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Es sah schlecht aus. Wir hatten das Spiel beinahe beendet und die Penguins lagen weit zurück. Enttäuscht ließ ich mich auf die Bank fallen und seufzte. Das hob meine Stimmung nicht sonderlich. 
Dex war in der Verfassung seines Lebens und machte ein gutes Spiel. Aber der Rest des Teams schien eingeschlafen. Als würde ein Teil fehlen. Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass der Coach einen Spielerwechsel anzeigte. Doch das plötzliche Raunen, dass durch die Halle ging und den Einzug des großen Scott King ansagte, fuhr in mich hinein und hinterließ ein elektrisierendes Kribbeln. 
Dad stupste mich an, doch mein Blick lag schon auf dem Eis. Ich sah wie Scott auf die Fläche kam und sich professionell wie immer auf seine Position begab. Doch seine Bewegungen wirkten steif und falsch. Als hätte er sich noch nicht ganz an seine Schlittschuhe gewöhnt. Mir war klar, dass er Angst hatte. Es war das erste Spiel seit dem Unfall. Jeder mit solchen Verletzungen würde Angst haben ins Spiel zurückzukehren. 
Die Menge johlte und jubelte, doch ich hörte nichts. In meinem Kopf war alles still. Mein Körper war wie eingefroren. Ich folgte Scott mit meinem Blick, klebte an ihm und war überrascht, dass ich nicht nur Schmerz fühlte. Es tat nicht weh ihn zu sehen. Nicht nur. Ich war stolz. Stolz auf mich, weil ich ihn da durch geboxt hatte. Und stolz auf Scott, weil er sich da durch geboxt hatte. Weil er nicht aufgegeben hatte. Weil er gekämpft und an sich gearbeitet hatte und weil er mir vertraut hatte. Darauf vertraut hatte, dass ich ihm helfen konnte. Das ich ihm helfen würde. 
Vielleicht lag es daran, dass ich ihn in voller Montur sah. Dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Denn wäre ich ihm näher, noch näher als in der zweiten Reihe der Mittellinie, hätte es vielleicht wehgetan. Hätte ich seine dunklen Augen, sein schiefes Grinsen, diesen wachen Blick gesehen. Seine Musterung, das Gefühl das er mir gab... Vielleicht hätte das wehgetan. Vielleicht hätte mich das umgebracht. 
Doch hier oben, jetzt gerade war ich stolz und niemand konnte mir dieses Gefühl nehmen. 
Das Spiel begann und ein plötzlicher, ungewöhnlicher Elan packte die Mannschaft. Das Spiel war schneller und irgendwie energiegeladener. Doch ich erkannte schon bevor Scott den Puck hatte, dass er zögerte. Zwar nahm er ihn souverän an, verlor ihn aber, beim ersten Zweikampf sofort wieder. Er schreckte zurück und war somit leichte Beute. 
Doch er fing sich, jagte hinterher und versuchte einen Angriff zu starten. Doch wieder schreckte er zurück. "Was machst du denn?" Fragte ich laut. "Wovor hast du Angst?" Rief ich und riss die Arme nach oben als er auch beim dritten Zweikampf verlor. Das Spiel wendete sich und das Team verlagerte sich auf unsere Seite des Feldes. Ich sah wie er genervt den Kopf schüttelte, doch sofort wieder zum Angriff überging. Er schnappte sich den freien Puck, der nach einem Torschussversuch frei geworden war und sauste übers Feld. Doch bevor er reagieren konnte wurde er unsanft gegen die Bande getackelt und verlor den Puck. 
Könnt ihr euch noch an den Moment erinnern, von dem ich euch erzählt habe? Diesen einen Moment in dem man jemanden sah und sofort wusste, dass war es jetzt. Und auch wenn ich immer gedacht hatte, dass man selbst es nicht bemerkte, nicht sofort, spürte ich es. Dies war einer der Momente in denen alles still wurde. In denen die Erde sich aufhörte zu drehen. Es war wie im Film. Er hob den Blick. Unsere Blicke trafen sich und erkennen huschte über sein Gesicht. Kurz danach folgten Reue und... Sehnsucht? 
Es war als konnte er nicht wegsehen. Als war er nicht in der Lage den Blick abzuwenden und mir ging es genauso. Ich wollte noch nicht wegsehen. Ich wollte seinen Blick gefangen halten. Und jetzt wo ich ihn beinahe berühren konnte, tat es nicht weh. Denn da war kein Schmerz. Keine Trauer. Keine Wut. Kein Fünkchen Verrat. Hier war nur er und ich. 
Ich hörte keine Engelschöre, keine Glocken, keine Violinen. Ich hörte nur mein Atem, mein Herzschlag und das dumpfe Trommeln der Menge. Es war atemberaubend, hypnotisierend, elektrisieren und... ja, es war romantisch. Es war der perfekte Augenblick. Es war der Moment der immer Lilly gehört hatte. Das hier war der Platz den immer Lilly belagert hatte. Und doch war ich hier. Doch stand ich hier. Hielt seinen Blick gefangen, sah die wilden Gefühle hinter seinem Gesicht. Sah die Angst und die Sehnsucht und ich konnte sehen, dass es ihm leidtat. Ich sah, dass er mich wollte. Dass er mich liebte und dass er Angst hatte. Davor sein altes Leben verloren zu haben, davor wieder verletzt zu werden, davor beim nächsten Mal nicht mehr aufstehen zu können und vor mir. 
Denn ich war der Neubeginn einer Geschichte für die er vielleicht noch nicht bereit war. Für die er vielleicht nie bereit sein würde. Und er wusste, er sah, dass ich nicht mehr warten würde. Dass ich nicht länger auf ihn warten konnte. Das hier war der perfekte Augenblick und würde irgendwann eine wunderbare Geschichte abgeben. Doch auch diesmal war das hier nicht meine Geschichte. Und egal wie sehr ich es mir wünschte, würde es vielleicht auch nie meine Geschichte werden. Und doch sah ich ihn an, lächelte und flüsterte: "Du bist stärker als du denkst." 
Es waren schwache Worte. Doch ich meinte sie ernst und wusste, dass sie ernst waren. Er war stark und mutig. Er musste es nur noch zeigen. Sich selbst beweisen. Dann würde er die Welt erobern und der Scott Knight sein den die Welt kannte und vermisste. Er würde der Scott Knight sein, den er selbst so sehr vermisste. 
Nur würde er nicht mehr der Scott Knight sein, den ich liebte. 

ICECOLD - 1 - Scott KnightWhere stories live. Discover now