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Dieses Haus war still. So still. Selbst wenn Dads Haus komplett leer war machte es noch immer Geräusche. Die Dielen knarzten, die Fensterläden schlugen leise gegen das Haus, die Bäume und Büsche im Garten raschelten.
Hier aber hörte man nichts. Keine Sirenen, keine vorbeifahrenden Autos, keine Bäume, keine Vögel. Nichts.
Und es war dunkel. Es war stockfinster. Kein bisschen Licht.
Trotzalledem lag ich wach. Seit Stunden lag ich wach. Starrte an die Decke und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Aber alles was ich hörte war mein eigenes Herz.
Seufzend schlug ich die Decke zurück und schob mich aus dem Bett. Auch diese Leere war erdrückend. Ich hatte noch nie ein so großes Bett gehabt und es fühlte sich in der stillen Dunkelheit kalt und verloren an.
Ich schlief nicht gerne wo anders. Erst recht nicht an einem Ort an dem ich mich fremd und irgendwie nicht wohl fühlte.
Ich verließ mein Zimmer und blickte zur Treppe, die hinunter zu Scotts Schlafzimmer führte, entschied mich aber dagegen und ging in die andere Richtung. Ich wusste, dass hier ein Gästezimmer und ein Büro war. Irgendwo musste auch die Bibliothek sein. Vielleicht würde mich ein Buch etwas zur Ruhe kommen lassen. Immerhin hatte ich in dem Sessel dort sehr gut geschlafen.
Es dauerte eine Weile bis ich in der Dunkelheit tatsächölich den kleinen Gang fand. Als ich die Klinke drückte und den Raum betrat holte ich tief Luft und war überrascht über die Erleichterung, die mich direkt durchfuhr.
Auch hier war es still und dunkel. Doch wie auch beim letzten Mal erhellte die Laterne vor dem Haus etwas den Raum und so erkannte ich die Umrisse des Klaviers und des Sessels daneben.
Vorsichtig tastete ich an der Wand nach dem Lichtschalter, hielt aber inne. Es fühlte sich falsch an, die Ruhe, die mich in dem Rest des Hauses eben noch so gestört hatte, nun mit dem grellen Licht zu zerreißen.
Also ging ich langsam zum Sessel und tastete an der Stehlampe nach einem Knopf. Nach einer Ewigkeit stolperte ich über das Kabel, die Lampe sprang flackernd an und ich grinste, als ich erkannte, dass ich an dem Trittschalter hängengeblieben war.
Es war wie beim letzten Mal an seinem Geburtstag. Der einzige Raum der Ruhe versprach. Es war als wäre eine Weile schon niemand mehr hier gewesen und vermutlich war das auch so.
Nachdem ich mich erhoben hatte blickte ich zu dem alten Plattenspieler hinüber.
Ich wusste, dass Abi in einem der Zimmer auf der anderen Seite schlief. Genau wie Lilly, die im Hauptschlafzimmer schlief, dass so ziemlich am weitesten von diesem Raum entfernt war, wie es nur möglich war. Man konnte Wochenlang hier sein und sich nie begegnen. Noch ein Grund warum ich dieses Haus irgendwie nicht mochte. Auch wenn es mir zu Gute kam, dass ich Lilly nur ein paar Mal am Tag sah.
Mein Blick fiel auf das Klavier. Ich fragte mich, wie lange es wohl schon nicht mehr gespielt worden war. Ich erinnerte mich nicht mal mehr daran, wann ich das letzte Mal gespielt hatte.
Es war nicht so, dass ich besonders talentiert war. Doch ich konnte einige Lieder spielen und Noten lesen. Ich war in der Lage passable Töne aus dem schwarzen Monstrum zu bekommen.
