Olivia Hope Raven

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Schon immer wusste ich, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gab, als der Mensch zu glauben ahnte. Shakespeares hatte ja so recht damit gehabt. Doch so richtig wusste ich es erst seit meinem 15. Geburtstag vor einem Jahr, an dem meine Mum – Jenna Raven – mir den Grund für die seltsamen Vorkommnisse verriet, die mich seit meiner Kindheit verfolgten.

Ich, Olivia Hope Raven, war eine Hexe. Und mit dieser Offenbarung seitens meiner Mum, ergab plötzlich alles einen Sinn.

Explodierende Wasserhähne, brennende Toiletten, flackernde Lichter oder Raben, die mich verfolgten und seltsamerweise genau das taten, was ich eine Sekunde zuvor gedacht hatte.

(Wie zum Beispiel Emma Krüger mit Vogelmist besudeln, nachdem sie mich mal wieder beleidigt hatte)

Das Seltsame war schon immer ein Teil meines Lebens gewesen und mir war schon seit meiner frühen Kindheit klar, dass es auch immer ein Teil meines Lebens sein würde. Auch wenn ich den Grund nicht kannte und auch nie gedachte hätte, dass es was mit Magie zu tun hatte.

Nur hatte dies zur Folge, dass meine Schulpausen einsam waren und ich mir schon immer Getuschel und Gekicher anhören musste, weil ich zwei Mütter hatte oder einen (zumindest für Kinder im Alter von sechs Jahren) seltsamen Namen trug.

Dass ich zwei Mütter hatte, war mittlerweile zumindest nicht mehr so seltsam, wie noch zu Beginn meiner Schulzeit.

Es war allerdings nicht gerade hilfreich, dass wann immer mich Mum oder Mama von der Schule abholten (oder sie zu Schulaufführungen erschienen) knallbunte Klamotten trugen, mit Mustern, die immer zur Jahreszeit oder dem aktuellen Anlass passten.

Zu Weihnachten waren es meistens grässliche Weihnachtspullis mit Rentieren oder Schneemännern darauf oder Kleider in Zuckerstangen-Optik. Dazu meistens grün-weiß gestreifte Stumpfhosen. Egal ob sie zu dem restlichen Outfit passten, oder nicht. Es war ein Wunder, dass ich frühzeitig lernte, was man kombinieren konnte und was nicht.

Meinen Spitznamen »die seltsame Olive« trug ich darum auch seit der ersten Klasse und seitdem zog sich dieser Name durch meine gesamte Schullaufbahn. Und je älter ich wurde, desto nerviger wurde es.

In der achten Klasse zum Beispiel, hatten ein paar Jungs mir eine ganze Packung Oliven auf den Stuhl gekippt und gerufen, dass die seltsame Olive wirklich Oliven kacken würde.

Die Frage, ob ich Oliven mögen würde, bekam ich öfter gestellt, als die Frage nach meinem Wohlbefinden. Und dass mein Name eigentlich Olivia war, vergaßen selbst meine Lehrer zwischenzeitlich.

Hoffentlich würde sich nun endlich alles ändern. Immerhin zogen Mum, Mama und ich nicht einfach nur in eine andere Stadt in einem anderen Bundesland, sondern wir verließen Deutschland komplett, um in London zu leben.

Der Grund wieso wir nach London zogen war Mum, die an der University of Arts in London den Lehrstuhl für Kunstgeschichte angeboten bekommen- und sofort angenommen hatte. Sie freute sich bereits, wieder in ihrem Heimatland zu leben, in der Nähe meine Grandma, die genauso wie Mum und ich, eine Hexe war. Und Mama begleitete uns natürlich.

Mum hatte Mama vor fünfzehn Jahren kennengelernt, als sie für eine Kunstausstellung nach Deutschland reiste, kurz nachdem sie sich von meinem Vater (einem Franzosen) getrennt hatte. Die beiden verliebten sich ineinander und als Mum dann herausfand, dass sie schwanger war, war sie geschockt. Nicht, weil sie keine Kinder wollte, sondern weil sie absolut nicht damit gerechnet hatte und sie mit ihren 22 Jahren noch ziemlich jung war.

