21.Kapitel

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Nervös blieb ich stehen. Und jetzt? Malena ist mit Cara gleich zu einer Wachsfigur gesprungen und bewunderte sie. Und Markus benahm sich mir gegenüber komisch seit dem Videovorfall. Zwei Tage sind seitdem schon vergangen und er sprach nur das notwendigste mit mir. Es kam mir so vor, als ginge er mir aus dem Weg. Das irritierte mich schon ein wenig, aber was mich noch viel mehr wunderte war, dass mir das kaum etwas ausmachte. Ich war sogar ein kleines bisschen froh darüber, da ich mich immer noch wegen dem Video schämte und daran ständig denken musste, wenn ich bei meinen Mitschülern war. Seit jenem Abend war es keine Seltenheit mehr, wenn ich an Leuten aus meiner Jahrgangsstufe vorbeilief, sie anfingen zu tuscheln. Das kam zwar davor schon das ein oder andere mal vor, aber nicht in diesem Ausmaß wie es jetzt war.

Unschlüssig ging ich der Masse hinterher, die sich in kleinen Gruppen auf den Weg machte, sich die Ausstellung von Madame Tussauds anzuschauen.

Ich kam mir dumm vor, als ich alleine und ziellos durch die Räume lief. An sich war es wirklich interessant, aber ständig spürte ich die Blicke auf mir und hörte das Gekicher über mich. Was sie flüsterten, verstand ich nur teilweise, doch das, was ich verstand, tat dafür umso mehr weh. Ich war froh, dass ich nicht mit Malena und Cara mitgegangen bin, da ich sie zum einen nicht mit meiner Anwesenheit belästigen wollte und zum anderen wäre es mir noch unangenehmer, wenn Malena und Cara die Kommentare über mich mitbekamen. Sie sollten den Ausflug genießen und ihn nicht von mir verderben lassen.

Das Gebäude von Madame Tussauds war größer als es von außen aussah. Einige Bilder von den wirklich beeindruckenden Wachsfiguren befanden sich schon auf meinem Handy. Viel mehr als ich eigentlich vorhatte, aber ich wollte, dass es so aussah als hätte ich viel Spaß dabei, auch wenn ich die einzige war, die alleine herumlief. An sich hätte mir das nichts ausgemacht, aber was die anderen deswegen über mich dachten, machte mir sehr wohl etwas aus. Deswegen konnte ich den Ausflug auch überhaupt nicht genießen, was ich doch schade fand.

»Haben jetzt Malena und Markus endlich genug von dir und haben kapiert, wie gestört du wirklich bist?«

Leons spöttische Stimme ließ mich zusammenfahren. Anhand der Lautstärke und seinem ekelhaften nach Rauch stinkenden Atem, der auf meinem Nacken auftraf, nahm ich an, dass er genau hinter mir stand. Ich verspannte mich. Ich traute mich nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Vor Angst wurde ich zu einem Steinklotz. Konnte Leon nicht einfach bei seinen Freunden bleiben und mich in Ruhe lassen? So tun, als würde ich nicht existieren? Das wäre doch eine viel bessere Möglichkeit gewesen als mir das Leben zur Hölle zu machen.

»Jetzt hat es dir wohl die Sprache verschlagen. Ach, Entschuldigung, ich hatte vergessen, dass das bei dir ja 24/7 der Fall ist«, zog Leon mich ins Lächerliche und ich drückte meine Zehen kraftvoll in den Boden. Der dadurch aufkommende Schmerz war befreiend, aber er war nicht mehr so wirksam, wie er es einmal war. Ich hielt die unmittelbare Nähe zwischen Leon und mir kaum aus.

Ich starrte eine Wachsfigur an. Ich wusste nicht, wer sie war, aber sie sah nach irgendeinem Charakter aus einem Science-Fiction Film aus. Es war eine Frau in rot-blauer Kleidung.

Leon trat mit seinem Fuß in meine Kniekehlen und ich sank japsend zu Boden. Sofort ertönte Gelächter und ich war wieder auf dem besten Weg, mein Gesicht in eine Tomate zu verwandeln. Ich hasste mich. Ich hasste mich. Ich hasste mich. Warum hatte ich das nicht vorhergesehen? Warum hatte ich nicht aufgepasst? Wurde das hier gefilmt?

Schnell rappelte ich mich vom Boden auf, doch mein Blick war weiter darauf gerichtet. Ich fühlte mich wie eine Maus, die vor einem Riesen, in dem Fall Leon, stand. Mein ganzer Körper war angespannt. Ich sollte einfach weggehen und froh sein, dass Malena und Markus das nicht gesehen hatten. Ich wollte loslaufen, doch mein Körper war vor Angst wie gelähmt. Warum hatte ich überhaupt Angst vor ihm? So schlimm war er doch auch nicht. Es konnte tausendmal schlimmer sein. Das, was er tat, verkraftete ich schon, vor allem wenn Malena und Markus das nicht sahen. Warum machte es mir also so viel aus? Andere wurden richtig schlimm gemobbt und ich beschwerte mich über ein paar Kleinigkeiten? Ich sollte froh sein, dass es nicht schlimmer war. Gegen meinen Willen machte sich eine Träne auf dem Weg aus meinem Auge. Ich verfluchte mich. Ich war doch wirklich eine Heulsuse. Warum hatte ich meinen Körper nicht wenigstens bei dieser Sache unter Kontrolle? So schwer konnte das doch wirklich nicht sein.

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