21. Kapitel

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POV Will

Nicolas steht wie angefroren vor mir, kein Wort verlässt seine Lippen.
Er nickt schwach, sieht auf den Boden. Sein Schweigen könnte eine Bestrafung für meine Worte sein, aber ich kann sie nicht zurücknehmen. Denn auch wenn ich will, kann ich nicht. Denn in all dem, was ich ihm an den Kopf geworfen habe, steckt die Wahrheit. Es ist wahr. So wahr.

"Ich schätze du hast Recht.", antwortet er knapp. Nach einer gefühlten Ewigkeit sieht er tatsächlich wieder zu mir auf und schenkt mir seltsamerweise ein klitzekleines Lächeln.
"Sie hat dir was erzählt, richtig?" Ich schlucke schwer, als er auf meine Mutter hinauswill. Seine Augen bohren sich bedrohlich in meine und ich hätte schwören können, dass mein Herz einen halben Tornado macht, als er nähertritt. Aber dieses Mal nicht vor Freude, sondern aus purer Angst.
"Nein, aber nachdem was du mir erzählt hast, konnte ich mir den Rest erdenken." Schluckend sehe ich zu ihm auf, spüre seinen leicht alkoholisierten Atem auf meinem Gesicht.

"Du meinst den Unfall? Die vielen Todesfälle?", fragt er nach. Seine Worte umspielen seine Gefühle schleierhaft, als würde ich nicht dafür gemacht sein, zu hören, wie er sich wirklich fühlt.
"Deine Familie, ja...", erwidere ich vorsichtig. Nicolas schließt kurzzeitig seine Augen, bevor er sie wieder öffnet und mich seufzend ansieht.
"Damals...da hattest du fragen. Aber ich habe dich vermutlich daran gehindert zu fragen, also...frag jetzt." Er sieht mich mit einer Entschlossenheit an, die eine Gänsehaut über meinen Rücken jagt. Und er hat Recht, denn dass was er mir erzählt hat wirft Fragen auf. Über das Klavierspielen, seiner Mom, seinem Dad. All dem.

"Hast du guten Kontakt zu deinem Dad?", frage ich zögernd.
Nicolas seufzt, streicht zaghaft eine meiner gewellten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dabei streift seine Fingerkuppe beinahe kaum merklich meinen Wangenknochen. "Nein, nicht wirklich. Er ist stur, dass habe ich vermutlich von ihm." Ein schwaches Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln.
"Nachdem Tod meiner Mutter war einiges nicht mehr, wie vorher.", fügt er hinzu. Ich nicke versteinert, nicht wirklich gut darinnen, seine Gefühle zu verstehen. Ich kann sie nichtmals ablesen, denn Nico war kein einfaches Buch zum Lesen.

"Deine Mom...wie hieß sie?" Er lächelt zaghaft. "Maria di Angelo." In seiner Stimme schwingt ein Hauch von Überwältigung mit, als hätte er diesen Namen seid Ewigkeiten nicht mehr ausgesprochen.
"Erinnerst du dich an sie?" Er schüttelt bedauernd den Kopf, seine Worte wie Eisplatten unter seinen eigenen Füßen. Ich frage mich, wann er dieses Spiel satt hat. Wann er die Fragen satt hat und die Lügen, die Lügen die er mir womöglich auftischt. Wann er realisiert, dass die Eisplatten beginnen zu knacken und zu brechen.
"Kaum, um ehrlich zu sein. Ich erinnere mich an manche Momente, aber...die meiste Zeit lang unterdrücke ich die Gedanken an sie eigentlich."
Ich nicke und sehe mit einem schweren Gefühl in der Brust zu ihm auf.

"Hast du's Annabeth eigentlich erzählt?", wechsle ich nach einer klitzekleinen Pause das Thema. Nico scheint überrascht zu sein, dass ich nicht weiter auf ihm herumhacke und einfach weitermache. Aber auch die nächste Frage scheint ihm nicht völlig behaglich zu sein.
"Nein, noch nicht.", erwidert er.
"Ich hatte es eigentlich gar nicht vor.", flüstert er leise.
Seine Worte versetzen mir einen Stich, aber wieder einmal sage ich nichts. Ich vertraue einfach darauf, dass er es nicht so meint. Schließlich hätte ich an seiner Stelle mehr als nur ein schlechtes Gewissen.

"Was machst du wenn sie es per Zufall herausfindet?" Er dreht sich etwas zur Seite, starrt wieder hinaus zum Himmel.
Ein amüsiertes Schnauben ertönt und seine dunkelbraunen Augen verdunkeln sich. Das hat nichts gutes zu bedeuten.
"Drohst du mir gerade?" Seine Direktheit jagt einen eisigen Schauer über meinen Rücken. Aber seine Frage bohrt sich in meinen Kopf. Drohe ich ihm?
"Vielleicht." Er dreht sich wieder zu mir um, die Finsternis in seinen Augen kaum zu übersehen.
Nun verschleiert ein gewisser Glanz seine Pupillen, während seine Mundwinkel sich zu einem winzigen Lächeln verziehen.
"Weißt du, wir sitzen in einem Boot. Sag's ihnen und ich schwöre dir, es wird mir eine Ehre sein dich zu outen."

Fuck.

Was mache ich jetzt? Wenn er etwas sagt, dann kann ich womöglich tagelang nicht zur Schule gehen. Das wäre einfach nur bloßstellend. Würde er so etwas überhaupt tun? Ja, ich meine wir reden von Nicolas di Angelo.
Die Stimme in meinem Kopf macht meine Panik nicht gerade weniger intensiv.

"Weißt du, in all der Zeit habe ich eines vergessen.", sage ich.
Nico sieht wenig interessiert zu mir auf, sein Kiefer dicht aufeinandergepresst.
"Das wäre?", hakt er mit einer ungeduldigen Stimme nach.
Ein Grinsen schleicht sich auf meine Züge, aber ich kann nicht anders als einen bitteren Ton anzuwenden:
"Du bist ein Arschloch, Nicolas di Angelo."
Er lächelt seelenruhig.
"Oh, wow. Ich wäre ja normalerweise verletzt."
Nico tritt einen Schritt näher, lehnt sich ganz nah an mich dran und flüstert dann mit einer verführerischen Stimme in mein Ohr:

"Aber ich, mein lieber William Solace, bin immer noch das Arschloch, in das du dich verliebt hast."

Solangelo - Die SonnenfinsternisWhere stories live. Discover now