Mama allerdings war sofort Feuer und Flamme gewesen und sie hatte auch kein Problem damit, dass Mum meinem Vater davon erzählte, damit er eine Rolle in meinem Leben spielen konnte, wenn er das denn wollte. Was er auch tat.

Mein Vater lebte damals, sowie auch heute noch, in Paris. Mum und er hatte sich durch ein Austauschjahr kennengelernt, welches sie in der elften Klasse gemacht hatte, um ihr Französisch zu verbessen.

Und es hatte ziemlich schnell und ziemlich heftig zwischen den Beiden gefunkt. Als sie zurück nach London musste, hatten die beiden sich Briefe geschickt und einmal die Woche telefoniert. Nach ihren A-Levels war sie dann nach Frankreich gezogen, um endgültig mit meinem Vater zusammen sein zu können. Es lief auch eine ganze Weile gut, bis der Alltag bei ihnen einzog.

Mum, die ihren Job als freiberufliche Künstlerin und das Reisen liebte, solange sie auf eine Zusage für die Kunsthochschule wartete, kam nicht mit dem ehr konservativen, sicheren Leben klar, welches mein Vater führte.

Als sie sich kennenlernten, war er bereits mitten im Jurastudium und zwei Jahre nachdem sie zusammengezogen waren, war er fertig und fing in einer renommierten, französischen Anwaltskanzlei an. Sie entfernten sich voneinander, bis sie sich einvernehmlich voneinander trennten.

Mum war dann zu der Kunstausstellung nach Deutschland gereist, hatte Mama kennengelernt und nach nur wenigen Treffen waren sich beide einig, dass sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen wollten. 

Mama war auch die einzige, die von Mum's Hexenkräfte wusste. Meinem Vater hatte sie nie davon erzählt und würde es (wegen der Regeln der Hexengemeinschaft) auch nie.

Durch meine ehr ungewöhnliche Familienkonstellation, bestehend aus zwei Müttern und einem Vater und alle drei aus verschiedenen Ländern, war ich außerdem dreisprachig aufgewachsen.

Mit Papa sprach ich nur französisch, da er es sehr wichtig fand, dass ich seine Muttersprache beherrschte, um mich mit meinen Großeltern verständigen zu können.

Die ersten fünf Jahre meines Lebens hatten Mum, Mama und ich auch in Paris gelebt, weil Mum an der Kunsthochschule in Paris studierte. Sie sprach fließend Französisch und Englisch und verstand durch die Zeit, die wir in Deutschland gelebt hatten (also ab meinem 6. Geburtstag bis heute) auch deutsch.

Mama sprach Deutsch, konnte aber ebenfalls fließend Englisch und Französisch, weil sie sich schon immer für Sprachen interessiert hatte. Mit ihr sprach ich wirklich nur auf Deutsch, während ich mit Mum mich nur in Englisch unterhielt.

Allerdings hatte mir meine dreisprachige Erziehung keinen Vorteil bei der Suche nach Freunden gebracht.

Ich wurde viel mehr als Streberin abgestempelt, weil ich schon in der ersten Klasse fließend Englisch sprach und in der siebten Klasse, wo die zweite Fremdsprache Französisch eingeführt wurde, ebenfalls punktete.

Dass wir jetzt nach London ziehen würde, freute mich deshalb umso mehr. Pünktlich zum neuen Schuljahr würde ich auf die »Highgate Academy for Boys and Girls« gehen.

Es wäre komplett irrelevant, dass ich fließend englisch sprach und ich hatte mich absichtlich in den Spanischkurs für Anfänger eingeschrieben, statt Französisch oder Deutsch als Fremdsprach zu nehmen.

(Zumindest hatte ich das Mama gesagt, die an meiner Schule Kunst und Deutsch unterrichten würde und es sehr schade fand, dass sie keinen Unterricht bei mir hatte.)

Ich würde vielleicht keine normale Schülerin sein, aber immerhin sollten die seltsamen Vorkommnisse nicht mehr auftreten, da ich nun in der Lage war, meine Kräfte zu kontrollieren.

Und das würde mir hoffentlich dabei helfen, Freunde zu finden, die mich wirklich mochten und nicht nur so taten. 

Und hoffentlich, würde mich nie, nie wieder, jemand »die seltsame Olive« nennen!

Olivia - Was Magie bewirktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt