Schuld

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Smilla kippte vorsichtig etwas aus dem kleinen Milchkännchen in den Kaffee. Die schwarze Brühe färbte sich langsam in ein helles Braun um, dann stellte sie das Kännchen wieder ab und hob vorsichtig den Blick. Felix saß mit einem schwachen Schatten eingetrockneten Blutes auf dem Kinn da und starrte sie an. Sein Blick hatte etwas seltsam Entrücktes. Er sah nicht betroffen aus oder beschämt. Einfach nur vollkommen neben sich. Das Café war klein und dunkel, aber es hatte süße runde Tische und alte Apothekerschränkchen an den Wänden stehen. Außer ihnen saß noch ein Mann mit grauem Schnauzbart da. Er trank seinen Kaffee und interessierte sich nicht für sie, schien noch im Halbschlaf zu sein. Smilla vermutete, dass ihm der Lastwagen mit dem niederländischen Kennzeichen gehörte, der draußen am Straßenrand parkte. Wahrscheinlich machte er nur einen Zwischenstopp hier. Sie schluckte und nippte an ihrem warmen Kaffee. Er schmeckte gut, besser als ihr eigener Zuhause. Aber es war so ungewohnt, dass sie gerade lieber ihren eigenen gehabt hätte. Einfach nur, weil der so schmeckte, wie sie es gewohnt war. Sie hörte Felix' Stuhl über den Boden schleifen, er schien langsam wieder zu sich zu finden.
Also hörst du mir jetzt zu, ja?"
Sie erwiderte seinen Blick emotionslos.
„Ich weiß nicht, wie du das erklären willst, aber ja, ich hör dir zu."
Er nickte und sah kurz auf die Tischplatte, schien sich sammeln zu wollen. Ihr war kotzübel. Wollte sie das wirklich hören? Sie schüttelte den Kopf und spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals.
„Es war doch alles nur eine Lüge", brach es zischend aus ihr heraus, „Selbst deine Scheiß-Wohnung, das ist doch überhaupt nicht deine Wohnung."
„Doch, das..."
„Ach ja? Haste die extra angemietet, ja? Damit du deiner Affäre..."
„Smilla, jetzt hör endlich mal zu! Für fünf Minuten!"
Sie riss die Augen auf, als er ihr schroff über den Mund fuhr. Der vermutlich niederländische Lastwagenfahrer sah in ihre Richtung. Smilla hoffte, dass er wirklich Ausländer war. Felix starrte sie eindringlich an, mit diesem Blick, der sie zum Schweigen bringen sollte und den sie noch nie gemocht hatte, weil er sich damit erdreistete ihr den Mund zu verbieten. Auf einmal fielen ihr ziemlich viele Sachen ein, die sie an ihm nicht mochte. Zum Beispiel, dass er seine Schuhe immer da in der Wohnung stehen ließ, wo er sie ausgezogen hatte und das konnte überall sein.
„Das ist meine Wohnung", sagte Felix, „Aber ich wohn' da nicht, ich vermiete die", sein Blick hielt sie fest, „Als wir uns kennen gelernt haben, da hab ich dort gewohnt. Eda und ich hatten uns getrennt. Eigentlich war vorher schon alles im Arsch und das wussten wir beide, wir haben nur nie darüber gesprochen. Zumindest nicht richtig. Dann haben wir das endlich gemacht und wir fanden es beide besser, erst mal Abstand zueinander zu halten. Damit wir alles sortieren können.", sagte er, „Du hast mich also in einer ziemlich beschissenen Phase getroffen."
Smilla machte nur ein abfälliges Geräusch, weil sie daran dachte, wie furchtbar er drauf gewesen war, in dieser Nacht, in der sie ihm das erste Mal begegnet war.
„Deswegen haben mich Julian und Tommi ja auch nächtelang mit sich herumgeschleppt, damit ich was zu tun habe... aber hat ja auch funktioniert, bin ja dir begegnet."
Sein Blick wanderte kurz aus dem Fenster, so als ob auch er sich an die Nacht damals vor dem Eden erinnerte, dann wandte er sich wieder ihr zu.
„Und am Anfang warst du einfach 'ne willkommene Ablenkung. Und darüber darfst du dich echt nicht beschweren, weil ich weiß, dass ich nichts Anderes für dich war",
Smilla schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter.
„Ich hab dann gemerkt, dass du mehr als nur eine Ablenkung bist, dass ich dich wieder sehen wollte. Ich hab echt versucht, dich nicht mehr anzurufen. Ein paar Mal. Aber es hat nie funktioniert. Irgendwann hatte ich das Handy wieder in der Hand", er blickte kurz in ihre Richtung, „Dass ich dir immer gesagt habe, dass ich keine Freundin gebrauchen kann, hat gestimmt. Eda und ich...wir kennen uns unser halbes Leben. Ich fands nicht fair, direkt mit ner Neuen anzukommen, während das Alte noch nicht richtig abgeschlossen war." Er machte eine lange Pause und starrte in seinen Kaffee, „Und ich hab sie vermisst, wenn ich ehrlich bin. Die Wohnung war scheiße und ich habs dort gehasst. Ich hab mich nur wohl gefühlt, wenn ich bei dir war. Dann hat Eda ständig angerufen und geweint und ich hab das nicht ausgehalten. Also bin ich wieder zurück."
Smilla zog hart die Luft zwischen ihren Zähnen ein. Er hatte längst was mit ihr gehabt und dackelte trotzdem zu seiner Freundin zurück. Irgendwie machte das alles noch viel schlimmer.
„Das ist so widerlich", sagte sie leise. Er starrte sie an. Sein Blick bohrte sich in ihre Augen.
„Ich wollte für sie da sein. Ich dachte, ich bin ihr das schuldig."
Sie schob die Unterlippe vor.
„Du kannst auch für sie da sein, ohne direkt wieder bei ihr einzuziehen", erwiderte sie patzig,
„Außerdem erklärt das noch lange nicht, wieso du mir kein Sterbenswörtchen von ihr erzählt hast."
Smilla schob ihre Hände in den Schoß, um sie unter dem Tisch zu verstecken. Sie zitterten leicht, während ihr restlicher Körper vollkommen angespannt war.
„Du wolltest ja nie irgendetwas wissen. Als du nach meiner Wohnung gefragt hast, war klar, dass ich was sagen muss...dass du wissen sollst, was bei mir abgeht. Aber du wolltest es nicht hören. Du wolltest nie irgendwas hören."
Smilla starrte ihn an. Sie hatte das Gefühl ihre Augen würden ihr gleich aus dem Kopf fallen.
„Das hättest du mir sagen müssen! Verdammt, Felix! Wir waren ein Paar! Zumindest hast du mich das glauben lassen! Wie hätte ich das abblocken können, wenn du mir ins Gesicht gesagt hättest, dass du immer noch an deiner Ex hängst?"
Lange sagte er nichts und sie wollte über den Tisch springen und ihn schütteln. Krampfhaft krallte sie ihre Hände ineinander, drückte sie tiefer in ihren Schoß. Sein Blick wurde abweisend, ein wenig trotzig sogar.
„Am Anfang hatte ich einfach keinen Bock dir das aufzuzwängen, wenn du es so offensichtlich nicht wissen wolltest. Du hast immer klar gemacht, dass das nur 'ne Affäre ist und ich hab nicht eingesehen, wieso ich so verfickt ehrlich sein soll, wenn du das gar nicht von mir erwartet hast. Später ist das einfach aus dem Ruder gelaufen. Irgendwann konnte ich es dir nicht mehr sagen", er sah sie eindringlich an, „Ich hatte...Angst dich zu verlieren und ich wusste, wie schwer es dir fällt Vertrauen zu anderen aufzubauen. Ich dachte, dass du sofort weg bist... oder dass du's nicht verstehst. Keine Ahnung", er zuckte mit den Schultern, „Ich wollte mich einfach nicht damit auseinandersetzen. Es hat ja gut funktioniert zwischen uns. Ich habe viel gearbeitet, du hast viel gearbeitet und wenn wir uns gesehen haben, dann war es immer gut und wenn wir uns nicht gesehen haben, dann hast du keine Rechenschaft von mir verlangt."
Smilla konnte nicht fassen, was sie da hörte, dass er so locker darüber sprach, als wäre es das Normalste auf der Welt. Sie hatte sich in ihn verliebt, das war ihr vorher nie passiert, oder sie hatte es früh genug abgeblockt und den Anwärter rechtzeitig wieder vertrieben. Aber diesen, der jetzt hier vor ihr saß und sich um Kopf und Kragen redete, den hatte sie in ihr Leben gelassen und er glaubte, es wäre nicht so schlimm, was er getan hatte, dass er ihr Vertrauen auf diese Art und Weise missbraucht hatte? Sie stieß einen verächtlichen Laut aus.
„Schön, dass alles perfekt für dich war, Felix. Das freut mich wirklich."
Er beugte sich über den Tisch und sah sie mit seinem durchdringenden Blick an.
„Weißt du, manchmal hatte ich das Gefühl, dass du im Grunde ahnst, dass was nicht stimmt, dass du's die ganze Zeit gemerkt hast. Aber weil du nie gefragt hast, war ich mir sicher, dass du einfach 'ne gute Zeit haben wolltest, dass es dich nicht interessiert hat."
Smilla schossen die Tränen in die Augen und Wut in ihre Worte.
„Du hast einen auf Freund gemacht. Du! Dabei bist du fast jeden Abend ins gemachte Bett zu deiner Freundin gestiegen!", ihre Stimme überschlug sich, der Fernfahrer blickte wieder in ihre Richtung, „Und du glaubst, das ist so leicht zu entschuldigen? Du glaubst, du kannst den schwarzen Peter einfach mir zuschieben, weil du einfach mal angenommen hast, dass ich es ja sowieso nicht hören wollte? Hör auf! Hör endlich auf damit!"
Er wich ein Stück zurück und blieb auf Abstand, aber sein Blick verlor nicht an Eindringlichkeit, während ihre Sicht langsam verschwamm. Sie wollte nicht heulen. Nicht jetzt. Er sollte nicht das Gefühl bekommen, dass sie die Fassung verlor oder einknickte. Aber er schien zu merken, wie sehr sie das alles traf. Dass da gerade mehr Enttäuschung und Verletzlichkeit war als echte Wut. Sie presste ihre Lippen aufeinander und zwang sich zur Ruhe, während in ihrem Augenwinkel die ersten Tränen überliefen. Trotzig wischte sie sie mit ihrem Ärmel weg und schüttelte abweisend den Kopf. Sie glaubte ihm kein Wort. Er hatte sie ja damals auch in seine leerstehende Wohnung gebracht, hatte ihr vorgegaukelt, dass er dort wohnte. Wieso sollte sie ihm noch irgendetwas glauben?
„Du kannst mir nicht erzählen, dass du mit dieser Frau zusammen wohnst, mit der du jahrelang zusammen warst und mit der dich zumindest zeitweise romantische Gefühle verbunden haben, dass du die nicht ab und zu fickst. Das kann mir kein Mensch erzählen. Entweder man trennt sich und dann auch räumlich, oder man trennt sich nicht. Du hast dich nicht getrennt. Du bist zu ihr zurück gekrochen. Und du kannst nicht von mir verlangen, dass ich über diese Kleinigkeit einfach hinweg sehe. Sowas kannst du mir nicht mal vorschlagen!"
Sie überlegte zu gehen, aber sie wusste nicht, wie sie von hier zurückkam. Sie könnte den Bus nehmen, wenn einer kam, aber hier in der Vorstadt tickten die Uhren anders.
„Ich verlange überhaupt nichts.", sagte er bestimmt, „Und ich fick niemanden.", plötzlich spürte sie seine Hand und wie sie ihren Handrücken umschloss, bis zu ihrem Handgelenk und sie konnte nicht anders, als darauf zu starren. Ihr wurde schwindelig. „Man, Smilla. Wenn ich könnte, würde ich diese ganze Scheiße rückgängig machen. Das musst du mir wirklich glauben.", ertönte es, aber es klang seltsam weit weg. Sie entzog ihm schließlich ihre Hand.

Die Kellnerin kam und goss noch etwas Kaffee nach, aber das Gespräch kam nicht mehr richtig in Gang. Stattdessen grübelten beide vor sich hin. Smilla war nicht bereit, von ihrem Standpunkt zu weichen, noch war sie bereit, ihm einfach alles zu verzeihen. Die Lügen taten weh. Jetzt, wo ihr so nach und nach klar geworden war, in welchen Situationen er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Und es tat weh zu wissen, dass alle um ihn herum Bescheid gewusst hatten, nur sie nicht. Es war demütigend und erniedrigend. Und sie hatte bis jetzt keine richtige Entschuldigung dafür bekommen. Nachdenklich tippte sie mit ihrem Löffel gegen die Untertasse. Es erzeugte ein leises klirrendes Geräusch, aber es störte niemanden. Felix beschwerte sich nicht und der niederländische Fernfahrer war vor zwanzig Minuten gegangen. 'Diese Männer verlassen ihre Frauen nie', das hatte Tobi gesagt und sie fürchtete, dass er Recht hatte, dass er die Situation sofort richtig eingeschätzt hatte, vom ersten Augenblick an, obwohl er erst viel später als sie erfahren hatte, was Sache war. Sie hob langsam den Blick und musterte Felix' Gesicht. Er wirkte vollkommen abwesend, war ein bisschen blass um die Nase und seine aufgeplatzte Unterlippe war bereits mit einer dünnen, irgendwie violettfarbenen Kruste überzogen. Wahrscheinlich würde er eine Weile damit zu tun haben. Die Stelle würde immer wieder aufbrechen. Allein wenn er sprach, oder lachte. Aber da war keine Schadenfreude mehr in ihr. Es machte ihn nur noch fremder und zeigte doch irgendwie, dass er auch verletzlich war, dass er auch zerbrechen konnte, wenn man zu grob war. Er merkte, dass sie ihn ansah und blinzelte, erwiderte ihren Blick.
„Wie stellst du dir die Zukunft vor?", fragte er. Sie war überrascht über die Frage und weil sie ehrlich bleiben wollte, sagte sie die Wahrheit.
„Ich würde sie mir gerne mit dir vorstellen...weil ich dich vermisse. Aber da ist nichts mehr... ich kann dir nicht mehr vertrauen. Deswegen muss ich mich zwingen, mir die Zukunft ohne dich vorzustellen."
Er verzog das Gesicht.
„Und? Wie ist die Zukunft ohne mich?"
„Blöd... aber sie wird besser. Mit der Zeit, denke ich."
Er sah sie skeptisch an, schien nicht wahrhaben zu wollen, dass sie das wirklich durchziehen würde. Aber so gut musste er sie doch mittlerweile kennen. Schließlich hatte sie auch vor zwei Monaten, ohne mit der Wimper zu zucken, mit ihm Schluss gemacht.
„Eda ist ausgezogen, vor zwei Wochen.", setzte er an, „Und das erzähl' ich dir jetzt nicht, um mich dadurch irgendwie rausziehen zu wollen oder damit zu sagen, dass alles, was passiert ist, jetzt weniger schlimm ist.", sein Gesicht blieb neutral, aber Smilla fühlte sich ausgelaugt und schaffte es kaum, richtig zu zuhören. „Ich übernehm die volle Verantwortung für alles. Das hast du nicht verdient."
Als seine Stimme am Ende immer leiser wurde, hielt sie es kaum aus. Am liebsten wollte sie sich herauswinden, sich irgendwie weg bewegen, weil es sie traf, wie er sprach und sie dabei ansah. Es sah aufrichtig aus und gerade das machte es wahrscheinlich so schlimm.
„Ich will nach Hause."
„Smilla.."
„Fährst du mich?"
Er sah so aus, als wollte er sie fragen, ob das ihr Ernst war, als wollte er sie zwingen hier zu bleiben, damit er sie überzeugen konnte. Aber er hatte ja gar keine Argumente, er hatte ihr kaum etwas von der beißenden Enttäuschung genommen und sie glaubte nicht mehr daran, dass es zwischen ihnen wieder werden könnte.
Sie stand auf und Felix blieb noch eine Sekunde sitzen, bis er sich widerwillig vom Stuhl erhob. Es war offensichtlich, dass es ihm nicht passte. Aber gerade war sie überfordert und wollte nachdenken, wollte in Ruhe über das grübeln, was er ihr erzählt hatte.

Als er vor ihrer Haustür hielt, sah er sie mit einem angespannten Blick an. Sie sah, dass er litt, sie glaubte ihm sogar, dass er sie liebte, auf die eine oder andere Art. Sie war ihm zu nah gekommen, um das leugnen zu können, hatte zu oft in seine Augen gesehen und sich an seinen warmen Körper geschmiegt.
„Ich fänd's gut, wenn ich dich anrufen könnte. Irgendwann die Tage."
„Kannst du nicht, ich habe deine Nummer sperren lassen."
„Ja, ich weiß", er atmete tief durch.
Sie sah erst nach draußen und dann in sein Gesicht.
„Du kannst zu mir kommen."
„Lässt du mich überhaupt rein?"
„Bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als es zu probieren."
Dann stieg sie aus und knallte die Autotür zu, ging auf das Haus zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er fuhr nicht weg, bis sie drinnen war. Dann hörte sie wie der Motor ansprang.

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Where stories live. Discover now