanken zu schwelgen. Also sah sie hin, was sie tat, um sich zu vergewissern, dass sie es auch richtig tun würde. Vor Furcht wusste sie nämlich nicht, ob sie das, was sie tat sich auch gut für Jack anfühlte.
Langsam fuhr sie die Furche zwischen Gürtel und Haut nach und drängte ihren Zeigefinger dazwischen. Den Daumen beließ sie auf dem Gürtel und die restlichen Finger strichen auf Jacks Haut entlang. Zärtlich wanderte sie zur Gürtelschnalle und öffnete diese quälend langsam. Danach öffnete sie den Knopf und den Reißverschluss der Hose. Doch sah sie keine Umrisse eines steifen Gliedes hinter dem Stoff der Boxershort. Kate hielt die Luft an. Sie hatte etwas falsch gemacht.
»Wie heißt du?«, fragte Jack plötzlich.
Die Frau sah ängstlich auf. »Kate.«
Jack nickte.
Irgendwie langweilte es ihn. Er brauchte Aufmunterung. Und das war es irgendwie nicht. Er wurde ungeduldig.
Kaum merklich betrachtete er die Hure von oben bis unten. Sie trug ein enges, weißes Tobias und dazu eine kurze, helle Jeansshort.
Jack beobachtete, wie ihre Hand in seine Boxershorts glitt und sein Glied umschloss. Ihn massierte und alles versuchte Jack zu erregen.
Und plötzlich überkam ihn die Wut, gewaltiger als vorher. Er spürte, wie sich seine Hände wieder zu Fäusten schlossen. Wie konnte er nur denken, dass sie ihn vielleicht ablenken würde oder gar aufheitern könnte? Sie war nicht er. Sie war bloß eine schändliche Dirne, die für Geld mit anderen Kerlen fickte. Nicht mehr, nicht weniger. Und auch könnte sie niemals bei der Auferstehung Miles und Bens behilflich sein. Sie war nur ein Mensch. Hatte keine Intelligenz. Hatte nur eines im Kopf. Und wollte nur überleben. Sie hatte Angst vor Jack - und das wusste er, denn die Blutergüsse kamen nicht von nichts. Jack hatte sie ihr beigebracht. Immer, wenn er wütend und erschöpft war, sich verlassen und machtlos fühlte.
»Kate«, sagte er so sanft, dass es Jack sogar selbst überraschte.
In den Augen der Frau trieb sich mehr als Furcht und mehr als Angst. Sie zog ihre Hände an ihren Körper zurück und machte erschrocken einen Satz nach hinten. Sie hatte etwas falsch gemacht, das wusste sie. Eine Vorahnung machte sich in ihr breit. Er wird mich umbringen. Sie fing an am ganzen Leib zu zittern und schob sich mit Händen und Füßen von Jack weg.
Jack lächelte schief. »Du weißt doch, warum du hier bist, nicht?«
»Nein.. Bitte.. Bitte nicht..«, stammelte sie heiser und rutschte weiter nach hinten. Tränen rannen ihr die Wangen entlang.
Jack erhob sich von seinem Stuhl und ging ihr langsam hinter her. »Du weißt, warum du hier bist. Nicht, um mir einen zu Blasen, Hure. Nein. Nicht deswegen.«
Er ballte seine Hände zur Faust und warf das Skalpell quer durch den Raum. Kate zuckte beim aufklirren des Werkzeuges zusammen und drehte sich auf den Bauch, um sich schneller mit Armen und zusammengebundenen Beinen wegschieben zu können. So schnell sie eben konnte.
Mit einem Satz war Jack bei ihr und trat mit aller Wut in ihre Rippen. Die Frau schrie durch die Schmerzen auf.
»Hure.«, sagte Jack scharf. »Du bist mein Ventil. Nicht meine persönliche Dirne. Ich will nicht verwöhnt werden. Nicht von dir.«
Die eine Hand an ihre Rippen gedrückt, schob sie sich mit der anderen Hand mit aller Kraft voran. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Laut keuchte und jauchzte sie. Doch Jack interessierte ihr Wohlergehen herzlich wenig. Er machte einige weitere Schritte auf sie zu und trat ihr ins Kreuz.
Erneut schrie Kate auf und fing an zu Husten.
Langsam ging Jack um sie herum und kniete sich zu ihr herunter.
»Und das ist auch der einzige Grund, warum du noch am Leben bist. Nicht mehr, nicht weniger. Ich könnte dich hier und jetzt umbringen. Aber wo läge der Sinn dabei? Dann müsste ich mir ein neues Ventil suchen. Und dafür habe ich weder die Lust, noch die Kraft.
Also, komm nie wieder auf die Idee mich verwöhnen zu wollen. Verstanden?«
Doch Kate antwortete nicht. Unaufhörlich röchelte und hustete sie. Jack nahm dies als ein "Verstanden." an und erhob sich wieder.
Ausdruckslos blickte er auf die Hure hinab und holte mit seinem Fuß aus, um ihn ihr ins Gesicht zu rammen. Schlagartig flog ihr Kopf zu Seite und Kate war zu nichts mehr fähig, als zu Wimmern und zu weinen.

REBORN || Jeff x Ben || All We Need Is Faith 2Where stories live. Discover now