Kapitel 20

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Die halbe Nacht war ich wachgeblieben und hatte über Chets Worte und vor allem über Leanders Rückkehr nachgedacht. Und dementsprechend war mein Allgemeinzustand eher halbtot als einigermaßen erträglich, was vermutlich das Beste für Killian und mich war. Am frühen Morgen hatte er mich zu sich zitiert und nur widerwillig schälte ich mich aus meinen Laken. Ein knappes Frühstück später, wartete ich am Stall auf ihn. Die Stallburschen hatten die Pferde schon gesattelt, während ich mich im Schneidersitz vor dem Brunnen hockte und versuchte meine Lider offen zu halten.Ein Schatten erschien vor mir und hielt mir eine Hand hin. Ächzend ergriff ich sie und Killian zog mich auf die Beine.»Will ich es wissen?« Doch ich brummte nur zur Antwort.Zu meinem Leidwesen hatte ich zu wenig Schlaf gefunden, um meinen Rausch auszuschlafen. Der Kater der mich parallel malträtierte, war offenbar die Strafe, die mir Zustand, für meinen unfairen Auftritt in der Küche.Beim Versuch, mich aufzusatteln, scheiterte ich kläglich und frustriert stöhnte ich auf, lehnte meine Stirn gegen die Seite des Pferdes. Zwei kräftige Hände legten sich um meine Taille und hoben mich empor.Normalerweise hätte ich meinen Widerwillen darüber laut kund gegeben, doch gerade war es mir nur recht und ich schwang mein Bein über den Pferderücken. Killian versicherte sich noch, dass ich mich halten konnte und kehrte anschließend zu seinem Tier zurück. Einen Wimpernschlag später, saß er mir gegenüber. Ich bekam vom Ritt kaum etwas mit, so kämpfte ich mit mir, nicht vom Ross zu fallen oder einzuschlafen. Und die Übelkeit, die mir dabei aufstieg, machte es auch nicht besser.Nach einer Weile meines Martyriums, brach Killian unser Schweigen.»Brauchst du eine Pause?«Ich schüttelte den Kopf und bereute die Bewegung sofort. Stöhnend sackte ich nach vorn und Killian packte mich am Kragen und zog mich zurück in Position. Ein kleines Wimmern entfloh mir.»Vielleicht sollten wir doch-«»Nein! Nein! Alles gut«, fuhr ich dazwischen und setzte mich gerader auf.Im Augenwinkel erkannte ich, wie er nur den Kopf schüttelte und sein Pferd näher an meines treten ließ.»Komm rüber«, sagte er bestimmt und ich schaute ihn nur verständnislos an.»Was?«»Ich kann dich so nicht weiterreiten lassen«, bemerkte er.»Lass gut sein, Killian, es geht so schon«, erwiderte ich schlicht, doch er ließ es nicht bleiben. Stattdessen seufzte er und ehe ich mich versah, hatte er mich gepackt und zu sich herübergezogen. Mit großen Augen saß ich nun vor ihm und wusste nicht, wie mir geschah. Unsicher blickte ich über meine Schulter. »Lehne dich zurück und schlafe ein wenig«, sagte er schlicht und legte dabei seinen freien Arm um mich. Ich hinterfragte die Situation nicht und tat wie mir geheißen. Langsam sank ich gegen seine Brust und bettete meinen Kopf auf seiner Schulter und kaum hatte ich die Augen zugetan, schlief ich sofort ein.»Psst« Jemand rüttelte an meiner Schulter und langsam kam ich zu mir.»Psssst«, ertönte es wieder und schlug die Augen auf, blinzelte gegen das grelle Sonnenlicht an.»Huh? Was?« Vorsichtig legte Killian seine Hand auf meinem Mund.»Sieh doch!«, flüsterte er in mein Ohr und zeigte ins Unterholz.Eine wunderschöne Ricke schlich sich zwischen den Bäumen hindurch und als ich ihr kleines Kitz neben ihr hertrottet, musste ich ein leises Quieken zurückhalten. Wir standen still und ließen die Tiere ihre Wege gehen, während ich sie ehrfürchtig bestaunte. Als sie außer Sichtweite war und Killian die Pferde dazu bewegte weiterzugehen, hörte ich ein leises klagendes Fiepen.»Warte!«, zischte ich und lauschte genauer. Killian hielt inne.»Hörst du das?«, wies ich ihn darauf hin, »Da ist es wieder!« Das Fiepen wurde lauter und ich suchte den Wald danach ab, bis ich es erblickte. Ein kleines braunes Bündel hockte zusammengekauert am Stamm eines Baumes, nahezu verdeckt von einem Strauch, das ihm umgab.»Oh nein«, hauchte ich, doch Killian schien es nicht bemerkt zu haben.»Ist das noch ein Kitz?«»Ja, da drüben!« Ich zeigte auf den Baum und er seufzte.»Er findet seine Mama nicht.« Dieser Anblick und der Ton, der das kleine niedliche Wesen ausstieß, trafen mich tief im Herzen.»Lass uns weitergehen«, sagte er schließlich. Schockiert blickte ich über die Schulter zu ihm.»Was? Du willst es einfach zurücklassen?«, fragte ich ungläubig.»Du darfst dich da nicht einmischen.«»Und wie ich mich da einmischen werde!« Doch gerade als ich vom Pferd rutschen wollte, hielt er mich mit kräftigen Händen zurück.»Lass das!«, sagte er ruhig und doch bestimmt, aber ich stemmte mich weiter gegen ihn. »Wenn du jetzt dorthin gehst und es berührst - und ich kenne dich, das würdest du tun - dann haftet dein Geruch an dem Kitz und die Mutter wird es verstoßen. Solange es da verharrt, gibt es noch die Möglichkeit, dass es die Mutter hört und es holen kommt.« Das machte Sinn.»Und was wenn nicht?« Mit großen Augen blickte ich von ihm zu dem niedlichen Tier und ich hoffte, dass es zurückfindet.»Dann geht's weiter. Der Lauf des Lebens.«Verzweifelt rang ich mit meiner Vernunft und meiner fürsorglichen Seite.Ich wollte nicht, dass es alleine blieb und schon gar nicht, dass ihm etwas geschah. Und mit der Ungewissheit, ob es zu seiner Mama zurückfand oder nicht, wollte ich auch nicht gehen.»Killian, was hältst du davon, wenn wir da drüben eine Pause machen?«Er schnaubte. »Versprichst du mir, dass du dich nicht einmischst?« Und bevor ich es ihm hoch und heilig schwören konnte, wurde mir die Bedeutung dessen klar. Ich würde es ihm versprechen. Aber das konnte ich nicht. Ich hatte es zuvor vermasselt und gerade waren wir uns wieder ein klitzekleines Stück näher gekommen. Und er wusste genau, was er gerade anrichtete. Meine Schultern sackten herab. »Nein«, antwortete ich niedergeschlagen. Ich hatte mein Wort schon einmal gebrochen und das würde ich nie mehr tun. »Gut«, sagte er und dieser kalte Ton in seiner Stimme ließ mich zusammenzucken. Und er trieb das Pferd an.Eine unendliche Traurigkeit legte sich über mich, doch dann sprach er weiter: »Das Muttertier hat ihn nämlich gefunden.«Mein Blick ruckte hoch und tatsächlich stakste sie aus dem Unterholz hervor und das Kleine fiebte noch aufgeregter. Die Erleichterung ließ mein Herz erblühen und eine kleine einzelne Träne rann über meine Wange, als das Kitz mit wackeligen Beinen aufstand und zu seiner Mutter fand. Sie beschnupperte es ausgiebig und schleckte ihm anschließend übers Gesicht. Auch das Geschwistertierchen tritt schüchtern dazu. So ließen wir sie zurück.»Bist du nun zufrieden?«, will er wissen und ich nickte. »Rhea?«»Huh?« Er berührte mit seinem Handschuh mein Kinn und drehte meinen Kopf zu ihm. Als er die Träne sah, wischte er sie stumm fort.»Nur damit du es weißt, ich wäre mit dir hiergeblieben.