2. Kapitel | Korinther 4:18 (Matteo)

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Das Sichtbare vergeht, doch das Unsichtbare bleibt ewig.

»... Aber, wenn man darüber nachdenkt, wird einem etwas bewusst: Margot, du bist nicht weg.
Denn allein die Anwesenheit aller deiner Freunde, Bekannten und Verwandten hier, alle zusammen unter diesem betrübten Himmel, lässt uns ganz nah bei dir sein. Denn sie sind deine Werke. Hätte es dich nicht gegeben, gäbe es auch einen großen Teil dieser Familie nicht, und die Familien dieser Familie gäbe es auch nicht. Ist das nicht etwas, worauf du stolz sein kannst?
Auch das Leben von deinen Freunden und Bekannten wäre sicherlich anders gewesen.
Und so sollte uns bewusst sein, dass jeder einen Teil von dir in sich trägt. Und solange sie leben, wirst auch du, Margot, immer ein Teil dieser Welt sein.« Pastor Fulson hält einen Moment inne, hebt seinen Kopf und blickt über die um das Grab versammelte Trauergemeinde.

Ich, der rechts hinter ihm steht und den anthrazitfarbenen Regenschirm hält, damit der Geistliche nicht vollkommen durchtränkt wird, hebe ebenjenen Schirm ein Stück, um ihm freie Sicht zu ermöglichen.

Viel erkennen können wird der alte Mann trotzdem nicht, die Trauergäste sind ebenfalls unter schwarzen und grauen Schirmen verborgen, während der Regen in fetten Striemen auf sie niederprasselt.

Perfektes Wetter für eine Beerdigung, finde ich ja.

Meine rechte Schulter fühlt sich allmählich immer kälter an, da die stetigen Tropfen vom Rande des Schirms mein Jackett inzwischen durchdrungen haben.

Glücklicherweise sind die Temperaturen sehr mild, der Regen bildet einen krassen Gegensatz zu den vergangenen drückend heißen Tagen, also ist es auszuhalten, geradezu erleichternd.

Als hätte Gott Margot besonders gern gehabt und ihrem Abschied nun die Erlösung und gleichzeitige Natursymbolik als letztes Geschenk gegeben.

Mein Blick wandert über die Schirme und die wenigen Gesichter, die ich darunter erkennen kann. Die gesamte Trauergemeinde ist in schwarz oder dunkles Grau gekleidet. Selbst die drei jüngeren Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, alle unter zehn Jahre alt und zwischen ihren Eltern eingequetscht, tragen schwarze Hemden und Hosen, respektive ein schwarzes Kleid.

Hatten die Eltern wohl schwarze Sachen für ihre Kinder parat oder mussten sie diese extra kaufen, als sie vom Tod der Oma erfahren haben?

Generell sind Kinder eher seltene Gäste bei Beerdigungen, das ist mir schon früh aufgefallen. Irgendwie ist das schade, gehört der Tod doch zum Leben dazu. Doch gerade ältere Menschen reagieren oft pikiert oder gar entsetzt, wenn jemand unter 1,50 m Körpergröße bei einer Trauerfeier auftaucht. Dabei nehmen gerade kleine Kinder solch einer Veranstaltung die Schwere.

Margot war bestimmt eine liebevolle Oma - oder für diese drei Uroma -, dass auch ihre Urenkel auf diese Weise von ihr Abschied nehmen dürfen.

Pastor Fulson räuspert sich und blättert lautlos um, um mit der Rede fortzufahren: »Gott öffne dir die Tür und lade dich ein. Er breite seine Arme aus und rufe: Komm wieder Menschenkind. Er rufe dich beim Namen, dass du dich zu Hause fühlst. Er umarme dich und ...«

Ich kann die Rede auswendig, habe ich doch den Großteil in den vergangenen Tagen ausgearbeitet und geschrieben. Meine Augen formen sich zu verwunderten Schlitzen, denn im hinteren Bereich der Trauergesellschaft ist es für einen Moment unruhig, ehe die Schirme wieder ein undurchdringliches Dach über den teilweise schluchzenden Menschen bilden.

Normalerweise rascheln die Leute erst, wenn es auf das Ende der Zeremonie zugeht, aber an der Stelle sind wir noch nicht.

Skeptisch beobachte ich die Gesichter unter den Schirmen und nanu? Ich könnte schwören, dass ein Gesicht dazugekommen ist, das vorher noch nicht dort war.

Holy Shit | ✓Where stories live. Discover now