12.Kapitel

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Ich wischte mir die Tränen weg und starrte mein verheultes Gesicht im Spiegel an. Ich hatte noch sieben Minuten Zeit, wieder so auszusehen, als würde es mir gut gehen. Und dann musste ich nur noch drei Stunden dieses Auftreten so bewahren. Ich zupfte an meinen Haaren und war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen. Warum verletzte mich das Verhalten der Jungs so sehr? Warum lachte ich nicht einfach über deren kindisches Verhalten? Ich fuhr mit der rechten Hand ein einzelnes Haar entlang und wiederholte diesen Vorgang bei verschiedenen Haaren, bis ich eines fand, das eine raue Struktur hatte. Langsam fuhr ich diese immer wieder nach, bis ich es schließlich fester mit den Fingern umgriff und daran zog. Es löste sich von meiner Kopfhaut. Ich fuhr die Struktur von dem Haar noch ein paar Mal nach, bis ich es auf die Fliesen fallen ließ.

Ich seufzte und schaute auf mein Handy, das auf dem Waschbecken lag. Noch vier Minuten. Ich sollte mich langsam auf den Weg zum Klassenzimmer machen, auch wenn mir gerade alles lieber war als das. Ich fühlte mich unwohl. Ich wusste nicht, ob ich die Kraft dazu aufbringen konnte, den anderen unter die Augen zu treten.
Ich atmete tief durch, betrachtete mich prüfend im Spiegel und verließ die Schultoilette, die ich schon seit Jahren als meinen Rückzugsort betrachtete, da sie nur selten benutzt wurde. Wahrscheinlich lag das an der, im Vergleich zu den anderen, ziemlich alten Toilette und auch an dem unpraktisch gelegenen Ort, aber mir sollte das nur Recht sein.

Der Weg zum Klassenzimmer war die Hölle für mich, mit jedem Schritt wurde ich angespannter. Mir wurde schlecht.

Als ich endlich da war, setzte ich mich gleich auf meinen Platz am Lehrerpult, an dem ich noch immer alleine saß. Ich spürte zwar die Blicke von Markus und Malena auf mir, aber diese ignorierte ich. Ich war ihnen dankbar, dass sie nicht zu mir kamen, das machte es mir einfacher, mich zu sammeln, auch wenn mein Verhalten und Denken sich für viele wahrscheinlich ziemlich kindisch und unreif anhörte, aber daran konnte ich so leicht auch nichts ändern. Ich wunderte mich, warum die vier üblichen Jungs noch keinen Kommentar mir bezüglich abgegeben hatten, seitdem ich das Klassenzimmer betreten hatte. Sie hatten zwar angefangen zu lachen, als ich hereingekommen war, was mir schon total unangenehm war, aber mehr hatten sie zu meiner Verwunderung nicht getan. Das sah ihnen gar nicht ähnlich, vor allem weil sie heute Morgen noch jede Möglichkeit genutzt haben, Markus und mich, vor allem mich, schlecht zu reden.

Nach dem Unterricht ging Cara an meinen Tisch. Überrascht sah ich zu ihr. Amelia und Grace verschwanden aus dem Raum, ohne sie auch nur anzuschauen. Die beiden taten mir leid. Seitdem Malena hier war, vernachlässigte Cara die beiden stark. Bestimmt war das für sie kein schönes Gefühl, aber wenigstens hatten die zwei noch sich und verstanden sich offenbar besser als zu den Zeiten, als sie sich nur zu dritt blicken ließen. Manchmal verstand ich Cara einfach nicht. Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, zwei Freundinnen von mir einfach links liegen zu lassen, nur weil ich jemand Neues kennengelernt hatte. Ich wünschte mir seit Jahren nichts sehnlicher als eine Freundin, die auch hundertprozentig eine war und Cara behandelte ihre eigentlich so gute Freundschaft, als wäre sie nur eine Übergangslösung gewesen, bis jemand Besseres kam.

»Vielleicht hast du schon eine Vermutung, warum ich hier bin. Es dauert auch nicht lange und ich will dich genauso wie die anderen auch nicht damit nerven, wir verstehen deine Reaktion und wollen da jetzt auch kein unnötiges Drama draus machen, da das ja wirklich nur eine Kleinigkeit war, aber ich habe meinem Cousin verboten, nochmal etwas wegen eurer Beziehung zu sagen und er sollte sich auch darum kümmern, dass die anderen drei es ihm gleich tun«, erklärte Cara und in meinem Kopf ratterte es. Ich hatte nicht gedacht, dass sie das jemals tun würde. Natürlich hatte ich mich mich oft gefragt, warum sie nicht einmal in den ganzen Jahren mit Leon sprach. Das war eine weitere Sache, die ich an ihr nie verstanden hatte. Aber warum tat sie das gerade jetzt?

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