Kitsch

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„Warte kurz hier", sagte Felix, als sie vor seiner Wohnungstür standen. Smilla ließ ihn vorgehen und fand sich dann allein in dem kalten Treppenhaus wieder. Es war gespenstisch still. Musste er jetzt noch irgendwas verschwinden lassen? Sie wusste nicht, wie lange sie dort stand, aber als er die Tür wieder aufmachte und sie rein ließ, kam ihr sofort der Geruch von etwas Angekokeltem entgegen.
Sie traute ihren Augen nicht, als sie durch den schmalen Flur sein Wohnzimmer betrat. Es war übersäht mit Kerzen, die überall standen. Auf den Fensterbänken, auf dem Couchtisch, der Kommode, auf der der Fernseher stand, auf den Regalen an den Wänden. Die Gardinen waren zugezogen und es verpasste dem Raum eine warme und angenehme Stimmung. Felix stand hinter ihr und sagte kein Wort. Smilla musste grinsen. Es kam einfach so über sie. Auch ein kurzes Lachen konnte sie nicht verhindern.
„Das ist so kitschig."
Langsam ging sie in den Raum und drehte sich einmal um die eigene Achse. Er war nie der große Romantiker gewesen und wenn sie ehrlich war, konnte sie selbst auch nicht viel damit anfangen. Aber das hier war mehr, als ihr jemals in den Sinn gekommen wäre, mehr, als sie überhaupt jemals erwartet hätte. Sie fühlte sich wie in einem verdammten Nicholas Sparks Film und obwohl sich sonst alles in ihr gegen diese Vorstellung gesträubt hatte, fühlte es sich in dem Moment nicht schlimm an. Es war ungewohnt, ja. Ihr war das Gefühl vorher schließlich gänzlich unbekannt gewesen. Und doch war das alles hier etwas, an das sie sich wirklich gewöhnen konnte.
„Ich hab da noch was", ertönte es hinter ihr und als sie sich umdrehte, hatte Felix einen Stauß Sonnenblumen in der Hand.
„Oh", bekam sie nur heraus und fühlte sich direkt noch überforderter.
„Hab dir extra keine Rosen gekauft", erklärte er belustigt, „Dachte, dann flippste aus."
Smilla grinste breit und spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Doch auch wenn ihr Herz gerade ziemlich hoch schlug, so hatte sie nicht vergessen, was gestern passiert war. Felix lächelte, ließ ihr ein paar Momente in diesem Lichtermeer und schnappte sich dann ihre Hand, zog sie in die Küche, wo es genauso aussah. Alles leuchtete. Er schob sie zu seinem kleinen Küchentisch, an dem sich nicht mehr als zwei Leute gegenüber sitzen konnten und sie nahm einfach Platz, den Strauß in ihrem Schoß.
„Was wird das?"
Er holte eine Verpackung aus dem Kühlschrank.
„Ich koche."
„Was?"
Geschäftlich suchte er in den Schränken nach den passenden Utensilien.
„Kochen. Dit mit dem Herd und den Lebensmitteln."
Sie war vollkommen überrumpelt. Ihr fiel ein, dass sie ihm eigentlich immer nur beim Rührei machen gesehen hatte und das war nicht wirklich oft vorgekommen. Das hatte dann zwar immer geschmeckt, aber sie konnte nicht wirklich einschätzen, ob das bei anderen Gerichten dann auch so sein würde, oder ob Ei sein go-to-Gericht und andere Dinge dafür ungenießbar waren. Er kam ihr nicht wie ein Hausmann vor. Sie hatten meistens etwas bestellt, wenn sie sich gesehen hatten, ihr Kühlschrank gab oft nicht viel her und sie hatte das auch nie schlimm gefunden, schließlich konnte sie selbst nicht kochen. Aber das hier war anders. Noch nie hatte irgendjemand so etwas für sie getan. Es war nur eine Kleinigkeit, nur kochen eigentlich, und trotzdem fühlte sie sich wertgeschätzt. So sehr, dass sie fast heulte.
„Wieso machst du so einen Aufwand?", fragte sie leise, „Wieso machst du das alles für mich?"
Felix stellte gerade einen Topf auf den Herd und drehte die Platte auf. Dann wandte er sich ihr zu und sagte todernst: „Weil du das verdienst."
Smilla konnte nicht antworten. Sie lächelte zaghaft. Er erwiderte es und dann kochte er. Es war ein bisschen chaotisch und er fluchte zwischendurch vor sich hin. Er wollte wohl eine Bolognese machen, aber ob die was wurde, wusste sie nicht, weil er sie immer wieder auf ihren Platz zurück schickte, wenn sie aufstand, um ihm über die Schulter gucken zu können. Manchmal schien er wegen der frühen Uhrzeit fast einzuschlafen und war so langsam und unkonzentriert, dass es lustig war, ihm dabei zuzusehen und dann bewegte er sich plötzlich wieder hektisch, weil ihm irgendetwas einfiel, dass er vergessen hatte, oder weil irgendwas kurz vor dem Anbrennen oder Überkochen stand. Smilla lachte zwischendurch immer wieder und mittlerweile war es ihr egal, ob das Essen etwas wurde, oder nicht. Die Mühe, die er sich machte, war vollkommen ausreichend für einen schönen Morgen und wahrscheinlich waren sie die einzigen Menschen auf der Welt, die morgens um acht Bolognese aßen.
Als das Essen fertig war, drapierte Felix die Nudeln mit der Sauce kunstvoll auf dem Teller. Er war ein wenig rot im Gesicht, von den vielen Dämpfen und auf seinem Rücken hatten sich Schweißabdrücke auf seinem T-Shirt gebildet, aber Smilla fand ihn so anziehend wie noch nie. Als er fertig war, wirkte es beinahe feierlich, wie er den Teller servierte und ihr ganzes Gesicht schmerzte bereits vom Grinsen, so beseelt war sie.
„Eigentlich muss die ein paar Stunden kochen, damit sie so richtig nice ist. Aber verhungern sollste ja auch nicht, wenn du schon mal hier bist."
Sie biss sich nickend auf die Unterlippe und freute sich wie ein kleines Kind. Selbst an das obligatorische Basilikumblatt hatte er gedacht. Dann stand sie auf und umarmte ihn. Es überkam sie einfach. Wahrscheinlich presste sie sich sogar etwas zu sehr an ihn, mit ihren heißen Wangen und dem klopfenden Herzen, denn Felix lachte leise und musste sich kurz am Tisch festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Doch dann schlang auch er seine Arme um sie und hielt sie fest.
„Alles Gute zum Geburtstag."
Smilla erstarrte. Langsam löste sie sich und sah ihn an. Er stand noch immer dicht an sie gedrückt und hatte auch noch nicht seine Arme sinken lassen.
„Woher weißt du das?"
Er grinste und küsste sie auf den Mund.
„Ick weiß alles."
Dann ließ er von ihr ab, holte sich seinen eigenen Teller und nahm auf der anderen Seite Platz. Smilla starrte ihn an. Sie hatte es ihm nie gesagt. Und sie hatte es auch keinem seiner Freunde gesagt, auch nicht Julian.
„Guten Appetit", sagte Felix und schob sich eine Gabel in den Mund, „Schmeckt", stellte er fest,
„Kannste essen, ohne tot vom Stuhl zu fallen."
Sie setzte sich.
„Jetzt sag. Woher weißt du das?"
Er schob sich eine weitere Gabel in den Mund und kaute auf dem Essen herum, brauchte eine Ewigkeit, bis er den Mund wieder leer hatte.
„Entspann dich. Cleo hat's mir gesagt."
„Wieso das? Wann habt ihr denn gesprochen?"
„Gestern."
„Gestern? Wieso gestern? Was...?"
Felix wischte sich mit einer Serviette über den Mund, räusperte sich und lehnte sich zurück.
„Ich hab sie angerufen und wollte sie fragen, ob ich es wagen kann, dich mit dem hier zu überraschen oder ob du mich dann umbringst. Sie meinte die Chancen stünden fifty-fifty. Und sie hat mir viel Glück gewünscht und gemeint, dass das ne gute Idee für deinen Geburtstag wäre. Da hab ich dann gedacht, dass der heute sein muss."
„Wieso hast du denn Cleos Nummer?"
„Die haben wir vor ner Ewigkeit ausgetauscht... wir haben uns irgendwann mal unterhalten. Du hast doch auch Julians Nummer."
Smilla nickte langsam. Sie war noch vollkommen fertig. Felix' Blick glitt auf ihren Teller.
„Iss ma was jetzt. Sonst hab ich den ganzen Bums umsonst gekocht."

Nach dem Essen fielen sie müde ins Bett und lagen in dem schummrigen Schein der Straßenlaternen, während es draußen immer heller wurde. Felix redete irgendetwas von Geburtstagssex, aber Smilla war satt und wollte sich nicht mehr bewegen. Sie wollte einfach nur schlafen, außerdem sah er selbst nicht so aus, als hätte er wirklich Bock. Er wirkte sogar ein bisschen angespannt und war beim Essen zwischenzeitlich immer wieder abgeschweift, hatte minutenlang kein Wort gesagt. Obwohl er sich viel Mühe gegeben hatte, hatte sie doch gemerkt, dass etwas zwischen ihnen stand. Das gestrige Telefonat hatte sich den Morgen über in den Hintergrund geschoben und drängte sich jetzt doch wieder in ihre Gedanken, ließ sie wach bleiben und an die Decke starren. Warum hatte er nichts gesagt? Warum fühlte sich irgendetwas so falsch an? Sie versuchte Erklärungen zu finden. Vielleicht war er am Morgen schon unterwegs gewesen und hatte für das Essen heute eingekauft. Vielleicht hatte sie das alles einfach nur in den falschen Hals bekommen und übertrieb, wurde langsam zu einer dieser Furien, die sie sonst immer belächelt und die ihr immer auch irgendwie leidgetan hatten, weil die ja offensichtlich eher ein Problem mit sich selbst hatten. Aber dann hätte er das doch sicher spätestens heute aufgeklärt, oder nicht? Hätte, hätte.
Sie spürte, wie er unter der Decke mit seiner Hand nach ihrer Hand griff und sie umschloss, als wollte er sie festhalten und daran hindern wegzulaufen. Sie trug nur ihren Slip, hatte ja nichts zum Schlafen dabei. Felix hatte gesagt, dass es nur fair sei, wenn er auch nur seine Unterwäsche trug, aber eine erotische Stimmung kam deswegen nicht auf. Es war ein seltsames Gefühl. Sie kannte ihn jetzt etwas länger als ein halbes Jahr und bisher waren sie fast immer übereinander hergefallen, außer er hatte zu viel getrunken oder sie war nach der Arbeit sofort eingeschlafen. Aber es war nie so gewesen, dass sie wach nebeneinander gelegen hatten, ohne wenigstens zu kuscheln oder zu knutschen. War das der Moment, in dem die Verliebtheit nachließ? War das der Moment, in dem die Routine Einzug erhielt? Wollte sie das? Routine? Oder lag es daran, dass etwas zwischen ihnen stand, weil er sie gestern offensichtlich angelogen hatte?

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt