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(Aylins Sicht)

Samstag: 10.09.2022, 15:13

Nach meiner langen Schicht in der Tankstelle, steige ich in den Wagen und mache mich auf den Weg zum Treffpunkt mit dem Hochzeitspaar. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, als ich daran denke, dass Raphael ebenfalls da sein wird. Die Erinnerungen an die letzten Wochen sind wie ein Schatten, die über mir schweben, aber für Mary und John möchte ich stark sein. Als ich an der vereinbarten Adresse ankomme und meinen Wagen in eine freie Lücke parke, erkenne ich bereits Raphael, welcher an seinem Auto lehnt und genüsslich eine Zigarette raucht. Ein unangenehmes Kribbeln durchzieht meinen Magen und ich schließe für einen kurzen Moment meine Augen. Reiß dich zusammen, du wolltest doch stark sein. Ich atmete tief durch, zwinge mich zu einem Lächeln und verlasse den Wagen. Bei ihm angekommen hebt er langsam den Kopf und sieht mir tief in die Augen. Ich kann eine Mischung aus Überraschung und Unsicherheit in ihnen erkennen. "Aylin. Schön, dich zu sehen", kommt es hilflos von ihm, während ich immer näher auf ihn zu laufe. Mit einer einfachen Handbewegung winke ich ihm zu und versuche dabei meine Gefühle zu kontrollieren. Gemeinsam laufen wir auf das Gebäude zu und machen uns auf den Weg zum Treffpunkt mit Mary und John. Das Schweigen zwischen uns ist förmlich spürbar, doch mir kommt es gerade recht, nicht mit ihm sprechen zu müssen. „John hat mir erzählt, wie aufgeregt Mary bereits für die Hochzeit ist. Es wird sicherlich ein besonderer Tag", versucht er die Atmosphäre aufzulockern und ich nicke ihm zustimmend zu. "Ja, es wird sicherlich ein unvergesslicher Tag für die beiden.", stimme ich ihm verklemmt zu und beiße mir auf meine Lippe. Meine Worte klingen vernünftig, aber tief in mir drinnen brodelt noch die Verletzung.

Am Hauptsaal angekommen, öffnet Raphael einen der großen Türen und bittet mich mit einer Handbewegung herein. Etwas unbeholfen über diese plötzliche Geste nicke ich ihm leicht zu und betrete den großen Hochzeitssaal. Staunend betrachte ich die kunstvoll; mit weißen Dekorationen geschmückt Wände. Mary hat nicht übertrieben, als sie uns letzte Woche von der Location berichtet hatte. Ich lasse meinen Blick zu dem großen Deckenfenster wandern, durch welches das warme Licht scheint und alles noch viel edler erscheinen lässt. Es sieht aus wie ein großes Prinzessinnen Ballsaal. „Aylo!" ruft Mary laut, als sie uns im Raum erblickt. „Schön, dass du es geschafft hast." Sie nimmt mich fest in den Arm und nickt anschließend Raphael kurz zu. „Kommt mit, wir haben auf euch gewartet. John ist bereits dabei die Details mit der Veranstalterin durchzugehen und wir möchten wissen, was ihr davon hält", erzählt uns Mary, welche vor Glück strahlt. Zustimmend nickt Raphael ihr zu und ich grinse meine Freundin breit an. "Natürlich, Mary. Ich bin so gespannt", kichere ich und hacke mich bei ihr ein, während wir zur Bühne marschieren.

Samstag: 10.09.2022, 16:49

"Was haltet ihr von diesem Bereich für die Zeremonie?" schlägt John vor und schaut dabei liebevoll zu Mary. Raphael stimmt ihm zu, und ich versuche, meine Unbehaglichkeit zu verbergen. Als Trauzeugen sollten wir gemeinsam an diesem besonderen Tag arbeiten, aber die Vergangenheit zwischen uns steht wie eine undurchdringliche Mauer. Allein seine Anwesenheit löst in mir so einen Hass aus, dass ich jede Sekunde explodieren könnte. Mary spürt die Spannung und versucht, die Stimmung aufzulockern in dem sie schnell das Thema wechselt, "Die Blumendekoration ist wirklich atemberaubend, oder?" Ich stimme ihr zu und versuche, mich wieder auf die Planung zu konzentrieren, während Raphael mich ab und zu von der Seite betrachtet, und ich frage mich in diesem Moment, ob wir wirklich die besten Trauzeugen für John und Mary sind.

Während wir weiter über die Blumen, Menüs und die Hochzeitslocation sprechen, kann ich den Blickkontakt mit Raphael kaum ertragen. Er bemerkt wohl mein Problem, denn er lehnt sich zu mir runter und flüstert leise, „Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber wir sollten uns auf Mary und John konzentrieren, sie verdienen das Beste." Ich nicke nur stumm, obwohl die Worte wie ein Stich durch mein Herz gingen. Er hat doch recht! Fährt es mir durch den Kopf. Wieso fällt es ihm so leicht, so zu tun, als wäre nie etwas passiert. Bin ich die einzige von uns beiden, die leidet? Die sich wünscht es wäre alles anders abgelaufen und wir würden jetzt gemeinsam als Paar für unsere Freunde da sein. Innerlich beginne ich zu fluchen.

Zwei Fremde (Raf camora FF)Where stories live. Discover now