𝟐𝟗|𝐧𝐲𝐤𝐭𝐨𝐬

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K A P I T E L 29

a t l a s

In meinen fast dreißig Jahren habe ich schon einiges gesehen.

Ich habe Leben gesehen, Tod, Trauer und Freude.

Bei diesem Mädchen, das vor mir lag, war ich mir nicht sicher was ich nun empfinden sollte. Sie war entstellt. Narben übersäten ihr junges Gesicht. Das Mädchen konnte kein Tag älter als vierzehn sein. Entsetzt schüttelte ich den Kopf.

Kein Tropfen Willensstärke floss mehr durch ihren Körper, sie wollte sterben. Sie wollte das es aufhört, dabei wusste sie nicht einmal das es bereits aufgehört hat. Das die Dunkelheit vergangen ist und das Licht nun ihre Zukunft kürt. Das sie in Sicherheit ist.

„Du musst kämpfen Josie. Ich werde auf dich aufpassen Josie, hörst du? Aber du musst kämpfen.", meine Worte klangen in meinen eigenen Ohren wie ein Summen, wie etwas das ich selbst gar nicht gesagt habe.

Josie durfte nicht sterben. Wieso genau wusste ich nicht, meine Menschliche Seite verweigerte mir dieses Privileg der Erkenntnis.

Aber ich wusste das es so war.

Ein wildes Piepen riss mich aus meinen Gedanken. „Wir verlieren sie Doktor.", rief jemand. Für einen Moment war ich wie versteinert. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, tun wir nicht. Gibt ihr eine Infusion.", das würde helfen, für kurze Zeit.

Wie wild zeigte ich auf zwei willkürliche Personen. „Sie beide, kommen mit mir. Die anderen sorgen dafür das sie stabil bleibt!", rief ich und öffnete für meine Ausgewählten die Tür.

„Was haben sie vor?", fragte ein Mann, zweieinhalb Köpfe kleiner als ich. Gestresst fuhr ich mir durchs Haar. „Wir müssen eine Bluttransfusion machen.", erklärte ich und rollte meine Ärmel hoch. Eine Frau betrachtete kritisch das Klemmbrett. „Wir haben keine Blutgruppe null negativ im Haus, Doktor.", sagte sie panisch und tippte auf das vorliegende Dokument. „Ich weiß,-„, begann ich „-deshalb werden Sie mir jetzt Blut entnehmen. Ich bin Blutgruppe null negativ.", erklärte ich und setzte mich auf einen Stuhl. Unsicher sahen sich die beiden Menschen an. „Na macht schon, sie wird nicht stundenlang stabil bleiben.", zischte ich ungeduldig und zeigte auf meinen frei liegenden Arm.

Schnell nickten sie und machten alles für die Blutabnahme bereit.

„Haben sie davor genug gegessen...ich meine...", erschöpft atmete ich aus und nickte. „Das ist sehr nett das sie sich um mich sorgen, doch Josie ist gerade mein Fokus."

Ich sah zu wie sich der durchsichtige Beutel mit meinem Blut füllte. Nervös schaute ich immer wieder auf die runde Uhr über der Eingangstür. Schneller, das muss schneller gehen.

Nach einigen Minuten bemerkte ich wie der Schwindel über mich kam. Die Frau, dessen Namen ich nicht kannte sah mich dankend an und entfernte die Nadel aus meinem Arm. „Bleiben sie hier noch etwas sitzen Doc, wir haben ihnen viel Blut abgenommen. Es wird alles gut.", versicherte sie mir und ich nickte schummrig. Josie würde es gut gehen und meiner Lilly somit auch. Ich hatte meine Pflicht als Mate getan.

Erschöpft lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Ich wusste nicht wie viel Zeit verging. Minuten, Stunden? Keine Ahnung. Für die Zeit war es mir egal. Ich musste kurz durchatmen und zur Ruhe kommen, bloß diesen Augenblick.

Ein Geruch kratzte an meinem Bewusstsein. Ein Duft welcher mir eine Gänsehaut verschaffte. Ich zwinkerte.

Ich erkannte die Umrisse von drei Personen vor mir. Zuerst sah ich Killian, welcher mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Dann June, die ein leichtes Lächeln auf den Lippen trug und dann zur Quelle dieses phänomenalen Geruchs.

Sie stand aufrecht. Ihre mittellangen braunen Haare waren hochgesteckt und ich hatte das Bedürfnis ihr alle Klammern zu entfernen und ihr durchs Haar zu fahren.

Ihre Lippen welche förmlich danach bettelten geküsst zu werden bebten. Als meine Augen dann die ihre fanden war das Bild vor mir auf einmal glasklar.

Mein Blick lief ihren Körper entlang, suchte nach Verletzungen. Doch ich fand keine. Keine Prothesen, keine Verstümmelungen und keine Narben.

Ich konnte meine Gedanken nicht zu Ende denken, da spürte ich auch schon ihren Körper gegen meinen. Das Gefühl von Geborgenheit floss durch mich. Kribbeln und Schmetterlinge, das war was ich empfand. Sofort schloss ich meine Arme um ihre Taille, als wären unsere Körper füreinander geschaffen.

Auf einmal nahm ich den Geruch von salzigen Tränen wahr, war sie verletzt? Hatte ich ihr wehgetan. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff das es meine Tränen waren, welche ich roch. Ich weinte.

Ich weinte vor Glück, vor Freude, vor Geborgenheit.

Sie war perfekt. Die Definition von perfekt. Sie war mein und ich werde sie nie wieder loslassen.

„Sie haben sie gerettet.", schluchzte sie und festigte den Griff um mich. Ihre Stimme klang wie Samt. Wie das Rauschen von Blättern und Meereswellen. Nun begriff ich das sie nicht wusste was sie für mich war. Für sie war ich der Retter des Mädchens, das sie ins Herz geschlossen hat. Doch ich war so viel mehr. Sie war so viel mehr. Sie war alles.

„Mate."

・゚𝑬 𝑵 𝑫 𝑬・゚:*

𝐧𝐲𝐤𝐭𝐨𝐬Where stories live. Discover now