«Ein zaghaftes Lächeln zupfte an meinen Lippen und ich lehnte mich wieder gegen ihn. Leise nuschelte ich ein »Danke«.Erst als die Sonne den Zenit erreichte, legten wir eine Rast ein, füllten an einer kleinen Quelle unser Wasser auf und aßen den Proviant. Killian saß vorn über gebeugt da und hatte sich die Maske so hochgezogen, damit er essen konnte. »Ich kann das nicht mit ansehen« Ich richtete mich seufzend auf und ließ mich hinter ihm nieder. Rücken an Rücken. »Was wird das, wenn's fertig ist?«, fragt er irritiert und ich machte es mir wieder im Schneidersitz bequem. »Nimm die Maske ab und iss«, sagte ich nur. Killian hielt inne und erst nach einer kurzen Weile nahm er das Angebot still an.»Sagst du mir auch endlich, was wir vorhaben?«Killian ließ sich mit seiner Antwort Zeit und ich hatte kurz die Befürchtung, dass wir in alte Muster zurückgefallen waren, doch dann sagte er: »Wir müssen eine Gottheit ausfindig machen.«»Bitte?« Beinahe hätte ich mich umgedreht, doch ich konnte mich mit meiner Entrüstung gerade noch davon abhalten.»Nochmal zum Mitschreiben: Du sagst mir gerade allen Ernstes, dass wir einen Gott aufsuchen? Tut mir leid, aber bist du diesmal angetrunken?Wie in aller Welt, willst du einen Gott finden? Also mal ganz ehrlich, ich bezweifle stark, dass man einen im nächsten Dorf oder Wald finden kann.« Leise setzte ich hinterher: »Wenn es sie denn überhaupt geben sollte.«»Leanán sídhe, glaubst du wirklich, ich wäre nicht vorbereitet? Was denkst du denn, was Kjell die ganze Zeit getrieben hat?«»Laut seiner Aussage war er ein echter Schürzenjäger, aber darauf wirst du nicht hinaus wollen.«, beantworte ich seine Frage trocken.Er nuschelte ein genervtes »Oh mein Gott« und atmete tief durch. »Zu aller erst: Ja, es gibt die Gottheiten und nur die wenigsten zeigen sich auch.«»Und weswegen brauchen wir eine davon?«»Um an etwas heranzukommen, was nur sie erschaffen können.«Ich stöhnte. »Muss ich dir jetzt alles aus der Nase ziehen, oder erklärst du mir jetzt ausführlich, was Sache ist?«»Vor langer Zeit erschufen die Götter zwei Artefakte, das die Macht eines Wesens ins Unermessliche steigern konnte. Doch sie brauchten die Zustimmung - eine Segnung - all dieser Gottheiten. Nur einer von ihnen weigerte sich und so waren sie nutzlos. Der Waldgeist, der seine Macht verwehrte, verwahrte sie, bis selbst die Götter dessen Existenz vergaßen. Er schenkte eines davon seiner Tochter und es war ihr liebstes Stück, bis sie es einmal bei einem Spiel verlor. Ein junger Mann fand es. Ein in sämtlichen Farben schimmernder Kristall, in der Größe eines Eis, dessen Inneres aus einer Flüssigkeit bestand und wie tausend Sterne funkelte. Der Mann nahm es an sich, fasziniert von dieser Schönheit.Als Ilan vom Missgeschick seiner Tochter erfuhr, suchte er den Finder und beschwor ihn, den Stein zu hüten. Mit seinem Leben. Der Mann, besessen von seinem Auftrag, vererbte es über Generationen hinweg. Es entstand ein geheimer Bund, der nur aus eingeschworenen Mitgliedern bestand und das Artefakt beschützte. Sie wussten nur das Nötigste und je mehr Zeit ins Land zog, desto unvorsichtiger wurden sie. Man nannte den Stein einst Artura, die Bärin, und sein Zwilling Artemas, den Bären. Und eines Tages, als die Legenden drohten restlos vergessen zu werden und die letzte Generation der Bärenhüter anbrach, geschah genau das, was hätte nie geschehen dürfen.« Seine Stimme nahm einen brüchigen Ton an und etwas zog in meiner Magengrube, bei dem Gedanken, dass es ihn dabei so mitnahm.»Alte Folkloren und Mythen hielten das Märchen über das göttliche Artefakt am Leben. Jahrhunderte überdauerten sie, bis ein junger Fae, dem das Leben nicht gut mitgespielt hatte, einen Minnesänger darüber erzählen hörte. Er bekam die Worte nicht mehr aus dem Kopf und zusammen mit seinem brodelnden Hass, formte es sich zu einer Idee. Er wollte all das, was ihm verwehrt wurde: Macht und Unterwürfigkeit, unter die er selbst so lange litt. Und so begann er im Untergrund den Hass unter den niederen Fae zu schüren und wurde schnell zu einem Anführer, der Angst und Schrecken im Reich verbreitete. Seine Anhängerschaft wuchs und wuchs und eines Tages nahm er sich das Königreich, das er so sehr begehrte. Aber die Legende der Artura hatte er stets im Hinterkopf und als er endlich - nach all diesen Jahrhunderten - den alten Bärenhüter ausfindig machte, versuchte er sich den Kristall zu erschleichen. Doch als das nicht gelang, entschied er sich, dem Ganzen den Todesstoß zu geben, und löschte den alten Bärenhüter aus und nahm Artura an sich.« Bedächtig hielt er inne und erneut rang er um Worte. »Doch was er übersah oder schlichtweg einfach nicht wusste, war, dass der Kristall aufgebraucht wurde. Das Elixir in seinem Kern war fort. Zurück blieb ein onyxfarbener, hohler Brocken, dessen Mächte nicht mehr fortwehrten.«Ich blickte überrascht auf. »Und davon hat er nichts mitbekommen?«, fragte ich erstaunt.»Tatsächlich nein, aber gut für uns. Solange er diese Macht nicht hat, haben wir ein Problem weniger.«»Aber sobald er sie in die Finger bekommt, haben wir ein Gewaltiges«, setzte ich fort.»Ja, deswegen müssen wir das andere entweder vernichten oder ...« Killian beendete den Satz nicht. Oder es selbst einsetzen. »Und wir suchen nun nach Artemas?«»Sozusagen«, er seufzte, »Zumindest wenn es die Jahrhunderte überdauerte und nicht verloren ging. Weil es keine Überbringungen mehr davon gibt. Deswegen müssen wir mit den Göttern reden und ihnen die Wichtigkeit dieser Angelegenheit nahebringen. Schließlich ist es vermutlich auch in ihrem Interesse, wer dessen Kräfte abbekommt.« Ich nickte bedächtig.»Und zu welchem dieser Götter verschlägt es uns nun?«»Kjell hat einen Wassergeist ausfindig bemacht, die sich ziemlich kooperativ zeigte.« »Und was ist mit den Göttern der Fae?«»Wenn dir dein Leben lieb ist, dann denke niemals mehr darüber nach. Sie sind nicht das, was du dir zu erhoffen magst. Diese Gottheiten sind die Schlimmsten ihrer Art und du möchtest ganz sicher nicht in ihre Ungunst fallen, und glaub mir eines, das geschieht schneller, als du vielleicht glaubst.«»Das hört sich an, als hättest du ihren Zorn einmal zu spüren bekommen?«, hakte ich nach.»Meine Wenigkeit wurde verschont, aber ich habe einige andere arme Seelen erlebt, die ihre Hoffnungen und Anpreisungen an diese Götter verschwendeten und allein dadurch ihr Leben verloren.« Irritiert blinzelte ich.»Aber sagtest du nicht anfänglich, dass Ilan beide Elixiere bei sich hatte?«Erneut seufzte er. »So hieß es, aber mit Sicherheit kann man es nicht sagen. Und bevor wir die Suche nach dem Waldgeist fortsetzen und schließlich ohne dastehen, sollten wir vielleicht hinterfragen, was damit überhaupt geschehen ist. Vielleicht suchen wir ein Phantom, das es schon längst nicht mehr gibt und bevor wir diesem dann nachjagen, könnten wir die Zeit besser in Pläne investieren, die die Rebellen betreffen.«

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⏰ Last updated: Nov 23, 2023 ⏰

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