Zu Dritt

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Smilla hämmerte wütend auf ihren Wecker ein. Das Scheißteil war heute besonders laut und schrill. Brummend schob sie sich aus dem Bett. Der Boden war kalt und brachte ihre nackten Füße zum Frösteln. Sie brauchte eine Weile, um sich daran zu erinnern, warum sie so schlechte Laune hatte. Die Erinnerung kam, als sie den Kaffee aufsetzte. Denn für einen kurzen Augenblick tauchte Julians grinsendes Gesicht vor ihr auf und sie wollte in die Spüle kotzen. Nicht wegen Julian. Vielmehr wegen der Person, die sie mit ihm verband. Felix. Für einen kurzen Moment drohte alles einzustürzen, für einen kurzen Moment war alles so wie an diesem Tag vor zwei Monaten, als sie all das aufgedeckt hatte. Sie stützte sich auf der Anrichte ab und schloss die Augen. Ihr Herz klopfte unangenehm schnell. Ihre Ohren rauschten. Es war noch gar nicht lange her, da hätte er an einem solchen Tag vielleicht hier in der Küche gesessen, vielleicht wäre er aufgestanden, wenn er sie so hier hätte stehen sehen, hätte sie von hinten umarmt und ihr diese winzigen Küsse in den Nacken gehaucht, hätte sich gegen ihren Hintern gedrückt und sie fest gehalten wie sie nur von ihm fest gehalten werden wollte. Sie atmete schwer. Ihre Gedanken rasten. Dann stieß sie sich entschlossen von der Anrichte weg und zwang diesen Mann aus ihren Gedanken. Er war es nicht wert. Er war es nie wert gewesen. Auch wenn sie das für eine sehr lange Zeit geglaubt hatte. Sie versuchte sich mit dem Wesentlichen zu beschäftigen, mit dem, was von ihrem Leben übriggeblieben war. Ihr Bruder. Ihre Arbeit. Und vielleicht sollte sie endlich mal wieder einen Kerl aufreißen, nur so zum Spaß. Nur um zu sehen, dass sie es noch konnte. „Du wirst auch nicht jünger", hatte Felix manchmal zu ihr gesagt, „Kannst dit auch nicht ewig machen." Aber er irrte sich. Sie konnte. Er hatte das doch nur gesagt, um sie an sich zu binden. Um sie einzulullen mit seiner Gegenwart, mit dem, was er ihr gegeben hatte. Sie schüttelte sich, versuchte ihn abzuschütteln und verschwand im Badezimmer. Eine warme Dusche half meistens. Sie half auch heute. Zum Beispiel konnte sie einfach hemmungslos heulen, während das Wasser über ihren Körper lief. Es würde niemand sehen, niemand hören. Die Tränen würden einfach im Ausguss davon gespült werden.

Der Weg zur Arbeit war heute besonders schwer. Sie hatte einfach keine Lust. Vor allem hatte sie keine Lust wieder auf Julian zu treffen, aber sie glaubte nicht, dass der heute wieder aufkreuzen würde. Denn zumindest theoretisch hatte er einen sehr knapp bemessenen Terminkalender und wahrscheinlich hatte er auch eingesehen, dass es keinen Sinn machte mit ihr zu sprechen. Rein gar keinen Sinn. Sie fühlte sich ein bisschen schlecht, weil er gesagt hatte, dass sie Freunde waren und sie betete, dass er nicht da war, ja, dass sie ihn nie wiedersehen musste. Aber so war das eben, wenn man sich von seinem Freund trennte. Dann trennte man sich eben auch von allem anderem, was mit ihm zu tun hatte.

Sie betrat das Eden mit brodelnd schlechter Laune und schaute erst mal bei Tobi im Büro vorbei. Irgendwie konnte sie seine Gesellschaft gerade gut gebrauchen. Doch ihr Bruder war schwer beschäftigt und schickte sie wieder weg, damit sie Cleo bei den Getränken half. Das steigerte ihre Laune nicht unbedingt. Mit Cleo kam sie momentan wegen dem Thema Tobi und Migräne nicht besonders gut klar und abgesehen davon, wollte sie heute sowieso einfach nur furchtbar schlecht drauf sein. Cleo räumte bereits die Bierflaschen in die Kühlschränke hinter der Bar. Smilla warf einen Blick auf ihre Uhr. War sie zu spät? Nein. Cleo war zu früh.
„Hi", brummte Smilla, warf ihre Jacke über den Tresen und half dann. Cleo begrüßte sie mit einem kurzen Blick und einem schwachen Brummen. Smilla zog hinter ihrem Rücken eine Grimasse. Still arbeiteten sie nebeneinander her, bis Cleo es nicht mehr auszuhalten schien. Sie richtete sich auf, mit einer Bierflasche in der Hand.
„Ich hab bei der Bäckerei gekündigt."
Smilla horchte auf.
„Wieso das?"
„Dann kann ich mehr hier anpacken."
Smilla biss sich so heftig auf die Unterlippe, dass es wehtat. Sie hatte es immer gut gefunden, dass Cleo noch ihren eigenen Job hatte. Zwar arbeitete sie mittlerweile nur noch stundenweise in der Bäckerei, aber es war ihr eigenes Geld, das sie dort verdiente. Es machte sie selbstständig.
„Willst du dich jetzt ganz von Tobi abhängig machen, oder wie?"
Cleo atmete schwer aus. Sie stellte die Bierflaschen krachend auf den Tresen.
„Nein. Ich will ihn nur entlasten."
Smilla hob die Augenbrauen. Das schmeckte ihr ganz und gar nicht. Sie konnte nicht genau sagen warum. Vielleicht weil das Eden ihnen gehörte, ihr und Tobi und sonst niemandem. Vielleicht weil Cleo dann unweigerlich zur Familie gehören würden und Smilla sich nicht sicher war, ob sie wirklich jemanden dort hineinlassen wollte.
„Tobi meldet sich schon, wenn er Entlastung braucht."
Cleo lächelte und es sah mitleidig aus. Ein seltsamer Ausdruck schlich sich in ihre Augen und Smilla schnürte sich der Hals zu. Scheinbar hatte sie längst mit Tobi darüber gesprochen. Warum sollte sie auch zuerst mit seiner Schwester reden? Am Ende hatte Tobi tatsächlich um ihre Hilfe gebeten.
„Was willst du denn machen? Du hast doch keine Ahnung von der Organisation, du weißt nicht, wie das mit den Bestellungen geht, wie man das alles organisiert. Es ist was anderes, ob du ein paar Getränke an der Bar verkaufst oder ob du dich um den ganzen Laden kümmerst. Um die Angestellten, die Aushilfen, die Gehälter, die Behörden, die Lizenzen! Ich glaub, du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt."
Cleo verschränkte die Arme vor der Brust. Sie sah sauer aus.
„Was ist eigentlich dein Problem?"
„Was machst du, wenn ihr euch trennt? Dann hast du gar nichts mehr."
„Wir trennen uns nicht, verdammt!"
Smilla zuckte ein Stück zurück. Cleos Augen glühten. Wut stand in ihrem Blick. Smilla hatte sie selten so gesehen, eigentlich war sie ein sanfter und ruhiger Mensch. Wenn man es schaffen wollte, sie zur Weißglut zu treiben, dann musste man schon ganz schön lange sticheln.
„Ich liebe Tobi", sagte Cleo, „Und nur weil du ein gebrochenes Herz hast, brauchst du nicht so ein Theater zu machen! Wieso suchst du dir nicht einfach irgendein Trostpflaster? So wie du das früher immer gemacht hast?", sie atmete schwer, „Nur weil es bei dir nicht klappt, heißt das nicht, dass wir nicht glücklich sein dürfen, klar?"
Smilla ließ die Schultern sinken. Ein klitzekleines bisschen war sie schon schuldbewusst. Aber nur ein bisschen.
„Von seinen anderen Freundinnen hat er sich immer irgendwann getrennt."
„Ja, ich kann mir denken warum", schnaubte Cleo, „Wahrscheinlich haben sie seine bekloppte Schwester nicht mehr ausgehalten."
Smilla runzelte die Stirn. Sie spürte eine gewisse Wut in sich, aber die war so schwach, dass sie sie nicht an die Oberfläche bringen konnte. Irgendwie war sie nur furchtbar resigniert. Tobi wollte mit Cleo zusammenbleiben. Das wurde ihr so langsam klar. Er wollte sie mehr ins Eden integrieren. Er wollte, dass sie ihn entlastete. Sie war schon längst mehr als nur die Frau, mit der er das Bett teilte, sie war seine Partnerin geworden, in allen Lebenslagen und aus irgendeinem Grund machte Smilla das furchtbar traurig und schwermütig.
„Ich will das nicht... das Eden gehört Tobi und mir."
Cleo stieß ein verzweifeltes Knurren aus.
„Ich nehme dir weder den Laden, noch deinen Bruder weg, ich will ihn nur unterstützen. Ich will nicht, dass er daran zugrunde geht, sondern einfach nur, dass es ihm ein bisschen besser geht, dass er sich ab und zu entspannen kann, dass er mehr lacht."
„Denkst du, das will ich nicht?"
Cleo starrte sie an. Sie zitterte ganz leicht und Smilla fragte sich, wie lange sie sich in Gedanken wohl auf dieses Gespräch vorbereitet hatte, in dem Wissen, dass die Schwester ihres Freundes das ganz und gar nicht gut finden würde.
„Du kannst es ihm aber nicht geben! Du arbeitest schon wie bekloppt hier. Ich hingegen kann ihm Arbeit abnehmen. Also lass mich das doch tun."
Sie verstummten beide, als hinter ihnen Schritte ertönten. Smilla drehte sich langsam um. Tobi kam langsam auf sie zu.
„Wieso streitet ihr?"
Seine Stimme klang ruhig und kontrolliert, fast freundlich. Tobi, der Sonnenschein eben. Cleo seufzte schwer.
„Ich musste es ihr sagen..."
Tobi nickte und stellte sich neben seine Freundin, legte den Arm um sie. Smilla wollte brechen.
„Ich will das nicht", stellte sie klar. Tobi lächelte schwach und drückte Cleo besänftigend an sich.
„Wir müssen natürlich darüber reden, aber letztendlich haben wir wohl keine andere Wahl."
Smilla starrte ihren Bruder an. Seit wann war er so ein Weichei? Seit wann ließ er sich von seiner Freundin beeinflussen? Seit wann wollte er weniger Arbeit? Er ließ Cleo los und sah seine Schwester eindringlich an.
„Mein Arzt sagt mir schon seit Jahren, dass die Migräne mit ziemlicher Sicherheit besser wird, wenn ich weniger arbeite und vor allem, wenn ich weniger Stress habe. Aber ich konnte mir nie jemanden vorstellen, den ich ins Team einarbeiten könnte. Jetzt habe ich Cleo und ich wüsste nicht, wer besser dafür geeignet ist. Sie hat schon so oft hier gearbeitet. Sie kennt das Eden in- und auswendig. Sie wird uns beide entlasten und wir können ein bisschen Verantwortung abgeben."
„Und das beschließt du einfach so, ja? Ohne mich?"
„Ich beschließe es nicht, ich schlage es dir vor."
„Und ich bin dagegen."
Sie drehte sich um, schnappte sich ihre Jacke vom Tresen und stapfte davon. Sie brauchte erst mal eine Zigarette. Jetzt sofort. Sie hörte wie Cleo leise etwas zu Tobi sagte. Sie verzog das Gesicht und hastete die Treppen nach oben an die kalte Winterluft. Dort steckte sie sich sofort eine Kippe an. Während sie den Rauch inhalierte, versuchte sie das Gespräch zu reflektieren. In erster Linie fühlte sie sich vollkommen überrumpelt. Zweitens glaubte sie wirklich, dass es keine gute Idee wäre, wenn Cleo ihren Job schmiss und sich ganz in finanzielle Abhängigkeit von Tobi stürzte. Sie konnte nicht verstehen, wie Frauen so etwas tun konnten. Sie selbst würde das Eden niemals aufgeben, für keinen Mann der Welt. Sie wusste, dass sie heftig reagiert hatte, aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass jemand in die geschäftliche Partnerschaft zwischen ihr und Tobi eindrang, dass es eine dritte Person geben sollte, die sich einmischte und dann vielleicht noch einen Keil zwischen sie trieb.

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Where stories live. Discover now