9.Kapitel

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Malena war ganze zwei Wochen nicht in der Schule gewesen. Ihr ging es körperlich alles andere als gut. Geschrieben oder unterhalten hatten wir uns in dieser Zeit kaum. Wenigstens das hätte ich gerne getan, doch da sie mich nie angeschrieben hatte, außer um mir Fragen zu den Hausaufgaben zu stellen, hatte ich mich auch nicht getraut, sie darauf anzusprechen. Die Aufgabe vom Anfang des Schuljahres, Malena von selbst anzuschreiben, war beim ersten Mal also noch schwieriger als erwartet, doch ich hatte es schließlich, nachdem ich eine ganze halbe Stunde nur auf unseren Chat gestarrt hatte, noch geschafft. Mit der Zeit war das dann immer einfacher geworden, doch schwer war es immer noch. Seit den zwei Wochen fast ohne Kontakt fiel mir das aber noch schwerer als ganz am Anfang.

Ich seufzte. Wahrscheinlich genoss Malena die Auszeit von mir, aber für mich war sie die Hölle. Es war schön, jemanden bei sich zu haben, der sich für einen interessierte. Auch wenn es kaum jemanden gab, von dem ich das hätte behaupten können. Und so starrte ich wie in den letzten beiden Wochen auf den Chat von Malena und mir. Sie war online. Wie so oft wünschte ich mir, dass sich diese Anzeige in ein 'schreibt' umwandelte. Doch dazu kam es nicht - kam es nie. Jeden Tag schwand meine Hoffnung aufs Neue, dass sie sich wieder bei mir melden würde. Selbst ein einfaches 'hey' würde mich so unendlich glücklich machen ... Ich wusste, es wäre sinnvoll, wenn ich sie einfach selbst einmal anschrieb, aber in der Praxis war das leider nicht ganz so einfach. Ich schaffte es nicht. So oft hatte ich schon einen Text vorgeschrieben, wenn auch nicht auf WhatsApp. Dann hätte sie ja sehen können, dass ich etwas schrieb. Aber mittlerweile verstaubten so viele Entwürfe in meinen Notizen ... kein einziger davon war jemals abgeschickt worden. Warum konnte ich mich nicht einfach dazu überwinden? Eigentlich war doch nichts Schlimmes dran. Eigentlich. Ich hätte Malena jetzt einfach anschreiben und fragen können, wann sie zum Beispiel wieder in die Schule kommen würde. Normale Menschen würden das wohl machen, aber so war ich nicht. Ich war nicht normal.

Stattdessen checkte ich meine Nachrichten. Lienchen hatte einige Kommentare auf meinem letzten Kapitel hinterlassen. Lächelnd überflog ich sie. Unser einziger Kontakt bestand zwar darin, gegenseitig die Bücher vom jeweils anderen zu kommentieren und uns dort zu unterhalten, aber das reichte auch. Die Gedanken an Malena konnte ich beim Antworten darauf erfolgreich verdrängen. Wie fast jedes Mal stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich ihre verrückten und liebevollen Kommentare durchlas. Ich wünschte mir, irgendwann auch wieder wegen Malena so lächeln zu können und nicht mit den Tränen kämpfen zu müssen. Nein, ich wollte jetzt nicht wieder daran denken. Lienchen war jetzt wichtiger. Sie antwortete sogar gleich auf meine Nachrichten. Ich war so glücklich, wenigstens sie zu haben und zu wissen, dass unsere Freundschaft noch ewig halten würde. Lächelnd schloss ich die Augen.

Ein paar Klaviertöne unterbrachen meine Gedanken. Verdammt! Ich hatte anscheinend schon wieder aus Versehen das Vibrieren meines Handys auf den Ton umgeschaltet. Wieso passierte mir das nur ständig? Genervt öffnete ich wieder meine Augen und mein Herz hörte für einen kurzen Moment auf zu schlagen. Auf der Benachrichtigungsleiste prangte eine Nachricht von niemand anderem als Malena. Ungläubig starrte ich darauf und spürte, wie mir augenblicklich Tränen in die Augen schossen. Sie hatte mir tatsächlich geschrieben. Es war sogar eine relativ lange Nachricht. Ich fing an, die Vorschau zu lesen:

Guten Abend, Katha!
Mir geht es jetzt endlich wieder gut genug, um morgen in die Schule gehen zu können. Soll ich dich dann morgen wieder um die gewohnte Uhrzeit abholen? Oder vielleicht ein bisschen früher? Dann könntest du mir noch ein bisschen von den letzten beiden Wochen erzählen, damit ich wenigstens ein we ...


Mehr konnte ich nicht lesen. Lächelnd las ich diese Zeilen. Die Nachricht gleich aufrufen, wollte ich aber nicht, sonst dachte Malena noch, ich hätte die ganze Zeit auf eine Nachricht von ihr gewartet. Das stimmte zwar, aber das musste sie nicht wissen. Da ich aber trotzdem neugierig war, was Malena noch geschrieben hatte, musste ich den zweiten Weg gehen, die gesamte Nachricht lesen zu können, ohne sie aufzurufen. Blitzschnell schaltete ich die Bildschirmdrehung an meinem Handy an, die ich sonst immer ausgeschaltet habe, da sie mich aufregte, und drehte mein Handy. Nun zog ich die Nachricht so auf, dass ich sie ganz lesen konnte. Perfekt. So ging sie weiter:

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