52

497 19 0
                                    

Ich war betrunken. Ich war wirklich sehr betrunken. Doch anders als sonst, war ich nicht wild darauf zu feiern oder mich gehen zu lassen. Ich war wütend. Wütend und absolut enttäuscht. Es waren Dex' Worte, die sich in meinen Hinterkopf gebrannt hatten. Dex' Worte, die so wahr klangen, dass es mich aus den Socken warf.  Und wenn sie wahr waren machte mich das nur noch wütender. Denn ich wollte, dass Scott seinen feigen Arsch zu mir bewegte und mich einfach nur küsste. So lange bist ich vergaß was eigentlich passiert war. 
Vermutlich würde mein nüchternes Ich anders denken. Doch für mein betrunkenes Gehirn klang das nach einer verdammt guten Idee. Da konnte auch die reißerische Musik von Three Days Grace im Hintergrund nichts ausrichten. Dabei hatten sie recht. Ich hasste es auch manchmal dass ich ihn liebte. Gerade in letzter Zeit. 
Vielleicht war ich auch deswegen irgendwie plötzlich alles andere als begeistert, als die Musik erstarb, der Motor ausging und ich mich direkt vor Scotts Haus wiederfand. 
Ich hasste dieses Haus. Von Anfang an, hatte ich es furchtbar gefunden. Doch die Tatsache, dass es sein Haus war, machte es besser. Machte es zu einem Ort an dem ich sein wollte. An den ich gehörte. Und ich hatte Angst, hatte dieses klebrige, schmerzhafte Gefühl in meinem Magen, dass er mich nicht wollte. Und doch stand ich hier. Was meine Wut auf ihn nur verstärkte. Zu seiner Verteidigung hatte ich allerdings auch eine ganze Menge Alkohol intus. "Steig schon aus, Harper." Sagte Tim. Er war unser Uber und hatte uns quer durch die Stadt gefahren. Dabei hatte Dex ihm meine gesamte Lebensgeschichte erzählt. "Schnapp ihn dir, Tiger." Sagte Dex und kicherte betrunken. Am liebsten wollte ich den Kopf einziehen und einfach davonfahren. Doch dann ging das Licht auf der kleinen Veranda an und die Tür wurde geöffnet. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mich nicht erkennen konnte, doch war mir nicht absolut sicher. Jetzt gab es kein zurück mehr. Also blickte ich Dex an, lächelte und öffnete die Tür. 
In dem Moment in dem ich Scott sah, wie er in der Tür stand. Aufrecht, groß und stark, wie eh und je, wäre ich beinahe vor ihm auf die Knie gegangen. Ich hatte ihn vermisst. Aber er hatte kein Handschlag getan. Was blieb mir übrig? Selbst war die Frau, richtig? 
Doch als ich ihn sah war ich nicht wütend oder traurig. Ich war irgendwie froh. Es fühlte sich anders an als noch beim Spiel. Vielleicht war es das Wissen, weil er und Lilly nicht mehr zusammen waren, vielleicht der Alkohol oder Dex' Worte. Aber ich wollte ihn einfach nur umarmen und so tun, als wäre all das in den letzten Wochen nicht passiert. Aber so einfach konnte ich es ihm nicht machen. 
"Harper?" Hörte ich ihn, als ich langsam auf die Tür zu steuerte. Dex und Tim fuhren mit einem Affenzahn vom Gelände. Als wüssten sie, dass ich kurz davor gestanden hatte wieder ins Auto zu springen und sie anzuschreien, sie mögen doch los fahren. 
"Hey." Sagte ich leise, als ich die fünf Schritte gemacht hatte und nun direkt vor ihm stand. Doch ich sah ihn nicht an. So viel Mut hatte ich dann doch nicht. "Hey." Flüsterte er leise und ich seufzte leise. Konnte es mir nicht verkneifen. "Was machst du hier?" Wollte er wissen. Er klang zögernd. Als hätte er Angst davor, was ich sagen würde. Vielleicht hatte er Angst, dass ich ihm meine Liebe gestehen würde. Vielleicht empfand er nicht wie ich. Vielleicht war das alles nur in meinem Kopf und vielleicht wollte er nach New  York, um so weit entfernt von mir zu sein, wie es ihm möglich war. 
Aber ich würde es nie herausfinden, wenn ich ihn nicht fragte. Wenn ich ihm nicht sagte, was genau ich empfand und was ich mir wünschte und wollte. Doch über meine Lippen kam kein Ton. "Harper?" Wiederholte er meinen Namen wieder und ich hob den Blick sah ihm, in dem schwachen Licht, ins Gesicht. Er wurde von hinten Beleuchtet und so konnte ich sein Gesicht nicht wirklich gut ausmachen. 
"Ich..." Begann ich leise. Der Mut den ich mir angetrunken hatte war weg. Ich war nüchtern. Und war ich feige. "Harper?" Doch die Art, dass er erwartete, dass ich etwas sagte, machte mich wütend. Warum hatte er nichts zu sagen? 
Ja, ich stand vor seinem Haus. Und ich war hergekommen. Aber er musste doch auch etwas zu sagen haben. 
"Ich..." Wieder brach ich ab. Kämpfte mit den Tränen. "Ich bin wütend." Es dauerte zu lange, doch ich brachte diese paar einfachen Worte zu Stande. Und es war als hätten diese drei Worte meine Zunge gelöst, denn es sprudelte nur aus mir heraus. 
"Ich bin wütend. Und enttäuscht. Und verletzt. Weißt du, seit fünfzehn Jahren bin ich in den großen Scott Knight verliebt gewesen. Den großen Ritter in glänzender Rüstung. Weil er ein kleines gemobbtes Mädchen gerettet hat. Und ich habe dich auf ein Podest gestellt. Das ich mit jedem Jahr höher und höher geschraubt habe." Mittlerweile flossen mir dir Tränen wild übers Gesicht. "Ich habe meine Gefühle ignoriert, als du in der Schule mit Lilly zusammen warst. Du hättest eh kein Interesse an mir. Ich hab dich aus der Ferne angehimmelt. Zehn Jahre lang bin ich zum Eishockey gegangen, weil ich wusste, wie viel dir das bedeutet. Es wurde zu einer Gewohnheit und ich liebe diesen Sport. Und als ich gedacht habe, dass es mir nicht mehr länger um dich geht..." Ich schnaubte verbittert. "Kommst du in mein Leben, an der Seite meiner Schwester und bringst mich wieder um den Verstand. Flirtest mit mir, wenn keiner Hinsieht. Sagst mir süße, süße Dinge." Meine Stimme war sehnsüchtig. "Und heiratest dann doch meine Schwester." Wieder lachte ich auf. Es war an der Zeit, dass er merkte, dass ich besser war als Lilly. Das ich es wert war. "Ich war hier. Ich habe dich durch den ganzen Scheiß gebracht. Ich habe mich um dich gekümmert. Und trotzdem bist du zu ihr zurückgegangen. Du hast mich einfach so aus deinem Leben verbannt. Es war so einfach für dich. Und jetzt gehst du nach New York. Als wäre Pittsburgh nicht groß genug für uns beide." Verbittert lachte ich und sah ihn an. Wollte das er etwas sagte. Irgendwas. Doch Scott schwieg. Er sagte eine ganze Ewigkeit kein einziges Wort. Und ich war nicht länger bereit, auf eins zu warten. 

ICECOLD - 1 - Scott KnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt