25.Kapitel

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»Hat jemand etwas dagegen, wenn ich eure mündlichen Noten laut vorlese? Nein? Gut. Die meisten Noten liegen sowieso zwischen eins und drei«, erklärte Herr Lehmann. Eigentlich hätte ich darüber erleichtert sein sollen, aber das war ich nicht. Normalerweise bekam ich immer eine drei oder vier im Mündlichen. Das war in jedem Fach bisher so, außer ein paar Ausnahmen. Meine Gesamtnote litt zwar immer darunter, aber ich war froh, dass es wenigstens meistens noch zu einer drei im Mündlichen kam. Doch diesmal hatte ich ein ziemlich schlechtes Gefühl dabei.

Aufmerksam hörte ich zu, wie Herr Lehmann die Klassenliste durchging.

»Chloe, zwei. Katharina, sechs -« Ich hielt die Luft an.

»Endlich mal eine Note, die der Stummkopf verdient hat«, unterbrach Luca unseren Lehrer und ich zuckte kaum merklich zusammen. Herr Lehmann wusste nicht, dass ich Stummkopf genannt wurde, aber jetzt konnte er es sich erahnen. Denn Chloe zum Beispiel war alles andere als stumm, ich dagegen war es schon. Schaudernd erinnerte ich mich an die erste Stunde mit ihm. Da hatte er mich gefragt, ob ich sprechen konnte, da ich ihm nicht geantwortet hatte. Ich war in diesem Moment überfordert gewesen, da ich zusätzlich zu meiner Nervosität auch nicht die Antwort auf seine Frage wusste. Er hatte nicht lang auf meine Antwort gewartet. Seitdem hatte er mich nie mehr dran genommen, worüber ich einerseits froh war, andererseits aber auch nicht, wenn ich mich an meine Note erinnerte.

Ich spürte die Blicke meiner Mitschüler stechend an meinem Rücken. Es war unangenehm. Ich hörte Chloe zu Olivia sagen, wie sehr ich es doch verdient hatte. Ich war den Tränen nahe, wie schon so oft in letzter Zeit. Unser Lehrer las die nächsten Noten vor. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie sehr sich Markus in dem Moment für mich schämte. Was Malena dachte, konnte ich nicht einschätzen. Ihr Verhalten verwirrte mich. Mal war sie die ganze Zeit für mich da, dann gab es aber auch wieder diese Zeiten, in denen sie nur den nötigsten Kontakt mit mir hielt. Das verletzte mich mehr als die ganzen dummen Kommentare, die ich mir heute schon anhören musste. Ich schluckte. Ich hatte einen Kloß im Hals. Das war unangenehm. Ich spürte das Verlangen danach, mich zu räuspern, aber das traute ich mich nicht. Ich startete einen Versuch, mich lautlos zu räuspern, was aber nicht funktionierte. Ich gab es schließlich auf und wagte stattdessen einen kurzen Blick zur Seite. Malena war nicht in meinem Blickfeld, dafür aber Markus. Es sah so aus, als hätte er etwas auf dem Herzen. Gedankenverloren starrte er die Tafel an, auf der nur das heutige Datum stand. Hatte es vielleicht etwas damit zu tun? Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein, er sah nichts genaues an, er starrte nur in die Lehre. Ich sollte ihn gleich in der Pause fragen, was los war. Eigentlich. Aber ich wollte ihn nicht nerven. Was, wenn ich ihn nervte und gar nichts war? Markus war sowieso seit Malenas Geburtstag total anders zu mir. So kalt und verbittert. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich konnte mich an nichts spezielles erinnern. Hatte er nun einfach genug von mir? Ich wusste es nicht und diese Unwissenheit zerriss mich im Inneren.

Nach der Stunde blieb ich an meinem Platz sitzen. Ich war kurz davor gewesen, zu Markus zu gehen, doch dann war er schon mit seinen Freunden verschwunden. Malena ist mit Cara raus gegangen, genauso wie die meisten aus meiner Klasse. Jetzt waren nur noch Grace,

Amelia und drei weitere Menschen mit Kopfhörern in den Ohren im Raum. Es war ziemlich still, wie meistens, wenn die typischen Unruhestifter nicht da waren. Ich holte mein Handy aus meiner Tasche und checkte kurz meine Nachrichten. Es waren keine wichtigen dabei. Somit legte ich das Gerät auf den Tisch und fing an, mich auf die nächste Stunde vorzubereiten. Das war Bio.

Im Klassenzimmer war es so still, dass man sogar eine Stecknadel auf den Boden fallen hören hätte können. So still war es nicht immer, aber ich genoss die Ruhe. Es war eine schöne Abwechslung zu dem sonstigen Tumult hier in der Schule.

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