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Noch vor einem halben Jahr hatte ich New York schrecklich hektisch und unpersönlich gefunden. Doch jetzt gerade fand ich das irgendwie tröstlich. Man war nicht alleine. Niemals. Egal, wie einsam man sich auch fühlte. Es war nahezu unmöglich jemals irgendwo ganz alleine zu sein und das fühlte sich irgendwie gut an. 
Denn ich war alleine. Meine Schwester bereitete sich auf ihre Hochzeit vor. Sie heiratete den Mann, den ich liebte. Mein Dad bekam nichts mit und ich hatte nur eine Handvoll Freunde die mich ständig mitfühlend ansahen.
Dex, der bekannt dafür war kein Blatt vor den Mund zu nehmen, war seltsam bedacht darauf nicht das falsche zu sagen und Casey? Nun der gute, alte Casey hasste Scott jetzt noch mehr, als er es in unserer Beziehung getan hatte. Doch egal wie sehr sie sich auf Scott einschossen, änderte das nicht viel an meinen Gefühlen. Ich war wütend und ich war verletzt. Und ich wollte ihn hassen, weil er mir diese Dinge gesagt hatte und sie nicht so gemeint hatte. Und weil er sich nicht entschuldigt hatte und weil er nicht angerufen hatte. Nicht mal eine kleine SMS. Ich wollte ihn hassen. Doch ich konnte es nicht. 
Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich auf die graue Couch sinken. Casey hatte in der Wohnung eigentlich nicht viel verändert und es überraschte mich, wie sehr es sich nach einem Zuhause anfühlte. Es fühlte sich an, als hätte es das letzte Jahr nicht gegeben. Nun außer das Dex neben mir saß und eine Tüte Chips verdrückte. 
Er zappte durch die Kanäle und blieb gerade bei einer Sportsendung hängen. Warum jemand der Sport machte, ständig Sportsendungen gucken musste war mir ein absolutes Rätsel. Doch er schien es nicht mal zu merken, wie regelmäßig er auf den Sender zurückschaltete.
"Habt ihr eigentlich vor den ganzen Abend auf meiner Couch zu sitzen und den Fernseher anzustarren?" Fragte Casey gerade, der mit Jogginghose und verschwitztem Shirt zur Tür reinkam. Er war vor über einer Stunde laufen gegangen und wir hatten uns seitdem nicht bewegt. "Lasst uns ein wenig ausgehen?" Schlug er vor und Dex stöhnte, doch er erhob sich beinahe sofort. "Ja, Papa." Sagte Dex mit einem schiefen Grinsen und steuerte ins Bad. Ich lächelte Casey an, wollte mir schon eine Ausrede einfallen lassen, doch Dex wandte sich mir zu und schüttelte den Kopf. "Denk gar nicht erst daran!" Dann verschwand er.  
Casey grinste. "Weißt du..." Begann er und ließ sich neben mir auf die Couch fallen. "... ich mag ihn. Er ist ne Nervensäge und isst zu viel. Aber er ist ein guter Freund." Führte er fort und blickte zur geschlossenen Tür. "Ich bin froh, dass er dich hergebracht hat. Ich vermisse dich nämlich manchmal." Gab er zu und mittlerweile lächelte ich.
"Ich mochte mein Leben drüben eigentlich. Die Klinik ist klasse und ich habe gerne dort gearbeitet. Lilly war nie da und Dad war auf dem Weg der Besserung." Erklärte ich ihm. "Und dann war da Scott. Ich wollte nur das Spiel sehen und Lilly..." Ich brach ab. "Ich wollte nicht zu seinem Geburtstag, wollte nicht bei ihm einziehen, wollte nicht für ihn arbeiten. Ich denke ich wusste, dass er mir gefährlich werden könnte." Gab ich zu. "Und ich hatte recht. Ich war verloren in dem Moment in dem er vor mir stand. An seinem Geburtstag. Er war so arrogant und..." Ich wischte mir die Träne aus dem Augenwinkel. "Noch nie habe ich es bereut mich hinten an zu stellen." Das stimmte. Ich konnte nicht so tun, als hätte ich nicht alles, was ich getan hatte, aus freien Stücken getan. Ich konnte nicht sauer sein, weil ich etwas freiwillig getan hatte. Vielleicht hatte ich es getan um mich besser zu fühlen. Vielleicht war ich nicht so unschuldig an der Situation, wie ich mich gerne positionierte. 
Immerhin hatte ich mit ihm geschlafen. Ich hatte mit dem Verlobten meiner Schwester geschlafen. Oder Ex-Verlobter. Oder Neu-Verlobtem. Vielleicht hätte ich an seinem Geburtstag auf ihn zu gehen müssen. Vielleicht hätte ich ihn ansprechen müssen. Vor Lilly. Noch bevor sie ihn sich krallen konnte. Doch ich war feige gewesen und konnte ihr nicht vorwerfen, dass sie es nicht war. 
"Deswegen kann ich mich nicht darüber beschweren immer nur die zweite Wahl zu sein." Casey schnaubte. "Glaub mir, du bist mehr als nur die zweite Wahl." Es klang als wollte er irgendetwas sagen, doch ich nahm es ihm nicht ab. "Er hat sich nicht einmal gemeldet." Flüsterte ich leise. Ich klang verletzt und wenn ich ehrlich war, so war ich das auch. Ich war ihm nicht mal eine Nachricht wert gewesen. In den gesamten fast drei Wochen. Keine Nachricht. 
In zwei Tagen war das erste Spiel der Saison und wenn man den Medien glauben konnte, so standen die Chancen gut, dass Scott King spielen würde. Vermutlich nur kurz. Aber er würde auf dem Eis stehen.
Dex hatte nichts gesagt. Er behielt alles was auch nur im geringsten mit Scott zu tun hatte für sich. Er war in den zwei Wochen die ich nun in New York war, zwei Mal hergeflogen und musste Morgennachmittag wieder zurück, denn auch er würde aufgestellt werden. Doch mehr erfuhr ich nicht. Ich wusste, dass er mich gerne bei seinem Spiel sehen würde, doch er fragte nicht. Manchmal glaubte ich sogar, dass er sich wünschte, eine dieser Spielefrauen zu haben. Er schien dieses Leben als ewiger Junggeselle satt zu haben, doch er überspielte es gekonnt.
"Seid ihr immer noch nicht fertig?" Rief Dex als er aus dem Bad kam und riss uns beide aus der Unterhaltung. Casey schnaubte. "Wir wussten ja nicht, dass du ne Stunde das Bad blockierst." Gab er zurück und erhob sich. 
Es dauerte nur eine halbe Stunde, bis ich mit einer Bluejeans, einem schwarzen, tief ausgeschnittenen Longsleeve und ein wenig Schmuck mehr als sonst vor dem Spiegel stand und mich schminkte. Ein wenig verrucht. Die Haare wild und die Lippen dunkelrot. Ich sah gut aus. Besser als ich mich fühlte. Aber genau so fing es an, oder? Wenn man etwas nur oft genug sagt, wird es wahr, richtig? 

ICECOLD - 1 - Scott KnightWhere stories live. Discover now