Und für einen Moment erwischte ich mich dabei, wie ich es probieren wollte. Immerhin war das Haus so groß, dass niemand mich hören würde, wenn ich mir meinen Kummer ein wenig von der Seele singen würde. Früher hatte ich dafür meinen MP3-Player gehabt. Er hatte mir jede Träne entlockt, die ich weinen konnte und mir bei jeder Kriese zur Seite gestanden. Und davon gab es einige. Weshalb ich auch diese hier nicht ganz verstand.
Ich hatte einen Job, einen zusätzlich sehr gut bezahlten Auftrag, wohnte in einer Villa mit dem Mann in den ich seit einem Jahrzehnt verliebt war und durfte ihn jeden Tag sehen und anfassen. Trotzdem war das alles nicht weiter von dem entfernt das ich wollte.
Mir war klar, wie albern ich klingen musste. Doch manchmal wollte ich jammern. In letzter Zeit kam das tatsächlich ziemlich oft vor.
Mit einem tiefen Seufzen strich ich über den Klavierdeckel, öffnete ihn und  ließ mich auf den schwarzen Hocker nieder. Es würde sicherlich niemandem wehtun, wenn ich ein wenig spielte.
Ungewohnt spielte ich ein paar Akkorde an und war überwältigt, von dem vertrauten Gefühl und der Sehnsucht die mich ergriff.
Niemand, nicht mal Lilly, verstand mein Hang zur Musik. Sie alle genossen Musik, wie man halt Musik genießen konnte. Doch sie verstanden nicht, dass es für manche Manchen eben eine Art zweiter Boden war. Es war wie eine Kur für mich. Wie meine eigene, kleine Physiotherapie, nur für mich.
Vorsichtig spielte ich vor mich hin. Mir fiel zunächst nicht mal auf, was ich spielte, bis ich in Gedanken leise einen Text anstimmte.
"The world is on fire, and no one can save me but you..." Es war eins der schönsten und traurigen Lieder die ich kannte und wieder flogen meine Gedanken zu Scott.
Dem alten Scott. Dem fünfzehnjährigen Scott. Manchmal fragte ich mich, wie es gewesen wäre, wenn ich ihn damals angesprochen hätte. Wenn ich ihn gebeten hätte mir mir zum Abschlussball zu gehen. Stattdessen bin ich gar nicht gegangen. Ich hatte die ganze Nacht das hässliche pinkfarbenen Kleid angestarrt und geweint, weil er mir Lindy Kinney gegangen war.
"Its strange what desire will make foolish people do..."
Vermutlich hätte er mir gesagt, dass ich nicht sein Typ war aber das qir Freunde waren. Vielleicht hätte er aber auch ja gesagt. Vielleicht hätte er mich anders gesehen  vielleicht hätte es einen Moment in dem ich nicht nur Lillys kleine Schwester, seine Laborpartnerin und Chemienote war. Sondern auch ein Mädchen das er vielleicht mochte. Mehr als nur als Freunde. Ein Mädchen das er Küssen wollte.
Vielleicht würde er dann jetzt in mir mehr sehen. Vielleicht würde er eine Frau sehen, die er begehrte. Die er anfassen wollte und mit ihr angeben wollte.
"Id neuer dreamed that I would find somebody like you. And id never dreamed that id lose somebody like you..."
Und mir war klar, dass ich mich in eine Fantasie verliebt hatte. Doch es tat weh zu erkennen, dass er erwachsen geworden war. Und dass er tatsächlich jemand war in den ich mich jetzt verlieben konnte.
Mal abgesehen davon, dass er attraktiv und erfolgreich war. Liebte er die Musik. Hatte einen guten Geschmack und war lustig. Jedenfalls meistens.
Es tat weh zu wissen, dass er der Mann geworden war in den ich mich damals verliebt hatte. Und dass ich verloren war, wenn ich mehr Zeit als notwendig mit ihm verbrachte.
"No, I dont want to fall in love. No, I dont want to fall in love... With you."

ICECOLD - 1 - Scott KnightWhere stories live. Discover now