Tanzen

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Gegen zwei Uhr tauchte Tobi hinter der Bar auf. Er schien gute Laune zu haben, denn er nahm sich die Zeit, Cleo erst mal einen langen Kuss zu geben und sie von der Arbeit abzuhalten. Smilla lächelte, als sie es aus dem Augenwinkel wahrnahm. Es war immer gut, wenn es Tobi gut ging. Dann ging es allen anderen auch gut. Er sorgte für angenehmes Klima und schaffte es immer, alle Mitarbeiter aufzuheitern. So war er eben, ihr Bruder, der Sonnenschein. Sie fragte sich, was die Angestellten und Aushilfen wohl von ihr dachten. Eigentlich fand sie sich auch ziemlich nett. Aber ob die anderen das auch so sahen? Tobi war einfach immer locker und wortgewandt. Er versprühte Charme und hatte Charisma. Wahrscheinlich war es gut so, dass er sein Informatikstudium nie abgeschlossen hatte. Die Welt hätte einiges verpasst, wenn er einsam hinter einem Computer gesessen und vor sich hin programmiert hätte.
Er ließ von Cleo ab und ging an Smilla vorbei, strich ihr im Vorbeigehen über den Rücken.
„Einer von den Deppen ist da", informierte er sie sachlich, „Die, die letztens draußen nen Affen gemacht haben."
Smilla grinste breit. Tobi ließ seinen Blick über die Menschenmenge schweifen.
„Hab mit Timo geredet, der hat mir gesteckt, dass das Podcaster sind. So Comedy-Zeug."
Timo war der DJ, der immer im Wochenende im Eden auflegte. Unter der Woche kam ein anderer. Alex. Tobi grinste zufrieden und wandte sich dann den Gästen zu. Smilla verstand, was er meinte. Promis waren immer gut, selbst, wenn sie nur einer gewissen Sparte von Menschen bekannt waren. Es musste sie nur irgendjemand hier sehen und das würde sich herumsprechen und dem Eden neue Besucher bringen. Selbst wenn besagte Promis nie wieder aufkreuzten.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, aber Felix tauchte ein zweites Mal an der Bar auf. Nur dieses Mal musste er sein Bier bei Cleo bestellen, weil Smilla spülte. Doch so leicht ließ er sich nicht abwimmeln. Er redete auf Cleo ein, die ihn ziemlich stur abwies und letztendlich mit rollenden Augen kapitulierte und zu Smilla ging.
„Der will irgendwas von dir."
„Sag ihm, ich muss arbeiten."
„Hab ich, aber er ist hartnäckig."
Smilla zuckte mit den Schultern und sah unschuldig in Felix' Richtung. Cleo beobachtete sie und zog ihre Unterlippe samt Piercing in den Mund, ließ beides wieder hinaus flutschen, dann verdrehte sie die Augen.
„Man. Kannst du dir nicht mal welche aussuchen, die nicht herkommen?"
Smilla zog ihre Hände aus dem Spülwasser und hob die Augenbrauen.
„Schon gut... ich schick ihn selber weg."
Sie trocknete ihre Hände an der Hose und ging zum Tresen, lehnte sich mit den Ellenbogen darauf und sah Felix fragend an. Er lächelte amüsiert.
„Mach Pause. Wir sollten tanzen."
Es war schwer, sich nicht von seinem breiten Grinsen anstecken zu lassen, aber sie riss sich zusammen.
„Keine Chance."
Er schien nicht zu verstehen, dass sie wirklich arbeiten musste. Doch in diesem Moment ging Tobi an ihr vorbei und beugte sich kurz über sie, sagte in ihr Ohr: „Zehn Minuten. Dann will ich dich hier wieder sehen."
Sie sah ihn erstaunt an. Er zwinkerte ihr zu und ging weiter, zum nächsten Gast. Felix runzelte die Stirn, aber sagte nichts. Kurzerhand kam sie hinter dem Tresen hervor und Felix griff nach ihrer Hand, zog sie durch die Menschen hindurch. Er bestimmte die Richtung, aber seltsamerweise war es ihr egal.
Er zog sie an der Tanzfläche vorbei nach draußen. Dort war es ruhiger und in der kleinen, abgeschirmten Seitenstraße, ein paar Meter neben dem Eingang, drückte er sie an die Wand und küsste sie, bevor sie wusste, was geschah. Sie stieß ein erschrockenes Keuchen aus und atmete die Luft ein, die er in ihren Mund stieß. Er roch nach Bier. Doch ihre Augen schlossen sich automatisch, als er ihre Lippen berührte. Er drückte sie fest an die Wand, drängte sich gegen sie, zwängte seine Zunge in ihren Mund und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Seine Hände umschlossen ihre Taille und für einen kurzen Moment drehte sich alles. Der Kuss dauerte nicht lange. Nur ein paar Sekunden. Dann ließ er schwer atmend wieder von ihr ab und sah ihr in die Augen. Sie legte ein wenig benommen ihre Hand an seine Brust, spürte seinen heftigen Herzschlag.
„Und das nennst du tanzen?"
„Ist doch besser als tanzen, oder nicht?"
Sie nickte automatisch. Er lächelte und küsste sie wieder, dieses Mal nicht ganz so stürmisch. Smilla grinste, ihre Wangen glühten. Verdammt, das war gut. Aber sie ermahnte sich erneut und schob ihn sanft, aber bestimmt von sich.
„Sorry", sagte sie, „Aber ich muss echt arbeiten. Das ist kein Witz. Wenn ich in ein paar Minuten nicht wieder bei meinem Bruder aufkreuze, dann gibt es Ärger."
„Dann Sonntag?"
Sie nickte, während ihr Blick unruhig über sein Gesicht irrte. Sie spürte die Wand in ihrem Rücken, spürte eine Hand an ihrem Oberarm, die andere an ihrer Hüfte.
„Oder wenn wir zumachen...?", schlug sie vor.
Er schüttelte den Kopf.
„Hab morgen früh 'nen Termin."
Sie hob die Augenbrauen. Morgen war Samstag.
„Beruflich?"
„Ne."
Er ließ von ihr ab und brachte ein wenig Abstand zwischen sie.
„Okay", sagte sie, „Dann bis Sonntag."
„Bis dann", sagte er. Sie drehte sich um und ging. Ihre Beine waren wackelig. Sie nahm die Menschen kaum wahr, durch die sie ging. Der Kerl machte sie bekloppt. Dabei hatte sie bisher kein einziges ordentliches Gespräch mit ihm geführt.

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Where stories live. Discover now