2. Kapitel

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POV Nico

"Tut mir leid. Das war mein Sohn. Können wir fortfahren?" Dr. Solace setzt sich wieder auf den gräulichen Stuhl und lächelt mich, wie immer praktisch gesehen, erfreut an.
Wie können Menschen so nervig optimistisch sein?

"Klar." Sie wirkt kurz überrascht, dass ich nicht bloß nicke, sondern tatsächlich etwas sage. Denn um ehrlich zu sein hasse ich diesen Laden wie die Pest. Ich mag es nicht über meine Gefühle zu reden, oder über meine Lage Zuhause. Es ist seltsam einer Fremden alles anzuvertrauen, nur damit sie ihrer Familie davon erzählt und heimlich darüber lacht. Und ich mag diese Therapeutin nicht. Aber was soll ich sagen? Das war schon meine achte. Und von all denen war sie die erste, die mir wirklich ein Wort entlocken konnte.
Nicht das ich freiwillig hier war, denn so war das ganz und gar nicht.
Meine Mutter und meine Schwester sind gestorben.

Es ist länger her, aber damit klargekommen bin ich nie wirklich. Mein Dad zieht mich seitdem auf und er ist ehrlich gesagt nicht wirklich viel, außer ein reicher Typ. Er lässt mich bei sich schlafen und ansonsten schert er sich einen Scheißdreck um mich. Ich glaube, es liegt daran das ich ihn so viel an Mom erinnere, aber ich habe ihn nie danach gefragt. Es wäre unhöflich das zu tun, richtig?
Und das was er mir seid meiner Kindheit eingeredet hat sind Manieren.
Und das Schweigen.
Er hat mir beigebracht, dass ich zu schweigen habe.

"Nicolas?" Ich sehe zu Dr. Solace auf.
"Liegt dir sonst noch irgendwas auf dem Herzen?" Ich bemerke, dass sie auf die Uhr an ihrem Handgelenk herabguckt.
Das ist der perfekte Augenblick um sie abzulenken.
"Müssen sie noch wohin?", frage ich kurz angebunden. Sie lächelt zaghaft, schüttelt ihre blonde Mähne einmal durch.
"Nein, aber ich will nicht das mein Sohn allzu lange Zuhause bleibt. Nicht das er Chaos anrichtet." Ich nicke verständnisvoll.

Der Junge der vorhin reingeplatzt war, kam mir bekannt vor. Denn ich kenne diesen Blondschopf. Er hockt in meinem Physikkurs immer in der ersten Reihe und plaudert mit seiner besten Freundin Piper McLean. Dabei war sie nichts als eine Nervensäge. Allein der Gedanke an sie lässt mich aufschnauben.
"Alles in Ordnung?" Ich sehe zu der Frau auf und nicke abwinkend.
"Ich kenne ihren Sohn.", sage ich plötzlich.

Dr. Solace Grinsen wird größer und sie nickt begeistert. "Kennst du ihn aus der Sanitätsgruppe?" Ich verschränke meine Arme vor der Brust. Er ist also ein Sanitäter? Interessant. Das ist mir nämlich neu.
"Nein, nicht wirklich. Er geht in meine Parallelklasse, denke ich. Wir haben ein paar Kurse zusammen." Ihre Augen funkeln mir nun fast schon entgegen und ich hätte schwören können, dass ihr meine Recht gute Laune gut tut.

"Welche Kurse genau?" Ich schlucke. Schweig, Nicolas. Ich will deine Stimme nicht hören.
Die Stimme meines Vaters hallt in meinem Kopf nach und ich spüre, wie ich abdrifte. Aber Dr. Solace steht sofort auf und schüttelt mich einmal kraftvoll durch.
"Nicolas. Es ist alles gut. Hier ist niemand. Atmen. Tief ein und dann aus."
Ich tue wie geheißen, versuche meinen Atem wieder in Griff zu bekommen.

"Das machst du gut so."
Nach einer Weile beruhige ich mich wieder und Dr. Solace setzt sich wieder auf ihren Platz. Sachte überschlägt sie ihre Beine und sieht mich dann durch ihre Brille an.

"Ich gehe in die Musikgruppe.", sage ich leise. Fast so leise, dass man es nicht hören kann, aber sie scheint es aufzuschnappen.
"Spielst du Instrumente?" Ich nicke sofort.
"Ja. Gitarre." Sie lächelt mich seelig an.
"Eine akustische Gitarre, oder eher elektrisch?" Ich grinse. Sie kennt sich gut mit Instrumenten aus.

"Beides. Ich mag die Akustikgitarre mehr, aber ich beherrsche beides." Sie nickt begeistert und schreibt etwas in ihr kleines Heftchen hinein.
"Ich konnte früher mal Klavier spielen.", murmele ich und spiele nervös mit meinen Fingern.

"Früher? Kannst du es jetzt nicht mehr?" Neugierig mustert mich Dr. Solace.
"Naja, ich tue es seid Ewigkeiten nicht mehr. Seid dem...seid dem meine Mom gestorben ist fällt es mir schwer Musik zu machen. Wir haben immer zusammen Werke geschrieben und Piano gespielt.", erwidere ich leicht zögernd.
Ich wusste gar nicht, weshalb ich ihr das alles erzählte, aber irgendwie war es seltsam beruhigend.

"Also habt ihr es gerne miteinander gemacht?" Ich nicke versteinert.
"Ja...mein Vater war nie sonderlich gut in instrumentalen Dingen. Als meine Mom von uns gegangen ist, habe ich jahrelang nicht mehr am Piano gesessen. Dann hat mein Dad es verkauft. Ich glaube, dass letzte Mal das ich an einem Flügel, oder Klavier, saß ist eine halbe Ewigkeit her." Ein raues Lachen verlässt meine Kehle und ich unterdrücke das Unwohlsein, dass ich beim Aussprechen dieser Worte fühle.
Es ist seltsam über so etwas zu reden, besonders wenn man es normalerweise nicht tut.
Ich habe bereits gelernt, mit all dem im Stillen umzugehen.

"Vermisst du es? Das Klavier und die Noten?" Ich lächle zaghaft.
"Ich habe früh angefangen, damit Gitarre zu erlernen. Damit habe ich irgendwie den Drang bekämpft, Klavier spielen zu wollen." Sie nickt zustimmend.
"Wie lange ist es her, dass deine Mutter verstorben ist?", fragt sie sanft.
Ihrer Mimik zumute braucht sie diese Information, um über mein Wohlbefinden bescheid zu wissen. Oder um mich zu analysieren.

"Ich war ziemlich jung. Vielleicht sechs, oder sieben." Dr. Solace seufzt resigniert auf.
"Also ungefähr acht oder neun Jahre?"
Ich nicke zögernd.

"Wie ist es geschehen, wenn ich fragen darf?" Sie schiebt ihr Klemmbrett zur Seite, als würde sie diese Info nicht darinnen niederschreiben.
"Ein klischeehafter Autounfall."
Sie verzieht mitleidig das Gesicht und steht schwungvoll auf.
Dann legt sie eine Hand auf meine Schulter und sagt:

"Das tut mir leid, Nicolas." Ich nicke.
"Das sagen alle."

Solangelo - Die SonnenfinsternisWhere stories live. Discover now