6. Kapitel

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POV Will

"Ich muss jetzt gehen, hab noch nen' Kurs.", informiert uns Nico aus dem Nichts. Dann küsst er Annabeth, oder soll ich besser sagen - sie fressen sich gegenseitig halb auf.
Genervt sehe ich zu Piper herüber, die völlig beschäftigt damit ist Jason anzuglotzen.
Die Liebe ist ekelhaft.
Nein, ich verstehe sie wirklich nicht.

Als ich ein paar Stunden später zum Musikkurs schlendere entdecke ich Nicolas.
"Hey! Weißt du zufällig wann der Kurs anfängt?" Mein Gegenüber wirkt etwas überrascht mich hier vorzufinden.
Aber dann nickt er gelassen und öffnet die Tür zum Studio.
Innen drinnen ist es riesig. Überall stehen Instrumente, oder andere Dinge.
Eine Weile lang unterhalten wir uns.
Es ist nicht unangenehm, um ehrlich zu sein fühlt es sich sogar Recht gut an.

"Kannst du mir etwas vorspielen?", frage ich leise. Nico sitzt mittlerweile am Klavier und sieht auf die Tasten herab. Irgendetwas sagt mir, dass ihn etwas am Spielen hindert. Aber was?

"Ich spiele kein Klavier mehr.", sagt er und räuspert sich selber. Auf einmal wirkt es viel lebloser und düsterer im Raum. Es scheint so, als wäre Nico verärgert.
"Es tut mir leid. Ich wollte damit nicht -"
Er unterbricht mich.
"Du hast keine Ahnung von meinem Leben, richtig. Deswegen kannst du auch gar nichts von mir wissen." Seine Grobheit versetzt mir einen Stich ins Herz.
"Du hast Recht."

Nicolas steht wieder vom Klavierhocker auf und streicht noch ein letztes Mal über den Flügel. Es war wirklich wunderschön. Die triefende Schwärze glänzt melancholisch im leichten Licht das durch die Fenster scheint und für einen Augenblick wirkt es so, als würde Nicolas im Einklang mit all dem sein. Denn er passte genau ins Bild.
Irgendetwas steckte dahinter.

"Weshalb hast du das Klavierspielen aufgegeben?", frage ich zögernd und sehe zu ihm herüber.
Er hingegen wirkt kurz verdutzt.
"Woher weißt du, dass ich es aufgegeben habe?" Schulterzuckend mustere ich den Jungen vor mir.
"Die meisten tun es, wenn sie emotional etwas belastet oder sie das Klavier mit jemanden in Verbindung setzen. Und dann wird die Flucht schnell zum Ziel." Nico seufzt tief auf, lässt sich auf einen der vielen Sessel im Raum fallen.
"Also - wieso hast du aufgehört?"

Nico scheint kurz zu überlegen, ob er es mir wirklich anvertrauen soll, aber dann setzt er an etwas zu sagen:
"Ich habe früher immer Klavier mit meiner Mutter gespielt."
Bingo. Ich hatte also recht. Er verbindet es mit einem Menschen.
Nico steht ruckartig auf, als könnte er gerade nicht still sitzen. Doch anstelle zu stehen setzt er sich wieder ans Klavier. Erst mustere ich ihn fragwürdig, aber dann berührt er hauchzart eine der Tasten. Seine Hände gleiten über die verschiedenen Akkorde und für eine Sekunde verinnerliche ich die Schönheit dieses Bildes.

"Wieso tust du es nicht mehr?" Nico beginnt vorsichtig ein Lied zu spielen.
Es hat einen flehenden Ton, es ist aber auch gefüllt von Leichtigkeit. Die Ruhe in seinen Händen ist beeindruckend. Es ist beinahe so, als wüsste er die Noten aus dem Kopf und er könnte sie in- und auswendig. Als wären sie in sein Herz eingebrannt und für immer dort eingesperrt.

Die vorsichtige und zarte Melodie die er spielt zieht mich schnell in ihren Bann. Neugierig beobachte ich Nico beim Spielen.
"Sie ist gestorben als ich ziemlich klein war. Seitdem habe ich kein Klavier mehr angerührt.", höre ich seine zitternde Stimme. Das Stück das er gerade spielt nimmt an Intensivtät zu und wird immer schneller. Nico verspielt sich jedoch nicht, seine Finger schleichen elegant über die Tasten und treffen jeden einzelnen Ton.
"Das tut mir leid." Er nickt eisern.

"Wieso tut es dir leid?", fragt er dann plötzlich. Ich verharre. Ich wusste nicht weshalb ich das gesagt hatte. Ich schätze es war ein Zeichen von Höflichkeit, ein Zeichen von Unterstützung oder Sorge. Aber ich empfand nichts, außer Mitleid.
"Ich habe Mitleid mit dir, vermute ich." Nicolas lacht rau auf.
Dann hört er abrupt auf zu spielen, als hätte das Stück kein wirkliches Ende.
"Du kannst kein Mitleid mit mir haben, William. Du warst nicht dabei." Er schließt seine Augen, atmet tief ein und dann spielt er weiter.

Dieses Mal ist es eine wütende Melodie, die sich anhört wie ein Sturm über den Wellen des Ozeans oder ein Blitzeinschlag. Als wäre dieses Chaos in seiner selbst vorhanden. Ganz tief in sich hütet er dieses Geheimnis, als würde die Welt ihn hassen, sobald es gelüftet wird.
Durch ein Klopfen an der Tür werden wir unterbrochen.
Sofort hört Nicolas auf zu spielen, wischt seine Hände an der Hose ab und schließt die Klappe der Tasten. Dann steht er auf und öffnet die Tür.

"Hey, Babe. Es ist spät, wieso bist du noch hier?" Ich sehe mit verengten Augen zu niemanden anderen als Annabeth.
Ihre funkelnden Augen sehen zu Nico auf und der Kuss, dem sie ihm gibt, bringt mich fast zum Würgen.
"Jemand hatte Nachholbedarf." Er wirft mir einen neutralen Blick zu und läuft dann nach hinten um seine Tasche zu holen. Ich tue ihm gleich.
Annabeths messerscharfer Gesichtsausdruck entgeht mir dabei nicht.
Sie guckt mich immer so an, als würde sie mich alle zwei Sekunden umbringen wollen. Weshalb? Keine Ahnung.

"Neeks, geh schonmal vor.", säuselt Annabeth ihrem Freund zu, der bloß mit den Schultern zuckt und wie geheißen tut.
Aus dem Nichts greift Annabeth nach vorne und packt mich am Kragen.

"Wenn du auch nur einen Finger rührst und Nicolas anfasst, dann bringe ich dich um, William Solace. Hast du das verstanden?"

Solangelo - Die SonnenfinsternisWhere stories live. Discover now