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Es war sechs Uhr Morgens. Ich hatte mir von Dex den Kontakt zum Coach geben lassen, um mir Trainings- und Ernährungspläne zu besorgen. Ebenfalls hatte ich einige medizinische Daten erhalten. Trainingswerte, um mögliche Verbesserungen oder Verschlechterungen im aktiven Training frühzeitig zu erkenne. 
Und das Training begann regulär um sechs Uhr. Es wurde Zeit, dass Scott sich wieder daran gewöhnte. Doch als ich um Sechs als einzige in dem Raum stand, der mit einigen Trainingsgeräten ausgestattet war. Auch eine Anschaffung, die Abi, nach Absprache, eingeführt hatte. Doch ich wartete vergebens. Also betrat ich, um Viertel nach Sechs, das Schlafzimmer, ging ans Fenster und öffnete die Vorhänge mit einem Ruck. 
Stöhnend murrte Scott. "Was zur Hölle?" Rief er miesgelaunt. Aber ich lächelte nur zuckersüß. "Du hast verschlafen. Es ist schon Viertel nach Sechs." Genervt schüttelte er den Kopf, zog sich das Kissen über den Kopf und ignorierte mich weiter. 
"Steh auf und hör auf dich wie ein kleines Kind zu benehmen." Sagte ich, ging zum Bett und riss ihm das Kissen aus den Händen. "Ich habe mit deinem Coach gesprochen. Training beginnt um sechs. Daran hat sich nichts geändert." Er schnaubte genervt.  "Ich kann nicht mal alleine auf Klo gehen. Wie soll ich mich alleine fertig machen?" Fragte er frustriert und ich schnaubte. "Wusstest du zwischen ich kann und ich will nicht liegt ein Unterschied." Wieder schnaubte er. Ich konnte regelrecht sehen, wie er begann mich zu hassen. Ich lächelte. Denn Frust war bei Sportlern meist eine gute Motivation. Sie waren darauf gepolt, dass etwas nur besser wurde, wenn man es wieder probierte. 
"Andere Patienten mit einem Ähnlichen Krankheitsbild können schon wieder erste Schritte machen." Gab ich mit einem Schulterzucken und musste nicht mal lügen. Es war eine Kopfsache. Er wollte nicht und ich versuchte möglichst Realistisch zu sein. Doch durch sein Selbstmitleid hatte er bestimmt vier Wochen verloren. 
"Also beweg deinen Arsch aus dem Bett. Du hast immer noch zwei gesunde Arme, oder nicht?" Wütend funkelte er mich an, doch er setzte sich auf. Langsam schob er seine Beine zur Bettkante. Er zuckte zusammen, als ein Schmerz ihm durch den Körper schoss, doch er schien beinahe sofort wieder zu verschwinden.  
"Ich glaube es war keine guten Entscheiding dich ins Haus zu holen." Maulte er, als er nach dem Rollstuhl griff, um ihn vor dem Bett zu positionieren.
"Oh. Also ich denke, dass du ein paar Wochen anders denken wirst." Er schnaubte. "Wir werden sehen." Erklärte er zweifelnd. Und ich lachte auf. "Glaub mir du kriegst niemanden der besser ist. Jedenfalls nicht auf die schnelle und nicht für den Preis." Sagte ich mit fester Stimme.
Verblüfft musterte er mich. "Du hast dich ziemlich verändert. Seit damals." Stellte er dann Fest, holte tief Luft und bugsierte sich angestrengt vom Bett in den Rohlstuhl. Ich wollte ihn nicht überfordern, doch er hätte es vermutlich auch ohne den fahrbaren Untersatz bis zur Tür geschafft. Vielleicht mit den Krücken.
"Es ist viel passiert. Seit damals.  Sagte ich schlicht und er musterte mich für einen Moment.
Mittlerweile stand ich schon an der Tür und hielt sie ihm auf. Wir würden eine Trainingseinheit einlegen und dann in die Küche gehen, wo er sich etwas zum Frühstück machen könnte (mit meiner Hilfe natürlich).
Danach ein wenig Muskelentspannung und Freizeit. Heute Abend dann noch zwei weitere Trainingseinheiten und Ruhephasen.
"Lilly redet fast nie davon. Dabei weiß ich noch, dass eure Mom damals da war." Sprach er weiter und ich fragte mich, ob es ihn wirklich interessierte oder er mich nur aus der Reserve locken wollte.
Doch es war kein Thema dessen ich mich schämte oder das ich verschwieg. Immerhin war keine Entscheidung von mir getroffen worden und so lag die Schuld eindeutig nicht bei mir.
Er öffnete seinen Nachttisch und zog etwas heraus. Ich erkannte den MP3-Player sofort.
"Der ist von meiner Mom." Sagte ich und blickte auf seine Hände. "Sie hat ihn mir geschenkt, kurz bevor sie uns verlassen hat." Sagte ich leise. "Sie fühlte sich gefangen und auch wenn ich wütend bin - manchmal - so kann ich es auch ein wenig verstehen. Jeder fühlt sich doch mal gefangen. Man kommt nicht so einfach aus seiner Haut raus." Erklärte ich ihm ehrlichen blickte zu Boden. Ich wollte ihm keine wilden Geschichten erzählen. Ich wollte nicht so tun, als hätte sie mich nicht verletzt. Aber ich hatte mich mit dem Abgefunden. Jedenfalls ein wenig. Und wenn ich wollte, dass er mir vertraute, so musste ich ihm Anlass dafür geben. Nicht, dass ich ihm nicht alles von mir erzählen wollte. Vielleicht nicht wirklich alles. Aber ein wenig besser, wollte ich schon, dass er mich kannte.
"Das stimmt wohl. Doch gibt es für mich keine Ausrede seine Kinder zu verlassen, außer den Tod." Erklärte er wütend. Er ahnte nicht, dass er damit mehr als nah an der Wahrheit war. "Denn ein Kind kann am allerwenigsten für das Leid seiner Eltern. Oder für die Dummheit." Ich nickte und lächelte schwach.
"Habt ihr von ihr gehört? Hakte er vorsichtig nach und ich war verblüfft, dass Lilly ihm nichts erzählt zu haben schien.
"Nachdem sie ein paar Jahre weg war, wollte sie wiederkommen..." Ich brach ab und schluckte. Das war nichts was ich gerne sagte. "Zu dem Zeitpunkt hatte Dad schon Depressionen und mit dem Saufen angefangen." Führte ich weiter aus. War mir Scotts intensivem Blick mehr als Bewusst.
"Ein Jahr später starb sie an Krebs." Endete ich knapp. Ich wollte ihm die dreckigen Details einer sterbenden Frau und deren Tochter ersparen. Es war die Zeit in meinem Leben, in der ich mich so einsam gefühlt hatte, dass ich morgens kaum aufstehen konnte. Dad war ständig betrunken und Lilly in Italien, Spanien oder Schweden?
Ich war ausgezogen sobald ich konnte und hatte fast fünf Jahre versucht zu ignorieren, was passierte.
Als Mom dann aber wiederkommen wollte und uns erzählte, dass sie sterben würde, war ich wütend und verletzt. Doch ich kehrte zurück. Nahm mir eine Wohnung zwischen Klinik und Dads Haus und kümmerte mich um sie. Es dauerte fast ein Jahr, als sie endlich starb. Nicht weil ich wollte, dass sie starb, sondern weil sie es eigentlich schon gewesen war. Denn diese Krankheit hatte ihr alles abverlangt und sie bis zur Unendlichkeit leiden lassen.
Und als Dad anfing zu trinken versuchte ich mir einzureden, es sei nur eine Phase. Aber diese Phase dauerte beinahe zwei Jahre.
In der Zeit war Lilly nur eine handvoll Male in der Stadt gewesen.
Ich wollte mich nicht beklagen. Denn Lilly konnte damit nicht umgehen. Sie war nicht gerade der fürsorgliche Typ.
Doch ich wünschte mir, dass jemand auch mal darüber nachdachte, was mir vielleicht zu viel war. Was ich für Gefühle hatte. Doch selbst obwohl ich mich verändert hatte. Meine Stimme gefunden hatte und nicht nur Koch schwarze Kleidubg trug. Übersah Man mich. Übersah Man mich, wie mein gesamtes Leben schon.

ICECOLD - 1 - Scott KnightWhere stories live. Discover now