Abhängig

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Nachdem Smilla drei Zigaretten geraucht hatte, fühlte sie sich ein kleines bisschen besser und sie beschloss in aller Ruhe mit ihrem Bruder zu reden. Alleine. Ohne eine störende Freundin. Sie wusste, dass sie überreagiert hatte und wenn die Migräne ihm wirklich so sehr zu schaffen machte, dann wollte sie ihm natürlich helfen eine Lösung zu finden. Eine, mit der sie beide zufrieden sein konnten und ihretwegen auch Cleo.
Die beiden waren nicht mehr an der Bar. Aber sie konnte sich denken, wohin sich Tobi verzogen hatte und machte sich auf den Weg ins Büro. Die Tür stand offen und sie hörte schon von weitem die Stimmen der beiden.
„Sie versteht einfach nicht", sagte Cleo gerade, „dass ich dir nur helfen will. Manchmal glaube ich, dass sie denkt, ich will dir was Böses! Als würde ich dich nachts auffressen, oder so."
Smilla verdrehte die Augen und schlich sich an die Tür heran. Sie warf einen vorsichtigen Blick ins Büro. Die beiden bemerkten sie gar nicht. Tobi saß an seinem Schreibtisch und Cleo stand gebückt davor, hatte beide Hände auf den Tisch abgestützt und sah ihn eindringlich an.
„So kann das nicht weitergehen. Irgendwann wirst du einfach umfallen. Du weißt das."
Tobi sah an ihr vorbei und nickte abwesend. Smilla war stolz auf ihn, dass er seine Freundin ein kleines bisschen auflaufen ließ. Doch Cleo schien der Geduldsfaden endgültig gerissen zu sein und Smilla war überrascht, wie energisch diese Frau sein konnte, wenn sie es wirklich wollte.
„Und ich finde, du solltest ihr sagen, dass es deine Idee war.", fuhr Cleo vorwurfsvoll fort, „Dass du mich darum gebeten hast. Wenn ich ihr das sage, dann glaubt sie mir nämlich nicht."
Tobi seufzte schwer, strich sich durch die strubbeligen, aschblonden Haare und sah seine Freundin an.
„Natürlich sage ich ihr das. Ich hätte es ihr auch von Anfang an gesagt, wenn du dieses Gespräch mir überlassen hättest. Wir müssen irgendwie miteinander auskommen. Wir alle."
„Das liegt ja wohl nicht an mir.", schnaubte Cleo patzig und Smilla schnitt eine Grimasse. Am liebsten wäre sie in den Raum geplatzt und hätte ein bisschen mitgemotzt, aber das Gespräch zwischen den beiden war zu interessant, als dass sie es unterbrechen wollte. Vielleicht fingen sie ja richtig an zu streiten. Im nächsten Moment wurde ihr klar, dass sie wirklich ein wenig missgünstig war. Früher hatte sie auch nichts gegen die Beziehung der beiden gehabt. Cleo war die erste Frau an Tobis Seite gewesen, die sie wenigstens ein bisschen gemocht hatte. Doch gerade jetzt hatte sie nur schlechte Gedanken für sie übrig. Tobi schob seinen Stuhl ein Stück vom Schreibtisch zurück und klopfte auf seine Schenkel.
„Komm her."
Cleo blieb hinter seinem Schreibtisch stehen und starrte ihn an.
„Komm schon", wiederholte er leise, „Hm?"
Sie seufzte und gab auf, ging um den Tisch herum und nahm auf seinem Schoß Platz. Er legte die Arme um sie und drückte einen Kuss in ihr Haar. Smilla spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals.
„Sie hat einfach nur Angst", sagte Tobi leise, „Das Eden gehört uns beiden und sie will es nicht hergeben."
„Ja schon", knurrte Cleo, „Aber ich will den blöden Laden ja auch gar nicht haben. Ich wäre doch auch nur eure Angestellte."
„Ja, aber wir würden irgendwann von dir abhängig sein... und Smilla hasst nichts mehr, als von irgendwem abhängig zu sein."
„Von dir ist sie doch auch abhängig."
Tobi lachte leise und küsste erneut ihr schwarzes Haar.
„Ich bin ihr Bruder. Das zählt nicht. Wir sind Blutsverwandte. Also bis an unser Lebensende einander verpflichtet."
Cleo schmunzelte und klammerte sich an ihn. Smilla schloss die Augen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hasste es zu hören, wenn andere so über sie sprachen, aber noch mehr hasste sie es zu sehen, dass die beiden einander hatten, dass sie sich gegenseitig Trost spendeten, dass sich einfach füreinander da waren und sie konnte sich nicht dagegen wehren, sich zu wünschen, dass sie gerade ein ganz gewisser Kerl so fest an sich presste, dass sie keine Luft mehr bekam. Aber das würde nie wieder passieren. Denn dieser Kerl war ein Idiot und sie würde sich nie wieder in einen Mann so verlieben, wie in ihn.
„Glaubst du, sie hat deshalb mit Felix Schluss gemacht?", fragte Cleo leise, „Weil sie abhängig von ihm geworden ist?"
Smilla hörte Tobis Antwort nicht mehr, denn sie drehte sich um und hastete davon, ging zurück in den Club. Sie brauchte irgendetwas um sich abzulenken. Laute, ganz, ganz laute Musik. Sie eilte zum DJ-Pult und schmiss eine von den automatischen Playlists an, die für den Notfall gespeichert waren. Laute Popmusik erfüllte den Raum. Smilla ging langsam die drei Stufen vom DJ-Pult zur Tanzfläche hinunter. Auf der letzten sackte sie einfach zusammen, setzte sich auf die Stufen und legte den Kopf in ihre Hände, begann hemmungslos zu weinen. Es kam einfach so über sie. Der ganze Herzschmerz brach auf einmal aus. Sie war wütend und unfassbar traurig zugleich. Drei Songs lang saß sie so da. Dann setzte sich jemand neben sie und legte den Arm um sie, zog sie an sich. Es war Tobi. Sie klammerte sich an ihn und heulte was das Zeug hielt. Wie ein Baby. Sie schämte sich gleichzeitig dafür, konnte es aber auch nicht verhindern. Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, küsste er sie sanft auf die Wange. Das tat er sonst nie. Es war, als wollte er ihr ein bisschen Nähe spenden.
„Was ist los? Du bist doch nicht wegen Cleo so fertig, oder?"
Sie schüttelte stumm den Kopf und schluchzte schon wieder. Tobi strich ihr über die Haare und legte seinen Arm dann wieder fest um sie.
„Was war da los, mit Felix? Wieso erzählst du es mir nicht einfach?"
Wieder schüttelte sie den Kopf. Sie blickte in ihre Hände. Tobi rieb tröstend ihren Oberarm.
„So wirst du deinen Liebeskummer nicht los, wenn du alles nur in dich rein frisst."
„Hab doch gar keinen Liebeskummer", entgegnete sie trotzig, begleitet von einem weiteren Schluchzen. Tobi seufzte leise.
„Du weißt nur nicht, wie sich das anfühlt... Wenn man das Gefühl hat, dass einem das Herz zerfetzt wurde und man nicht glaubt, dass es je wieder jemand zusammenflicken kann, das ist Liebeskummer."
„Echt?", fragte Smilla verbittert und sarkastisch zugleich und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
„Ja, echt."
Sie zog die Nase hoch. Es tat gut, dass er da war, aber wirklich helfen konnte es ihr auch nicht.
„Es ging dir doch so gut", sagte er leise, „Du warst so glücklich... so habe ich dich noch nie gesehen. Ich konnte kaum glauben, dass meine kleine Schwester sich verliebt hat... und dann das."
Sie stierte in den Raum. Im Hintergrund dröhnte die Musik. Der Laden war leer. Dann war der Sound schlechter, als wenn er mit tanzwütigen Menschen gefüllt war.
„Du wolltest doch sonst nie mit mir darüber sprechen", erwiderte sie trotzig.
„Ich wollte dir Zeit geben runterzukommen. Als plötzlich zwischen euch Schluss war, warst du so abweisend und ich dachte, dass es ganz gut ist, wenn du das erst mal mit dir selbst klärst."
Sie sagte nichts, drückte ihren Kopf fester an seine Schulter. Felix war Geschichte und sie wollte einfach nicht mehr über ihn sprechen. Denn es tat weh auch nur an ihn zu denken.
„Weißt du, wenn du alle Leute immer so auf Abstand hältst, dann wirst du irgendwann sehr einsam werden."
Sie schloss die Augen und presste die Lippen aufeinander. War das der Grund? War sie am Ende selbst Schuld? Hatte sie Felix zu sehr auf Abstand gehalten, so dass er nie auch nur daran gedacht hatte, mit der Wahrheit rauszurücken? War es wirklich das? Oder war es nicht vielmehr so, dass er ganz froh darüber gewesen war, dass sie nie absolute Vertrautheit von ihm verlangt hatte? War sie nicht eigentlich ein guter Fang für ihn gewesen? Perfekt für seine Unterhaltung?

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Where stories live. Discover now