Diecinueve ~ derrumbamiento

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Triggerwarnung: Tod, Trauer

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Als mein Vater mich zum Abendessen ruft, kleistere ich mir krampfhaft ein Lächeln ins Gesicht, damit nicht auch noch meine Eltern hinterfragen, was los ist. Sie sind ziemlich sensibel, bei solchen Stimmungen.

Alina lächelt mir aufmunternd zu und mein Gesichtsausdruck wird irgendwie echter. Zusammen decken wir den Tisch und setzen uns dann alles zusammen hin. Meine Eltern sind entspannter geworden, jetzt, da meine Schwester eine Weile zuhause ist.

Das Essen verläuft ereignislos, bis in meiner Hosentasche das Handy vibriert. Eigentlich würde ich es ignorieren, bis wir fertig sind, aber da ich quasi mit allen Streit habe, muss es etwas Wichtiges sein. Deswegen werfe ich unter dem Tisch einen kurzen Blick auf den Bildschirm.

Oliver: Hey

Oliver: Kannst du rauskommen?

Oliver: bitte

Mein Herz beginnt stark von innen gegen meinen Brustkorb zu pochen und ich bin schon halb aufgestanden, bevor meiner Familie auffällt, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich schlucke.

„Ich muss kurz...", ich hebe erklärend mein Handy und zeige in Richtung Tür. „Ist das Max", fragt Alina anklagend und ich schüttele den Kopf. „Oliver", antworte ich rau, „Es klingt irgendwie... wichtig."

Meine Mutter nickt und ich bin aus dem Zimmer, bevor noch jemand etwas sagen kann. Ich schlüpfe in meine Schuhe und öffne die Tür. Oliver steht vorne am Gehweg und scharrt mit dem Fuß auf dem Boden umher.

„Hey, was ist los?", frage ich, sobald ich in seiner Nähe bin. Oliver dreht sich zu mir und ich atme überrascht ein, als ich sehe, dass er geweint hat. Er beißt sich unsicher auf die Unterlippe.

„Lo siento, dass ich hergekommen bin, aber Mari ist krank und ich wusste nicht, wohin...", seine Stimme bricht und er guckt wieder nach unten. Ich habe keine Idee, was los ist, aber es geht ihm offensichtlich nicht gut.

„Alles okay", versichere ich ihm, „Wollen wir ein Stück laufen?" Er schnieft leise und nickt dann. Wir laufen schweigend los. „Willst du mir erzählen, was los ist", will ich irgendwann vorsichtig wissen. Zuerst antwortet er nicht, doch dann bleibt er unvermittelt stehen.

„Es war genau heute vor einem Jahr und ich dachte, ich schaffe es, aber es fühlt sich genauso schlimm an, wie als wir es gehört haben und ich kann einfach gerade nicht stark sein, weil es so weh tut", bringt er hervor und seine Schultern beginnen, zu zittern.

Ich mache einen Schritt auf ihn zu und nehme ihn vorsichtig in den Arm. Als er sich gegen mich lehnt und seine Stirn an meiner Schulter vergräbt, halte ich ihn fester und Oliver beginnt zu schluchzen. „Hey, ist doch in Ordnung."

„Ich vermisse meine Mutter so und Alessandro war wie ein Vater für mich", schluchzt er abgehackt und ich streiche ihm beruhigend über den Rücken. „Es ist okay", flüstere ich.

Eine Weile bleiben wir einfach stehen und Oliver hält sich an mir fest. Dann lehnt er sich ein Stück zurück und sieht mich aus verweinten Augen an. „Tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Ich wusste wirklich nicht, zu wem ich sollte", nuschelt er.

„Du hast nicht gestört", versichere ich ihm, doch Oliver presst die Lippen aufeinander. „Mari ist krank und Isa ist bei uns zuhause, weil es den anderen doch auch schlecht geht und ich will das nicht noch schlimmer machen", erklärt er weiter.

„Hey, es ist okay", unterbreche ich ihn sanft. Er lehnt seinen Kopf noch einmal an meine Schulter und ich streiche ihm über den Hinterkopf. Oliver atmet tief durch und löst sich dann von mir. „Gracias", wispert er.

Wir stehen uns schweigend gegenüber und gucken überallhin, nur nicht zueinander. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll und ihm geht es anscheinend genauso.

„Hier in der Nähe haben wir früher mal gewohnt", sagt er dann unvermittelt, „Damals, bevor wir umgezogen sind." Seine Stimme klingt sachlich, doch ihm ist anzusehen, dass es ihm nicht viel bessergeht, als eben.

„Gegenüber vom Spielplatz, oder?", frage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. Was sagt man, wenn jemand gerade einen Zusammenbruch hatte, weil vor einem Jahr seine Eltern gestorben sind? Jedenfalls gehe ich davon aus, dass das der Grund dafür war.

Oliver nickt und läuft langsam los. Ich tue es ihm nach und wir gehen erneut wortlos nebeneinander her. Nur ein paar hundert Meter weiter kommen wir zu besagtem Spielplatz und anstatt bei seinem alten Haus stehenzubleiben, öffnet er das Tor zum Spielplatz.

Ich folge Oliver nach oben ins Kletterhaus, wo er sich mit angezogenen Beinen auf den Boden setzt. Ich quetsche mich neben ihn. Es ist so eng, dass unsere Beine sich berühren, aber es stört mich nicht.

„Willst du reden?", frage ich vorsichtig, „Oder..."

„Ich weiß nicht", murmelt er, „Ich kann nicht in Worte fassen, wie es sich anfühlt. Ich bin nicht so gut im Reden. Isa will nachher auch reden, alle wollen ständig reden, dabei kann ich es viel besser durch Kunst ausdrücken."

„Wir müssen nicht reden, wenn du nicht willst", sage ich sofort. Ich bin so unsicher, was ich tun soll, ich habe keine Ahnung, wie ich ihm helfen soll. Alina hätte es gewusst, aber ich hatte nie ein Talent, für tiefgründige Gespräche.

„Normalerweise komme ich klar und wir machen auch alle so eine Art Therapie, aber heute ist es alles zu viel...", seine Stimme bricht und Oliver braucht einen Moment, um sich zu sammeln.

Dann erzählt er leise: „Wir haben es in den Nachrichten gehört. Sie waren im Urlaub zu zweit für ein Wochenende und wir haben gehört, dass ein Flugzeug abgestürzt ist. Dann haben wir die Flugnummer überprüft und dann wussten wir es, noch bevor Abuela angerufen hat."

Oliver weint wieder lautlos und ich nehme ihn ohne zu zögern in den Arm. „Caro hat geweint und ich war wie von meinem Körper getrennt. Linus hat es uns angesehen, doch wie erklärt man kleinen Kindern, dass ihr Eltern...", er schluchzt heftig.

„Ich habe nicht geweint, es war alles, wie in einem Nebel. Den Sommer über war ich nur in meinem Zimmer, aber dann habe ich mich zusammengerissen und es wurde besser. Aber heute ist es, als hätte ich es gerade erfahren."

Oliver verstummt und lehnt sich ein wenig in meine Seite, während ich ihm beruhigend über den Rücken streiche. Wir bleiben so sitzen. Auch als seine Tränen langsam versiegen, bewegen wir uns nicht.

Erst ein Klingeln sorgt dafür, dass Oliver sich wieder aufsetzt. Er zieht sein Telefon aus der Tasche und nimmt den Anruf entgegen. „¿Sí?"

Auf der anderen Seite stellt jemand eine Frage auf Spanisch. „No, estoy fuera. Mari está enferma, eso ya lo sabes", antwortet Oliver. Wieder redet die andere Person, ich glaube, Caros Stimme zu erkennen.

„No, no estoy solo... Lennox está aquí." "Sí, voy a ir a casa. Vuelvo enseguida." "Sí ¡Hasta ahora!"

Oliver legt auf und dreht sich dann zu mir um. „Caro, sie will, dass ich nach Hause komme. Lo siento, aber ich muss dann los. Sie macht sich schon Sorgen", erklärt er, weil ich natürlich mal wieder kein Wort verstanden habe.

Wir klettern die Leiter wieder nach unten, da wir nicht schmal genug für die Rutsche sind. „Tut mir leid, dass ich dich gestört habe", meint Oliver dann noch einmal und aus einem Impuls heraus, nehme ich ihn noch einmal kurz in den Arm.

Er erwidert die Umarmung, dann verabschieden wir uns unbeholfen und gehen in entgegengesetzte Richtung davon. Ich laufe deswegen sogar einen kleinen Umweg, aber so kann ich wenigstens für den Moment meine Gedanken etwas ordnen.

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Helluu amig@s!

Heute ein etwas ernsteres Kapitel. Ich hoffe, es hat euch trotzem gefallen.

Was haltet ihr von Lennox Reaktion auf die Situation? Hätte er etwas anders machen sollen?

Ich bin im Moment etwas gestresst, deswegen kann es sein, dass es mal zu Kapitelausfällen kommt, dafür entschuldige ich mich jetzt schon mal.

Man liest sich...

Sisi <3<3<3

¡No Desiste!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt