Ruhe

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Gestern war die vierte Woche angebrochen. Die vierte Woche, in der sie Felix nicht gesehen hatte. Er hatte tatsächlich angerufen. Zweimal. Nicht zu oft, nicht zu wenig. Er schien genau zu wissen, wie weit er gehen konnte. Er hatte ihr von den Auftritten erzählt, den Städten und Hotels, in denen er schlief und Smilla war das so surreal vorgekommen, dass sie kaum etwas damit anfangen konnte. Die Bilder von ihm und diesem Menschen auf der Bühne passten für sie nicht zusammen, aber das war okay. Sie war froh, dass sie den normalen Felix kennengerlernt hatte und hatte auch gar kein Interesse daran, in diese seltsame Showbusiness-Blase einzutauchen und sich mit all den seltsamen Dingen daraus auseinander setzen zu müssen.

Sie hatte es während seiner Abwesenheit ein, zwei Mal ausprobiert auszugehen, so wie früher. Hauptsächlich als Zeitvertreib und weil sie sich ablenken wollte. Aber die anderen Männer reagierten alle anders als Felix, weil sie nun mal nicht Felix waren und so war sie meist von dem Ergebnis eher enttäuscht gewesen, als dass es sie abgelenkt hatte.

Als sie an diesem Tag in die Bar ging, da hoffte sie, dass er bald das dritte Mal anrufen würde, um sie nach einem Treffen zu fragen. Er musste schon längst wieder in Berlin sein, aber er hatte sich nicht gemeldet und so langsam wurde sie nervös. Könnte ja auch sein, dass er sie in der Zeit nicht besonders vermisst hatte und nun auch nicht das Verlangen verspürte sie wieder zu sehen. Könnte auch sein, dass er auf Tour ein Mädchen nach dem anderen aufgerissen hatte und dass er sie darüber vergessen hatte. Die Ungewissheit wurmte sie. Aber sie zwang sich ihre Arbeit zu machen und nicht allzu sehr darüber nachzudenken. Es half sogar. Sie ließ sich ablenken und als der Club um zehn Uhr aufmachte, war sowieso so viel los, dass sie kaum noch an Felix dachte. Bis zwölf saß sie an der Kasse und die Arbeit ohne Pause ließ die Zeit schnell vergehen. Trotz allem kehrten ihre Gedanken irgendwann zu Felix zurück. Es war wie verhext und sie überlegte, ob sie ihn vielleicht anrufen sollte. Nur mal nachfragen, was er so machte und wie es ihm so ging. Es würde ihr schwerfallen, denn sie telefonierte niemandem hinterher. Das war sie nicht gewohnt. Andererseits taten das Millionen von Menschen jeden Tag und wenn die sich zum Affen machen konnten, dann konnte sie das doch auch, oder nicht? Sie übernahm den Spüldienst und entschied sich bei jedem Glas anders. Mal war sie fest entschlossen ihn anzurufen, ihm wenigstens eine WhatsApp zu schreiben und mal war sie absolut dagegen. Fakt war, dass es sie nicht in Ruhe ließ. Cleo tauchte neben ihr auf und lehnte sich gegen sie, sodass sie ihre Schulter berührte. Erst wirkte es zufällig, aber dann wurde ihr klar, dass sie damit ihre Aufmerksamkeit erregen wollte. Fragend blickte sie auf. Sie grinste.
„Dein Promi ist wieder da."
Sie starrte sie an. Cleo erwiderte ihren Blick vielsagend.
„Von wem redest du?", fragte sie reflexartig, dabei wusste sie doch ganz genau, von wem die Rede war und sie konnte nicht verhindern, dass ihr Blick durch den Raum huschte. Cleo nahm es fast schadenfroh zur Kenntnis.
„Hab ihn gerade auf dem Weg zur Toilette getroffen. Er hat mich sogar gegrüßt. Dabei hätte ich nicht gedacht, dass er mich wieder erkennt, der hat ja immer nur Augen für dich."
Sie senkte ihren Blick hastig auf das Spülbecken und tauchte das nächste Glas hinein.
„Jetzt tu doch nicht so", sagte sie neben ihr, „Jeder hier hat gemerkt, dass er regelmäßig kommt."
Sie konnte nicht anders. Sie musste grinsen.
Cleo schien ihr Soll erfüllt zu haben und nahm die nächste Bestellung entgegen. Sie war wieder mit ihren Gedanken alleine. Er war hier. Also hatte er sie doch nicht vergessen. Nur wieso tauchte er nicht an der Bar auf? Sie beschloss gleich selbst zur Toilette zu gehen und ihm dann rein zufällig über den Weg zu laufen. Das hielt sie für die beste Lösung. Und so verschwand sie fünf Minuten später in Richtung Toiletten. Dort ging sie auch als erstes hin, denn ein Blick in den Spiegel konnte nicht schaden. Ihre Haare sahen ganz okay aus. Vielleicht war sie ein bisschen blass im Gesicht, aber das würde man bei den herrschenden Lichtverhältnissen sowieso nicht merken. Zufrieden verließ sie die Damentoilette wieder und schob sich zwischen den feiernden Menschen hindurch, versuchte sich nicht allzu auffällig umzusehen. Sie schlug einen Bogen, ging nicht direkt wieder auf die Bar zu und ließ ihren Blick schweifen, als sie plötzlich Blickkontakt hatte und sein Grinsen erkannte.
„Suchst du mich?"
Ihre Pulsfrequenz beschleunigte sich sofort. Einen Moment lang wollte sie abstreiten, dass sie ihn gesucht hatte, aber dann wischte sie alle störenden Gedanken einfach beiseite und tat, wonach ihr der Sinn stand. Sie umarmte ihn. Sie schlang ihre Arme um seinen Körper und presste sich dicht an ihn. Ihr Atem ging unregelmäßig und sie spürte eine bohrende Aufregung in ihrem Inneren. Felix legte vorsichtig seine Arme um sie.
„Alles okay?"
Sie sagte nichts, sondern drückte sich an ihn, grinste dabei so breit, dass sie glaubte ihr Gesicht könnte es gar nicht mehr aushalten. Doch Felix schob sie langsam von sich und sah ihr prüfend in die Augen.
„Ist irgendwas?"
Sie schüttelte den Kopf. Das Grinsen wollte nicht aus ihrem Gesicht verschwinden.
„Alles gut."
Er nickte langsam. Dann drehte er sich kurz um.
„Hab ein paar Freunde mitgebracht. Wir wollten den Tourabschluss feiern... Willst du kurz mitkommen?"
„Ich muss arbeiten."
„Hm", er runzelte die Stirn, „Aber zehn Minuten haste bestimmt."
Sie seufzte schwer und sah in seine Augen. Sie wollte richtig mit ihm reden, wollte nicht fast brüllen müssen aufgrund der lauten Musik, wollte nicht zwischen all diesen Menschen sein. Sie sah sich um, ihr Blick glitt zur Bar und sie sah Tobi, der direkt in ihre Richtung sah. Peinlich berührt wurde ihr klar, dass er gesehen haben musste, wie sie sich an ihn geklammert hatte.
Sie griff nach Felix' Hand, „Vielleicht sollten wir kurz wohin gehen, wo es ruhiger ist."
Sie gingen zum Getränkelager, dort schob sie die Eisentür auf und spähte kurz hinein, ob jemand da war. Die Luft war rein. Sie zog Felix hinter sich in den Raum, der mit Bierkästen und anderen Getränken gefüllt war.
„Ist'n bisschen kalt hier."
Sie nickte. Niemand wollte warmes Bier trinken. Das war nun mal so. Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
„Dann machen wir's uns eben warm."
Er lachte und strich mit der Hand über ihren Oberarm.
„Meintest du nicht, du musst arbeiten?"
„Ja schon... aber zehn Minuten werden ja wohl reichen."

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Όπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα